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Von Vorurteilen frei

Aus der August 1987-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In meinem Leben ist etwas geschehen, und als Ergebnis davon kann ich jetzt mit anderen Menschen in größerem Maße über die Christliche Wissenschaft und ihren Wert sprechen. Die Wende kam, als ich mich über eine Stelle in Wissenschaft und Gesundheit ärgerte.

Mrs. Eddy schreibt dort: „Millionen vorurteilsfreier Gemüter — schlichte Sucher nach der Wahrheit, müde Wanderer, in der Wüste verschmachtend — harren und warten der Ruhe und der Erquikkung.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 570.

Das Wort Millionen traf mich. „Lieber Gott“, betete ich, „es ist lange her, daß ich auch nur einem einzigen vorurteilsfreien Gemüt begegnet bin.“ Es schien so, als ob jeder um mich herum von starken menschlichen Meinungen und Vorurteilen nur so strotzte — wie man Kinder erziehen, schlank werden oder gesund bleiben sollte. Die Religion schien nur eine weitere Ausrede dafür zu sein, daß man Vorurteile hatte. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wann ich jemandem das letzte Mal Wissenschaft und Gesundheit gegeben hatte.

Aber ich wußte, wie so oft, wenn mich eine Stelle in der Bibel oder in Mrs. Eddys Schriften beunruhigte, daß ich demütiger werden mußte. Die Unruhe war ein Zeichen dafür, daß ich bereit war, neue Erkenntnisse zu gewinnen. In meinem Gebet versprach ich Gott, daß ich erwartungsvoller nach vorurteilsfreien Gemütern ausschauen wollte, obgleich ich mir nicht sicher war, wie sie wohl aussehen könnten.

Ein Teil der unmittelbaren Antwort auf mein Gebet war die Frage: „Bist du ein vorurteilsfreies Gemüt?“ Wie merkwürdig, dachte ich. Ich war doch diejenige, wie ich meinte, die die ewige Wahrheit kannte und versuchte, die Leute dafür zu interessieren. Sollte nicht ich das Evangelium predigen? Doch die geistige Intuition sagte mir, daß ich ein vorurteilsfreies Gemüt sein mußte, wenn ich einem vorurteilsfreien Gemüt begegnen wollte.

An jenem Tage, als mir diese Gedanken gekommen waren, ging ich mit meinem Mann nach dem Abendessen spazieren. Wir gingen nur um den Häuserblock, aber wieviel lehrte mich doch dieser Spaziergang über meine Vorurteile und vorgefaßten Meinungen! Als erstes bemerkte ich, daß der kleine Sohn unserer Nachbarn viel zu lange aufbleiben durfte. Etwas weiter unten auf der Straße hatten die Leute vergessen, hinter ihrem Hund sauberzumachen. Bein anderen Nachbarn war der Rasen vor dem Haus mit Abfällen übersät. Und als wir wieder zu Hause angekommen waren, hatten mein Mann und ich viele Ideen, wie wir die Häuser anderer Leute streichen würden.

Es mag so aussehen, als wären das geringfügige Vorurteile, aber angesichts der Frage, ob ich vorurteilsfrei war, gewannen sie an Bedeutung. Ich erkannte, daß ich in meinem Denken eine Menge Unrat über meine Nachbarn mit mir herumtrug — über genau die Leute, mit denen ich zweifellos ins Gespräch kommen könnte. Meine selbstgerechte Kritik war einer möglichen Unterhaltung über Liebe, Christentum und geistiges Heilen keineswegs förderlich.

Gleich am nächsten Tag, als ich nach Hause kam, grüßte mich der Schornsteinfeger und fragte unvermittelt: „Ich habe gehört, daß Sie eine Christliche Wissenschafterin sind. Was heißt das?“ Ich war überrascht. Hier in meiner Einfahrt war ein vorurteilsfreies Gemüt! Aber ich war in Eile. Ich mußte einige wichtige Anrufe erledigen. Eine Eingebung sagte mir jedoch, daß durch die Hast, die allzuoft mein Leben bestimmt hatte, Gelegenheiten unbeachtet geblieben waren. Also verschob ich die Telefonate auf später.

Was ich dem Schornsteinfeger in den darauffolgenden fünfundvierzig Minuten sagte, war nicht so wichtig wie das, was er mich über Vorurteilslosigkeit und Selbstlosigkeit lehrte. Er hatte viele falsche Informationen über die Christliche Wissenschaft erhalten, dennoch wollte er erfahren, was sie für mich bedeutete. (Brachte ich meinen Nachbarn dieselbe Achtung entgegen, wenn ich Klatsch über sie hörte? Oder war ich schnell mit einem Urteil zur Hand?)

Außerdem lernte ich von ihm, über meine eigenen Lebenserfahrungen zu sprechen. Gleich zu Beginn unserer Unterhaltung erzählte er mir von einigen schwierigen Situationen, die er im vorangegangenen Jahr hatte durchstehen müssen, und einigen Antworten, die er für sich selbst gefunden hatte. Er hatte genügend Vertrauen zu mir, um darüber zu sprechen. Ich hatte das Empfinden, daß er ein aufrichtiger Sucher war. (Hatte ich das Gefühl, über meine gegenwärtigen Heilungen zu sprechen, ganz gleich, wie unbedeutend sie waren? Oder gab ich vor, die Gedanken anderer Leute, die mir von ihren „großen Heilungen“ berichtet hatten, verstanden zu haben — Gedanken, die ich mir nicht zu eigen gemacht hatte?)

Was mich drittens beeindruckte, war die ehrliche Anteilnahme des Schornsteinfegers. Es mag sich seltsam anhören, aber ich hatte während des Gesprächs das Empfinden, daß er mir Liebe entgegenbrachte — großherzige brüderliche Liebe. Und er wartete nicht darauf, daß ich sie mir verdiente, indem ich das Richtige sagte. Er erwartete nicht, daß ich alle Antworten auf seine tiefschürfenden Fragen parat hatte, und er gab mir viel Zeit, darüber nachzudenken, was ich sagen wollte. Es kam zu einem mühelosen Gedankenaustausch. (War mein tiefes Verlangen, anderen Menschen etwas über die Christliche Wissenschaft zu sagen, von dem ehrlichen Wunsch getragen, meinen Bruder zu trösten und zu segnen, oder war ich so sehr darauf bedacht, meine Religion zu fördern, daß ich es versäumte, mit Anteilnahme zuzuhören und so auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen?)

Es war für mich ganz natürlich, daß ich ihm Wissenschaft und Gesundheit und ein neueres Exemplar des Christian Science Sentinels anbot; aber das Schöne daran war, daß ich mir überhaupt keine Sorgen darüber machte, ob er sie lesen würde oder nicht. Das Buch würde ihm ganz einfach mehr geben, als ich es je könnte, und da er so tiefgehende Fragen über Gott und das Heilen stellte, verdiente er die beste Quelle, die ich kannte.

Welch eine Freiheit empfand ich, als wir uns trennten. Ich nahm noch einmal Wissenschaft und Gesundheit zur Hand und las jene Stelle, die mich so beunruhigt hatte. Diesmal dachte ich über den Satz nach, der dieser Stelle folgt: „Gib ihnen einen Becher kalten Wassers in Christi Namen, und fürchte niemals die Folgen.“ Ebd. Ein Grund für mein Zögern, den Becher anzubieten, war der, daß ich darüber nachzugrübeln pflegte, wieviel sie wohl davon trinken würden. Dieses Mal konnte ich erkennen, daß mich das überhaupt nichts anging. Ich konnte darauf vertrauen, daß sich die Macht des Christus selbst mitteilen würde.

Seitdem sind mir die Gelegenheiten nur so zugeflogen, bei Nachbarn, bei meinem Friseur, bei Leuten, die neben mir im Flugzeug saßen. Ich fange an, bereitwilliger die folgende Feststellung in Wissenschaft und Gesundheit zuzugeben: „Früher oder später müssen sich alle auf Christus, die wahre Idee Gottes, gründen.“ Ebd., S. 54. Werden andere Menschen abgestempelt (als zu medizinisch eingestellt, zu sinnlich, zu faul, zu beschäftigt, zu alt, zu jung), so stellt sich das Problem, daß das menschliche Gemüt diese Abstempelungen noch verstärkt und sie als Entschuldigung dafür benutzt, daß es einfach ignoriert, wie wunderbar der Christus das Leben jedes einzelnen berührt, selbst wenn das der Betreffende nicht anerkennt. Die christliche Liebe zeigt uns, daß wir ein Recht darauf haben, die Göttlichkeit, die wir in anderen sehen, zu preisen, und zwar ungeachtet des äußeren Erscheinungsbildes, der Worte und Handlungen oder der beruflich bedingten Vorurteile.

Es gibt eine Stelle in Wissenschaft und Gesundheit, die uns die Hindernisse, die überwunden werden müssen, realistisch einschätzen läßt, damit die Wahrheiten der Christlichen Wissenschaft in größerem Umfang anerkannt werden: „Der irdische Preis der Geistigkeit in einem materiellen Zeitalter und die große moralische Kluft zwischen Christentum und Sinnlichkeit schließen die Christliche Wissenschaft von der Gunst der Weltlichgesinnten aus.“ Ebd., S. 36. Viele von uns haben Hilfe angeboten, und ihre Hilfe ist zurückgewiesen worden. Es ist wichtig, daß wir den Grund hierfür verstehen: Sinnlichkeit und weltliche Gesinnung möchten die Menschen daran hindern, die Geistigkeit richtig schätzen zu lernen. Müssen wir nicht in unserem Bemühen, die Machtlosigkeit dieser fleischlichen Tendenzen zu beweisen, damit beginnen, daß wir sie aus unserem eigenen Herzen und Leben ausrotten? In unserem Denken sollte nichts zugelassen werden, was die Entfaltung der Geistigkeit in uns und anderen leugnen möchte.

Manchmal sind wir in unserem Herzen stolz darauf, daß wir Christliche Wissenschafter sind. In Anbetracht all der Freiheit, die wir demonstrieren, mögen wir uns das, was in unserem Leben geschehen ist, als persönliches Verdienst anrechnen. Vielleicht besteht die augenfälligste Vorbedingung für das Predigen des Evangeliums darin, daß wir nie vergessen, wie das Evangelium zu uns kam. Müssen wir nicht zugeben, wenn wir ehrlich sind, daß Gott und Seinem Christus die Ehre gebührt? Daß Er es ist, der die Ängste, Selbstzweifel und Schwächen in unserem Leben zunichte macht und auch weiterhin zunichte machen und zerstören wird? So wie Hesekiel Gottes Verheißung wiedergibt: „Zu Trümmern, zu Trümmern, zu Trümmern will ich sie machen — aber auch dies wird nicht bleiben —, bis der kommt, der das Recht hat; dem will ich es geben.“ Hes 21:32. Trotz aller Zweifel am Heilen, aller Ablenkungen vom Gebet und vom hingebungsvollen Studium der Bible und trotz aller Einwände gegen den Besuch der Gottesdienste berührt uns der Christus, und das menschliche Gemüt kapituliert.

Je mehr wir anerkennen, daß das als ein universales Gesetz wirksam ist, um so mehr werden wir sehen, wie dieses Gesetz in anderen wirkt. Mrs. Eddy schreibt: „Ein höheres und praktischeres Christentum, das Gerechtigkeit demonstriert und die Bedürfnisse der Sterblichen in Krankheit und Gesundheit befriedigt, steht an der Pforte dieser Zeit und klopft, Einlaß begehrend, an. Willst du diesem Engel, der zu dir kommt, die Tür öffnen oder sie vor ihm verschließen, diesem Engel, der in der Stille der Sanftmut kommt, wie vor alters zu dem Patriarchen am Mittag?“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 224. In diesem Geist der Sanftmut können wir alle die Vorurteile ablegen, die die Tür verschließen wollen.


Preiset mit mir den Herrn
und laßt uns miteinander seinen Namen erhöhen!

Psalm 34:4.

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