Als ich in die erste Klasse ging, hatte ich eine Erfahrung, die scharf in meinem Gedächtnis eingeprägt blieb. Zum besseren Verständnis muß ich erwähnen, daß unsere Familie auseinanderbrach, als ich 16 Monate alt war, weil meine Mutter schwer erkrankt war. Ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl verband jedoch die nähere Verwandtschaft, so daß über einen Zeitraum von ungefähr fünf Jahren Onkel und Tanten meinen Bruder und mich verschiedene Male in ihre Familien aufnahmen. Es waren finanziell schwere Zeiten; selten blieb Geld übrig für Extras.
In der Schule fehlte an dem betreffenden Tage das kleine Mädchen, das vor mir saß, und ich sah deutlich sichtbar unter ihrem Pult ein Centstück liegen. Als ich mich unbeobachtet fühlte, nahm ich die Münze und kaufte mir in der Pause einige Kekse; das ganze Jahr über hatte ich mich schon so danach gesehnt.
Doch kurz darauf mußte ich feststellen, daß ich die Kekse nicht herunterkriegen konnte. Instinktiv wußte ich, daß ich etwas Unrechtes getan hatte, und im Innersten spürte ich, daß ich so etwas nie wieder tun könnte. Keine menschliche Stimme hatte mich gewarnt. Doch hatte eine klare Botschaft, wenn auch nicht für das Ohr wahrnehmbar, ein fünfjähriges Kind erreicht, und es lernte eine eindeutige Lektion.
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