Manchmal vollzieht sich das Wachstum der Kirche direkt vor unseren Augen. Zum Beispiel:
• In einer Zweigkirche versuchte ein speziell dafür eingesetztes Komitee ein geeignetes Ziel festzulegen, auf das die Kirche gemeinsam hinarbeiten konnte. Die Mitglieder des Komitees kamen schon seit Monaten zusammen. Aber sie konnten sich nicht einigen. Auf jeder Sitzung wurden entgegengesetzte Standpunkte vertreten. Was dabei herauskam, war eher Uneinigkeit und hatte wenig mit Kirche zu tun.
Verschiedene Mitglieder des Komitees taten beharrlich ihre metaphysische Arbeit. Schließlich berichtete auf einer dieser Sitzungen jemand freimütig von einer Heilung, die dadurch eingetreten war, daß er die ruhige, christliche Einstellung eines anderen Komiteemitglieds erkannt hatte. Dies brachte einen sichtbaren Wandel — die Atmosphäre wurde herzlicher, freier.
Die Mitglieder des Komitees begannen, einander viel Liebe entgegenzubringen. Sie erörterten offen Dinge, über die sie lange nicht — wenn überhaupt — gesprochen hatten. Ehrlichkeit lag in ihren Worten. Sie tauschten Erfahrungen über einige Heilungen aus. Ein Mitglied des Komitees gab an einem Mittwochabend ein Zeugnis, wie es durch die Teilnahme an diesen Komiteesitzungen von Müdigkeit geheilt worden war. Andere Komiteemitglieder erwähnten Kirchenmitgliedern gegenüber, daß sie durch diese Sitzungen frische Inspiration empfangen und neue Möglichkeiten erkannt hatten. Der Geist der Liebe und Einheit verbreitete sich durch die ganze Kirche.
• Auf dem Treffen einer Christlich-Wissenschaftlichen Hochschulvereinigung waren an einem Winterabend nur wenige Studenten anwesend. Sie hatten sich in einem schäbigen Kellerraum versammelt. Dieser Raum war alles, was die angesehene Universität ihnen zu gewähren bereit war. Durch eigene Arbeit hatten sie den Raum etwas wohnlich gestaltet. Aber was für eine Versammlung es war! Da waren sie also an einer riesigen Bildungsanstalt, und jeder Student bemühte sich, den hohen akademischen Anforderungen gerecht zu werden. Jeden hatte es nicht wenig Mühe gekostet, überhaupt zu kommen. Jeder sprach ganz offen und ehrlich. Es war wie eine Zusammenkunft der ersten Christen. Ihr Verhalten hatte nichts Gezwungenes an sich, kein Stolz klang an. Jeder berichtete den anderen wundervolle, gutfundierte Heilungen. Die gegenseitige Liebe und Hilfe war aufrichtig.
• Einer Arbeitsgruppe von Angestellten Der Mutterkirche wurde die Aufgabe übertragen, eine Bibelausstellung vorzubereiten. Über Jahre hinweg war das Projekt aus dem einen oder anderen Grund nicht vorangekommen. Tatsächlich hatten sich so viele Schwierigkeiten gezeigt, daß es der letzten Gruppe, die diese Aufgabe geerbt hatte, klar wurde, daß das Projekt nur erfolgreich sein konnte, wenn man sich erneut und entschlossen bemühte, die geistige Idee „Kirche” zu demonstrieren.
Die einzelnen wußten, daß sie ihr berufliches Können und Wissen und die darauf beruhenden persönlichen Meinungen spezifischem Gebet unterordnen mußten. Bald hatten sich alle der Wirklichkeit der Wahrheit und Liebe verpflichtet, und sie vertrauten darauf, daß dadurch viel mehr erreicht würde, als jeder von ihnen persönlich zustande bringen konnte. Sie machten es sich auch zur Aufgabe, im Umgang miteinander die biblischen Wahrheiten auszudrücken, die sie in der Ausstellung darlegen wollten.
Unüberwindliche Hindernisse wurden überwunden. Heute sagen viele Besucher aus aller Welt, die nichts von der Chrisltichen Wissenschaft
Christian Science (kr’istjən s’aiəns) wissen, daß die Ausstellung sie verändert und berührt habe. Sie möchten mehr über die Kirche erfahren, die diese Ausstellung eingerichtet hat.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Gründerin der Christlichen Wissenschaft, bezeichnet die Kirche in ihrem sichtbaren Bau als „die jetzige Form der Frömmigkeit“ Vermischte Schriften, S. 145.. Manche mögen annehmen, daß eine nicht weltlich gesinnte Frau damit beschrieb, was notwendigerweise eine sehr menschliche Organisation ist. Schließlich wird ja Geld eingenommen und ausgegeben; im Rahmen einer institutionellen Struktur sind einzelne Personen mit einer ganzen Reihe menschlicher Tätigkeiten beschäftigt.
Aber die Christlichen Wissenschafter verstehen, daß Mrs. Eddy genau das meinte, was sie sagte, und daß sie wußte, was sie sagte. Der entscheidende Unterschied zwischen einer rein organisatorischen Gruppe und der Kirche, die Mrs. Eddy gründete, ist nämlich Frömmigkeit. Und ebendiese Frömmigkeit brachte die Kirche Christi, Wissenschafter, trotz gewaltiger Hindernisse zum Entstehen. Es war dieses geistige Verlangen, Gott und Seiner Bedeutung den Vorrang vor allen anderen Überlegungen einzuräumen, das solch eine bemerkenswerte Bewegung und solch ein bemerkenswertes Wachstum hervorbrachte.
Wenn wir die wirkliche Frömmigkeit über alles ehren und leben, erkennen wir, wie überaus praktisch sie für die weitere Entwicklung und das dauernde Wachstum der Kirche ist. Es gibt tatsächlich keine andere Möglichkeit, das Wachstum der Kirche beständig zu fördern.
Die geistige Idee „Kirche“ — in Mrs. Eddys Worten der bereits bestehende „Bau der Wahrheit und Liebe“ Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 583. — ist es, die Gott jeden Augenblick dem vergeistigten Bewußtsein offenbart. Als Ergebnis seines Einsseins mit dem Vater legte Christus Jesus nicht nur Zeugnis ab für Vollständigkeit, Gesundheit und sündloses Sein, sondern auch für das geistige Wesen der Kirche.
Der frühchristliche Brief an die Epheser beschreibt sehr gut, wie Jesus nach Ansicht des Autors diese „Form der Frömmigkeit“ sah. Der Schreiber erklärt, daß „Christus die Gemeinde geliebt hat und hat sich selbst für sie dahingegeben, um sie zu heiligen. Er hat sie gereinigt durch das Wasserbad im Wort, damit er sie vor sich stelle als eine Gemeinde, die herrlich sei und keinen Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern die heilig und untadelig sei.” Eph 5:25–27.
Keine Flecken, keine Runzel, untadelig. Keine Entzweiung, kein selbstsüchtiger Wille, kein Mangel an Vitalität, kein Dominieren von Personen, keine Anzeichen von Alter. In geistiger Taufe gewaschen. Eine heilige Sache, eine Form der Frömmigkeit. Alles andere ist ein irriger sterblicher Eindruck, der für das abgelegt werden kann, was Gott selbst als die wahre Idee der Kirche offenbart.
Wenn wir den sterblichen Eindruck ablegen und tatkräftig unser Vertrauen in das Jetzt, die Gegenwart des „Baus der Wahrheit und Liebe“ stärken, machen wir schließlich Fortschritte und demonstrieren diesen Bau in menschlichen, praktischen Begriffen. Die „Gemeinde, die herrlich“ ist, von der im Brief an die Epheser gesprochen wird, ist tatsächlich hier, so nahe wie unser Bewußtsein. Unser geistiger Fortschritt macht sie sichtbar, genauso wie Gesundheit und Sündlosigkeit dadurch zum Vorschein kommen, daß wir von einem materiellen Standpunkt zu der geistigen Grundlage des Seins übergehen. Die menschliche Auffassung von Kirche verbessert sich ebenso radikal, wie sich unser Körper oder unser Gesundheitszustand verändert, wenn wir anfangen, mit den geistigen Tatsachen des Seins zu leben, und erkennen, daß sie gegenwärtige Wirklichkeit sind.
Sollten wir nicht unsere Erwartungen hinsichtlich der Kirche steigern? Schließlich ist die Wirklichkeit der Kirche nicht etwas Pflichtgemäßes, Konfessionelles oder Langweiliges. Gott selbst offenbart sich in ihr.
In einer kleinen Wochenzeitung soll einmal ein Bericht erschienen sein, in dem es hieß: „Wir freuen uns, mitteilen zu können, daß der Wirbelsturm, der am vergangenen Freitag die Methodistenkirche fortgefegt hat, dem Gemeinwesen keinen wirklichen Schaden zugefügt hat.”
Wenn jedoch Frömmigkeit durch die Kirche als Institution kund wird, kann diese Institution eigentlich niemals für die Gesellschaft unbedeutend sein. Mrs. Eddy bemerkte in ihrer Ansprache bei der Grundsteinlegung Der Ersten Kirche Christi, Wissenschafter, in Boston: „Zur Zeit ist, mehr als irgendeine andere Einrichtung, die Kirche der Zement der Gesellschaft, und sie sollte das Bollwerk bürgerlicher und religiöser Freiheit sein.” Verm., S. 144. Das beschreibt genau, was die Kirche in der Geschichte der gegenwärtigen Zeit darstellt.
Wenn es einer Kirche an dynamischer Aktualität zu mangeln scheint, liegt das grundlegende Problem ebensowenig in ihren Programmen und ihrer Politik, wie bei einem einzelnen der Zeitplan das Grundproblem ist, wenn er Müdigkeit und Schwäche zum Ausdruck bringt. Das grundlegende Problem ist tierischer Magnetismus — das hypnotische Leugnen der Vitalität und des ewigen Zwecks der Kirche in ihrem wahren Wesen. Dieser Mesmerismus wird durch christlich wissenschaftliches Gebet gebrochen, und das bringt eine Erneuerung und Belebung mit sich, wie es nichts anderes bewirken kann.
Frömmigkeit verleiht jeder Tätigkeit Originalität, Dynamik und Wirksamkeit, während Weltlichkeit nur nachlassende Begeisterung und farblose Nachhmung zu bieten hat. Daher werden wir dem tierischen Magnetismus nicht beipflichten, der unser Denken hinsichtlich der Kirche und ihres Wesens verschleiert und trübt und uns irreführt. Das sind nicht unsere oder eines anderen wahre Empfindungen über die Kirche; es ist eine bloße Täuschung.
Die Erkenntnis dieser Tatsache gibt unserer metaphysischen Arbeit Auftrieb, und zwar nicht nur in bezug auf die Kirche Christi, Wissenschafter, sondern in bezug auf alle Kirchen. Wenn wir eine fortschreitende Annäherung zwischen der Christlichen Wissenschaft und dem christlichen Heilen sehen wollen, werden wir selbst nicht die Anhänger irgendeiner Kirche in Knechtschaft halten und meinen, sie seien erstarrt und von der umwandelnden Gegenwart des Christus und des Heiligen Geistes getrennt. Weder eine einzelne Person noch eine Gruppe besitzt die Merkmale, die das sterbliche Gemüt ihr zuschreiben möchte. Zwischen der weltlichen Vorstellung von Kirche und Gottes Idee besteht schließlich ein Riesenunterschied.
Selbstverständlich wird eines Tages jeder in die „Kirche“ gehen. Das heißt, jeder wird die volle geistige Bedeutung der Kirche erfassen. Die grundlegende Wahrheit ist, daß der Mensch den Bau der Wahrheit und Liebe liebt und wertschätzt und mit ihm eins ist.
Weit davon entfernt, eine kleine verstaubte Ecke im menschlichen Leben zu sein, ist Kirche tatsächlich der Name für das, was zutage tritt, wann immer wir die jetzige Form der Frömmigkeit begreifen und ausdrücken. Und solche Kirche muß einfach immer neu sein und stetig wachsen.
