Manchmal mögen wir versucht sein zu glauben, wir hätten die Christliche Wissenschaft
Christian Science (kr'istjәn s'aiәns) ja automatisch, weil wir Kirchenmitglieder sind oder die Christliche Wissenschaft schon seit einiger Zeit studieren. Doch in Wirklichkeit haben wir uns die Christliche Wissenschaft nur in dem Maße zu eigen gemacht, wie wir tatsächlich das alte Denken durch das neue ersetzt haben. Und dieser Vorgang geschieht, gelinde gesagt, nicht über Nacht.
Das alte Denken ist der falsche Eindruck, den das sterbliche Gemüt von den Dingen hat. Wir könnten gewissermaßen sagen, daß das sterbliche Gemüt seine eigene „religiöse“ Ansicht besitzt, genauso wie es auch über alles andere eine eigene Ansicht hat, angefangen von Recht und Substanz bis hin zur Gesundheit.
Was ist die „religiöse“ Auffassung des sterblichen Gemüts? Man mag zum Beispiel den Eindruck haben, daß man sich bemüht, gut zu sein, aber dabei niemals völlig erfolgreich ist. Oder das Gefühl, daß man im wesentlichen materiell ist, aber verzweifelt danach strebt, geistiger zu werden. Das alles und noch viele andere Elemente gehören zu diesem „Glauben“ des sterblichen Gemüts — wie auch der Aberglaube, daß zuviel Gutes bedenklich sei und ins Gegenteil umschlagen könne. Wenn wir daher nicht bewußt und konsequent daran arbeiten, diese Meinungen durch christlich-wissenschaftliche Tatsachen zu ersetzen, werden wir finden, daß wir uns wahrscheinlich in alten religiösen Denkweisen verloren haben und uns noch immer darin bewegen.
Davor war Mary Baker Eddy auf der Hut. Sie erklärt: „Im Fleisch sind wir wie eine Scheidewand zwischen dem Alten und dem Neuen, zwischen der alten Religion, in der wir erzogen wurden, und dem neuen, lebendigen, unpersönlichen Christusgedanken, der heute der Welt geschenkt worden ist.“ Vermischte Schriften, S. 178.
In gewissem Sinn sind wir alle — selbst diejenigen, die immer Christliche Wissenschafter gewesen sind — in der alten Religion erzogen worden, weil das die grundlegende Schulung des sterblichen Gemüts ist. Wir werden davon nur frei, wenn wir buchstäblich dem Christus folgen. Und dieses Ablegen des Alten und Anziehen des Neuen besteht natürlich nicht nur darin, Gedanken zu denken, sondern kommt in dem Maße zustande, wie wir genügend geistige Disziplin zeigen, das auch zu leben, was wir denken. Jemand schrieb kürzlich in seinem Zeugnis: „Das war es, was ich lernen mußte: Wie wichtig es ist, Liebe zu leben und nicht nur, sie zu denken. Wie oft waren meine andächtigen Bemühungen einfach nur eine gedankliche Übung gewesen, die im Reich der Gedanken blieb, anstatt in die Tat umgesetzt zu werden. Es war an der Zeit zu handeln!“ Christian Science Sentinel, 21. April 1986, S. 739.
Mrs. Eddy machte die vorher erwähnte Erklärung während eines Ostergottesdienstes. Wahrscheinlich hatte sie ursprünglich nicht sprechen wollen. Aber nachdem der Geistliche, der den Gottesdienst leitete, seine Ausführungen beendet hatte, sprach sie einige Schlußworte. Dabei erklärte sie die neue und die alte Religion. Was sie den Zuhörern mitteilte, enthielt das Wesentliche ihrer Entdeckung und ihre tiefen Empfindungen über das wissenschaftliche Christentum. Sie sprach mit großem Ernst von der Notwendigkeit, das alte Bewußtsein von Seele in der Materie oder im physischen Sinn aufzugeben. „Wir gehen fehl, wenn unser Bewußtsein von Sünde, Krankheit und Tod erfüllt ist. Das ist das alte Bewußtsein.“ Verm., S. 179.
Wir hätten Mrs. Eddy wahrscheinlich ganz anders zugehört als anderen Rednern. Wir hätten vielleicht das Gefühl gehabt, als ob der ganze Kirchenraum von Licht durchflutet wäre und es mehr Zuversicht und Heilung gäbe. Die Wahrheit, die sie ständig erkannte, verlieh ihren Worten eine ungewöhnliche Macht. Die Leute konnten sich manchmal nicht über Mrs. Eddys äußere Erscheinung einigen. Aber sie stimmten gewöhnlich darin überein, daß sich ihnen eine neue Sicht eröffnet hatte, ein unerwartetes Panorama von Ideen, die zu denken sie sich nicht in der Lage geglaubt, Fähigkeiten, deren sie sich nicht bewußt gewesen, eine geistige Liebe und Freude, die sie zuvor nicht gespürt hatten.
Das ist die Wirkung des Christus, wie ihn die Christliche Wissenschaft kennt. Für Mrs. Eddy lebte der Christus; er war nicht im Tode und nicht in der Vergangenheit verloren. Das war ihre gute Botschaft, ihr neues Evangelium, daß der Christus hier bei uns ist. Derselbe Christusgeist, der den Meister zu dem machte, was er war, ist immer noch hier, und dies führt zu Heilung, heute genauso wie damals.
Wir können erkennen, daß durch eine Entdeckung wie diese natürlich notwendigerweise vieles veraltet, was Glaubensbekenntnisse und Doktrinen betrifft. Besteht deren Zweck doch hauptsächlich darin, in der Gegenwart an etwas aus der Vergangenheit zu erinnern. Aber wenn man merkt, daß das, dessen man zu gedenken versucht, immer noch gegenwärtig ist, verändert sich unser Ausblick.
Nehmen wir einmal an, es wird ein Gedenkgottesdienst abgehalten für einen Einhandsegler, der bei dem Versuch, die Welt zu umsegeln, verschollen ist. Während der Feier kommt dieser Segler jedoch herein. Man kann sich die Freude aller vorstellen — die Freude der Familie und derer, die sich versammelt hatten. Man kann auch verstehen, daß dieses Ereignis nahezu das ganze Programm umstoßen würde. Worauf es vor allem ankäme, wäre, den Segler selbst zu hören. Die Lobreden und ergreifenden Erinnerungen würden in der unmittelbaren Gegenwart des Zurückgekehrten überflüssig.
Genauso entdeckte Mrs. Eddy, daß der Christus hier ist. Sie hat die bemerkenswerten, heilenden Wirkungen dieser Entdeckung in ihrem eigenen Leben erfahren und sie auch bei ihren Schülern gesehen. Sie verstand, daß das Sich-Öffnen des Denkens, durch das man erkennt, daß Gott, Geist, das wirkliche und einzige Leben des Menschen ist — ein Leben, das weder in der Materie ist, noch von ihr abhängt —, die Wirkung des Christus oder der Wahrheit darstellt. Mrs. Eddy sagte in ihren Ausführungen bei dem Ostergottesdienst: „Eine liebe alte Dame fragte mich:, Wie kommt es ,daß Sie uns wiedergegeben sind? Ist Christus wieder zur Erde gekommen?'
,Christus hat uns nie verlassen', erwiderte ich, Christus ist Wahrheit, und Wahrheit — der unpersönliche Erlöser — ist immer hier.'“ Ebd., S. 180.
Mrs. Eddy sagt, daß sich ihre Kirche auf diesen Felsen, der Christus ist, gründen soll. Siehe Handbuch Der Mutterkirche, S. 19. Während es bei der alten religiösen Auffassung hauptsächlich um einen sündigen materiellen Menschen geht und darum, was er tun muß, um Gottes Hilfe wiederzuerlangen, zeigt die neue Religion, daß der Mensch tatsächlich weder in der Materie besteht noch von Gott getrennt ist. Es gibt nur eine Seele, und diese ist nicht im Sinn oder in der Materie. Der Mensch spiegelt diese Seele wider, und er ist geistig, nicht materiell.
Diese grundlegende wissenschaftliche Tatsache, die große Entdekkung, verleiht der Christlichen Wissenschaft auch weiterhin die Lebenskraft. Sie ist die Grundlage für jede christlich-wissenschaftliche Behandlung und Heilung. Und sie ist ebenso die einzig mögliche Grundlage für das Heilen von Sünde, das in der Christlichen Wissenschaft an erster Stelle steht.
Wir müssen uns von Zeit zu Zeit fragen, ob wir es dem sterblichen Gemüt nicht erlauben, unsere Auffassung von der Christlichen Wissenschaft in Religiosität umzuwandeln. Übernehmen wir eine im wesentlichen „religiöse“ Anschauung, anstatt uns durch die große wissenschaftliche Entdeckung — die Christliche Wissenschaft — zu ändern?
Das sterbliche Gemüt argumentiert verschlagen. Es sagt zum Beispiel, selbst wenn wir von der Entdeckung wissen, müssen wir doch ehrlich zugeben, daß wir zumindest im Augenblick Sterbliche in einer „nicht gerade geistigen Phase des Daseins“ seien. Es fragt dann, warum dies der Fall sei, und verliert leicht das Vertrauen auf Gott. Oder es veranlaßt uns, unsere Anstrengungen hauptsächlich darauf zu richten, von einem sterblichen Dasein zu einem geistigeren Dasein zu gelangen, und zwar durch die Verbesserung eines Sterblichen, damit er ein Unsterblicher werden kann.
Wissenschaftliches Christentum fordert, daß wir unseren Fortschritt von einem ganz anderen Standpunkt aus beginnen — dem von Christus veranschaulichten Standpunkt, daß der Mensch bereits geistig, sündlos und unsterblich ist. Das Beweisen der wissenschaftlichen Tatsache erfordert eine moralische und geistige neue Geburt, ein wachsendes geistiges Verständnis und praktisches Heilen. Aber die geistige Entdeckung muß angenommen und erfaßt werden.
Die Christliche Wissenschaft ist die Entdeckung, daß Gott und der Mensch als Sein Bild hier sind. Sie zeigt uns: Wenn wir Gott und Seinen Menschen durch das umgekehrte Fernglas der materiellen Sinne suchen, dann verfallen wir unvermeidlich der traditionellen Vorstellung von Gott und Seinem Bild, dem Menschen. Sie sind dann hoffnungslos weit entfernt und kaum bekannt. Aber alles beginnt sich zu ändern, wenn wahre Demut und Reinheit den Immanuel oder „Gott mit uns“ anerkennen. Wenn wir wirklich bemüht sind, das sündige Ego einer vermeintlichen Intelligenz in der Materie abzulegen, und der offenbarten Wissenschaft des Christus Raum geben, erkennen wir, daß Gott nahe und durchaus wirklich ist, und unser gegenwärtiges, geistiges, sündloses Menschentum wird außerordentlich verherrlicht. Wir lernen mit den Worten des Neuen Testaments zu sagen: „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilands.“ Lk 1:46, 47.
