Als ich in die erste Klasse ging, hatte ich eine Erfahrung, die scharf in meinem Gedächtnis eingeprägt blieb. Zum besseren Verständnis muß ich erwähnen, daß unsere Familie auseinanderbrach, als ich 16 Monate alt war, weil meine Mutter schwer erkrankt war. Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl verband jedoch die nähere Verwandtschaft, so daß über einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren Onkel und Tanten meinen Bruder und mich verschiedene Male in ihre Familien aufnahmen. Es waren finanziell schwere Zeiten; selten blieb Geld übrig für Extras.
In der Schule fehlte an dem betreffenden Tage das kleine Mädchen, das vor mir saß, und ich sah deutlich sichtbar unter ihrem Pult ein Centstück liegen. Als ich mich unbeobachtet fühlte, nahm ich die Münze und kaufte mir in der Pause einige Kekse; das ganze Jahr über hatte ich mich schon so danach gesehnt.
Doch kurz darauf mußte ich feststellen, daß ich die Kekse nicht herunterkriegen konnte. Instinktiv wußte ich, daß ich etwas Unrechtes getan hatte, und im Innersten spürte ich, daß ich so etwas nie wieder tun könnte. Keine menschliche Stimme hatte mich gewarnt. Doch hatte eine klare Botschaft, wenn auch nicht für das Ohr wahrnehmbar, ein fünfjähriges Kind erreicht, und es lernte eine eindeutige Lektion.
Ungefähr ein Jahr später kam die Christliche Wissenschaft in unser Leben. Meine Mutter wurde durch sie geheilt; sie kehrte zurück, die Familie wurde gefestigt und gestärkt. Im Laufe der Zeit sind die Lehren dieser Wissenschaft zu einem integrierenden Bestandteil meines Lebens geworden. Ich habe dabei oft daran denken müssen, was geschah, nachdem ich das Centstück an mich genommen hatte, und mir ist klar geworden, wie wichtig die moralischen Forderungen des göttlichen Gesetzes für die menschliche Erfahrung sind. Seitdem ist mir die reale geistige Kraft bewußt geworden, die in folgendem Satz aus Wissenschaft und Gesundheit enthalten ist: „Moralische Bedingungen werden sich immer als harmonisch und gesundheitbringend erweisen.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 125.
Die moralischen Eigenschaften, wie sie in den Zehn Geboten verkörpert werden, waren in unserer Familientradition tief verankert, und daß es wichtig war, diesem Gesetz gehorsam zu sein, das zeigte sich in meiner Erfahrung, weil es mir im täglichen Leben tief ins Bewußtsein eingegraben worden war. Ich habe mich immer bemüht, moralische Eigenschaften auszudrücken, und das hat mir als Ehefrau und Mutter sehr geholfen und hat dazu beigetragen, daß in unserer Familie ein festes moralisches Fundament gelegt wurde. Wenn wir moralische Eigenschaften lieben und leben, bringen wir damit Gutes auch in das Leben unserer Mitmenschen.
Aber die Wissenschaft des Christus führt uns noch weiter. Sie fördert nicht nur den Gehorsam gegen das moralische Gesetz, sie zeigt uns auch, daß dieses Gesetz in Wirklichkeit der göttlichen Liebe entspringt, die ja Gott selber ist, immer gegenwärtig und immer wirksam. Aus dieser Liebe geht jene göttliche Gnade hervor, die erlöst und heilt. Die Mission, die Gott Christus Jesus gab, machte das überaus deutlich. Im Johannesevangelium heißt es: „Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Joh 1:17.
Da Gott Liebe ist, der Ursprung aller gerechten Gesetze, und Liebe sie durchsetzt, liegt das Gesetz der Liebe der göttlichen Schöpfung zugrunde und unterstützt sie. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß der eine Gott — der göttliche Geist, das einzige Gemüt oder die einzige Intelligenz, das allem zugrunde liegende Prinzip — das Universum, darunter auch Seine Kinder, in vollkommener Übereinstimmung mit dem Gesetz der Liebe erhält. Jede echte Eingebung hat ihren Ursprung im Gemüt. Jede rechte Idee spiegelt das göttliche Prinzip wider. Alles Gute kommt von dem Vater des Guten, dem einen Gott. Da wir die Söhne und Töchter dieses alliebenden Vaters sind, können wir uns niemals außerhalb des Geltungsbereiches Seines Gesetzes befinden.
Es könnte kaum eine bessere Darstellung von Gottes universaler Vaterschaft geben als den Bericht im Lukasevangelium über den Knaben Jesus. Jesus war mit Maria und Josef zum Passafest nach Jerusalem gegangen. Auf der Rückreise stellten diese fest, daß er sich nicht mehr in ihrer Reisegruppe befand. Wahrscheinlich hatte Maria geglaubt, Jesus sei bei Josef gewesen, und umgekehrt. Wie dem auch sei: Maria und Josef waren offensichtlich tief besorgt.
Sie kehrten nach Jerusalem zurück und fanden Jesus im Tempel, wo er den Rabbinern zuhörte und ihnen Fragen stellte. Maria fragte bekümmert: „Mein Sohn, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Jesus antwortete: „Warum habt ihr mich gesucht? Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?“ Und doch war klar, daß Jesus seine menschliche Familie liebte und achtete. „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. “ Lk 2:48, 49, 51. Diese Achtung und dieser Gehorsam stimmten nicht nur mit dem mosaischen Gesetz überein, sondern deuteten auch jene höhere Auffassung von Liebe an, jene Christlichkeit, die Jesus als der Messias so vollständig und so vollkommen verkörperte.
Ausgehend von der Tatsache, daß der Mensch eins ist mit dem himmlischen Vater und als vollkommener Sprößling des vollkommenen göttlichen Prinzips sündlos ist, versichert uns die Christliche Wissenschaft, daß uns das göttliche Gesetz in jeder Situation führt. Diese Wissenschaft lehrt Eltern und Kinder, daß sie sich in Zeiten der Not auf Gott verlassen können. Sie macht das Denken für geistige Intuitionen empfänglich, durch die Fehler vermieden werden können. Und selbst wenn Fehler gemacht werden und wir das Gefühl haben, daß unsere Kinder oder wir selbst am wenigsten Gottes Liebe verdienen, können wir die Führung des göttlichen Gesetzes finden und ihm folgen, indem wir uns Gott demütig zuwenden.
Wir können nicht immer bei unseren Kindern sein. Nur unser aller Vater kann das; und Seine Engel — Seine Gedanken — sind immer bei uns. Wenn wir dies verstehen, erkennen wir, daß das eine Gemüt, die göttliche Liebe, immer gegenwärtig und immer verfügbar ist und die menschliche Not stillt, egal, wo unsere Kinder sind und wie alt sie sind. Diese Argumentation hilft, unsere Gedanken und Gebete zu lenken, wenn die heranwachsende Tochter oder der halbwüchsige Sohn schon längst hätte zu Hause sein sollen oder wenn unser Kindergartenking in punkto Ehrlichkeit einfachste Entscheidungen treffen muß.
Während der Jahre des Auszugs aus Ägypten in das Gelobte Land hielt das mosaische Gesetz die Kinder Israel unter einem Gott zusammen. Das moralische Gesetz der Zehn Gebote bereitete das Denken darauf vor, die Christus-Botschaft zu empfangen, die Jesus brachte — die Botschaft von Gottes Liebe zu allen Seinen Kindern. Viele, deren Lebensgeschichte in der Bibel enthalten ist, wie Abraham, Isaak, Jakob und Mose, empfingen das Wort Gottes mit seinen geistigen und moralischen Forderungen durch klare göttliche Botschaften. Für das Kind Samuel war es ein hörbarer Ruf, den es dreimal vernahm. Zu dem Propheten Elia kam es als ein „stilles, sanftes Sausen“. Die großen Propheten Jesaja und Jeremia brachten Gottes Volk göttliche Botschaften des Trostes und der Warnung.
Gottes Wort ist durch alle Zeiten hindurch in unterschiedlichem Grade gehört und verstanden worden, und zwar von „einfachen“ Männern und Frauen ebenso wie von solchen, die man Propheten nannte. Wissenschaft und Gesundheit versichert uns der Allgegenwart von Gottes Wort: „Ein ,stilles sanftes Sausen' des wissenschaftlichen Gedankens erstreckt sich über Land und Meer bis zu den fernsten Grenzen des Erdballs. Die unhörbare Stimme der Wahrheit ist für das menschliche Gemüt, wie wenn, ein Löwe brüllt'. Sie wird in der Wüste und an dunklen Orten der Furcht gehört.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 559.
In der Bibel finden wir das Wort Gottes. Durch die Lehren der Christlichen Wissenschaft erhält dieses Wort praktische, lebendige Bedeutung. Jeder, der auch nur im kleinen Gottes Gesetz gehorsam ist, hat die süße Zusicherung, daß er, sei er nun ein Erwachsener oder ein Kind, die Botschaft von unserem Vater-Mutter Gott hören kann, die er heute braucht!
