Vor kurzem sah ich einen Science-Fiction-Film aus den sechziger Jahren. Darin kam ein Genetiker vor, der sehr beunruhigt über die Vorhersagen des Sozialforschers Malthus war, daß das Wachstum der Weltbevölkerung die Produktion von Nahrungsmitteln überholen könnte. „Im Jahr 2000'', sagte er besorgt, „werden dreieinhalb Milliarden Menschen die Erde bewohnen. Was machen wir dann?''
In diesem Film kamen allgemeine Befürchtungen, die man vor ca. 25 Jahren hegte, zum Ausdruck. Heute nun — und zwar deutlich vor dem Jahr 2000 — hat die Weltbevölkerung die Zahl von fünf Milliarden Menschen bereits überschritten! Eine so große Anzahl Menschen kann man sich kaum noch vorstellen. Aber wenn man fünf Milliarden Menschen Seite an Seite am Äquator aufstellte, so ergäbe sich eine Menschenkette, die die Erde etwa fünfundsiebzigmal umrunden würde! Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Beispiel die Sache irgendwie anschaulicher macht, aber es drängt sich einem doch die Vermutung auf, daß der Wert des einzelnen und sein Platz im Leben in einer so dicht bewohnten Welt leicht verlorengehen könnte.
Angesichts dieser unermeßlichen Zahl von Menschen kann uns die Frage des Psalmisten an Gott — „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst'' Ps 8:5. — wie eine Parodie vorkommen oder auch wie ein flehendes Bittgebet. Wenn wir die Menschen in solchen Größenordnungen betrachten, wird es klar, daß nur ein unendliches Gemüt in der Lage wäre, den Menschen zu kennen. In der Christlichen Wissenschaft wird Gott tatsächlich als unendliches Gemüt beschrieben. Aber die Frage ist: Wie können wir die unendliche, ewige Liebe eines unendlichen Gottes im täglichen Leben empfinden oder ihr auch nur ein wenig näherkommen?
Jeder von uns möchte sich von Gott und seinen Mitmenschen geliebt fühlen. Ein Schreiber des Neuen Testaments hat den Kern dieser Frage ganz ausgezeichnet erfaßt. Er mahnt: „Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.'' 1. Joh 4:7. Und doch bleibt im Hintergrund die Frage: Wie und wo sollen wir das in einer Welt mit fünf Milliarden Menschen tun?
Einen Ort gibt es zumindest, der nach Größe und Mittelpunkt geeignet ist, Wert und Würde der einzelnen Person zu pflegen, zu schützen und anzuerkennen. Das ist der Kreis der Familie. Hier kann man sich nicht aus den Augen verlieren. Selbst in Familien, in denen man sich nicht besonders gut versteht, fällt es auf, wenn ein einziges Familienmitglied z. B. beim Essen nicht mit am Tisch sitzt; man vermißt es. In keinem anderen Kreis kann der einzelne täglich solche einzigartige Anerkennung finden. Selbst die beste Wohltätigkeitsorganisation kann einer Person nicht diese Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil werden lassen.
Diese Tatsache hat natürlich enorme theologische und auch soziale Auswirkungen. Die geistige Empfänglichkeit für das, was ein Gott, ein Individuum oder eine geistige Idee bedeutet, gibt uns einen geistigen Antrieb und ein geistiges Wertgefühl, das die Unempfänglichkeit des fleischlichen Gemüts für die Wirklichkeit des unendlichen Geistes durchdringt. Die eine grundlegende und weitestreichende Entdekkung über Gott ist die Erkenntnis Seiner Einheit. Im Alten wie im Neuen Testament wird diese geistige Tatsache deutlich offenbar. Sie steht auch im Mittelpunkt der Lehren der Christlichen Wissenschaft. Und auf ganz elementare Weise können wir die tiefe Bedeutung dieser Einheit schätzenlernen, indem wir jeden einzelnen Menschen als liebenswert begreifen und den unendlichen und ewigen Wert des einzelnen als des Kindes Gottes verstehen. Wenn dieses geistige Verständnis vom Menschen in unserem Denken aufdämmert, dann wird die Fülle der Liebe Gottes und die Kostbarkeit einer jeden Person greifbare, konkrete Formen annehmen und sich in unserem Verhalten, unseren Wertvorstellungen und in unserer gegenseitigen Fürsorge füreinander zeigen. Ja, wenn wir wirklich fühlten, welch kostbares geistiges Wesen unser Mitmensch ist, daß er würdig ist, geliebt, geachtet, beschützt und ehrlich behandelt zu werden, dann könnte schon dieses moralische und geistige Werturteil allein ausreichen, um die Flut unehelicher Verhältnisse einzudämmen, die eine Ursache für unerwünschte und unversorgte Kinder ist.
Wir müssen alles pflegen und erhalten, was die Entdeckung derartiger geistiger Wahrheiten in unserem Leben begünstigt. Und Gelegenheit dazu finden wir in erster Linie in der Familie: in einer häuslichen Gemeinschaft, in der die Treue zueinander die geistige Entdekkung fördert, daß wir von Natur aus fähig sind, Gott, der göttlichen Liebe und Wahrheit, treu zu sein.
Mrs. Eddy muß erkannt haben, daß die Familie von so grundlegender Bedeutung ist, daß sie geschützt und erhalten werden muß, damit die Menschheit geistig vorankommen kann. Diese Schlußfolgerung liegt nahe, wenn man die einfache Tatsache bedenkt, daß sich ein ganzes Kapitel in Wissenschaft und Gesundheit mit Ehe und Familie befaßt.
Die Christlichen Wissenschafter sprechen von der Wissenschaft des christlichen Heilens. In gewisser Weise haben sie begriffen, daß es ein göttliches Gesetz gibt, das der Heilung von Krankheit und Sünde zugrunde liegt. Sie könnten auch von einer Wissenschaft oder einem göttlichen Gesetz sprechen, auf dem die Familie und die Beziehung der Familienmitglieder zueinander beruhen. Und wenn auch die menschliche Familie wohl kein ewiges Dasein hat, so ist sie doch die Einrichtung, durch die wir zuerst etwas über die Welt und über einander erfahren. In dieser Hinsicht sind gerade die ersten Eindrücke äußerst wichtig.
Ehe und Familie unterliegen enormen Veränderungen. Die Angriffe auf die Heiligkeit und den Bestand von Ehe und Familie werden durch die Scheidungsstatistik und durch genetische Experimente drastisch unterstrichen. Eine dunkle Wolke hängt über der Gesellschaft: Es ist die Suggestion, daß die Ehe nur eine zeitlich begrenzte Vereinbarung zu sein braucht — ungeachtet der vielen gebrochenen Herzen und Versprechen und der vielen Fälle von verlorener Kindheit, die das zur Folge hat.
Das christlich-wissenschaftliche Heilen ist untrennbar von dem geistigen Verständnis, daß jeder einzelne als das Bild und Gleichnis Gottes einen unendlichen Wert hat. Wir alle müssen gründlicher darüber nachdenken, wie ein gutes Zuhause und Familienleben durch Gebet und durch das geistige Verständnis vom ewigen Wesen des Menschen gefördert werden können. Das Kapitel „Die Ehe“ in Wissenschaft und Gesundheit eignet sich gut als kraftvoller und zum Denken anregender Ausgangspunkt für eine solche geistige Entwicklung. Der Rat, der hier in bezug auf die Familie gegeben wird, ist so göttlich inspiriert und so bezeichnend für das göttliche Gesetz wie die anderen Erläuterungen in diesem Buch über geistiges, wissenschaftliches Heilen durch Gebet.
Gleich zu Beginn dieses Kapitels in Wissenschaft und Gesundheit wird überzeugend dargestellt, daß die Heilung und Gesundheit der Familie eine geistige Notwendigkeit ist. Es heißt dort: „Die Ehe ist die gesetzliche und moralische Vorkehrung für die Zeugung unter den Menschen. Bis man die geistige Schöpfung als unversehrt erkannt hat, bis man sie erfaßt und verstanden hat und Sein Reich gekommen ist wie in der Vision der Apokalypse — in der der körperliche Sinn der Schöpfung ausgetrieben und deren geistiger Sinn vom Himmel offenbart wurde —, bis dahin wird die Ehe fortbestehen und solchen moralischen Verordnungen unterworfen sein, wie sie das Wachstum der Tugend sichern.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 56.
Je eher wir in unserem eigenen Herzen und Gebet fest davon überzeugt sind, daß Ehe und Familie in bedeutendem Maße dazu beitragen, die Integrität und den Wert eines jeden Menschen — ob Mann, Frau oder Kind — zu schützen und zu fördern, um so eher werden wir den Weg beschreiten, der das künftige Wohl der Menschheit sichert. Die Gesundheit der Familie bestimmt zum großen Teil die Gesundheit der menschlichen Gemeinschaft, und die Familie kann der Zufluchtsort sein, an dem wir unser wahres Wesen und unseren Wert als Gotteskinder entdecken können. Damit wäre sie zumindest ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Wiedererlangung des christlich-wissenschaftlichen Heilens, das sowohl von Christus Jesus als auch von den Gemeinden des Urchristentums demonstriert wurde.
