Die frühchristliche Kirche war eine mächtige Kraft — ja eine so mächtige Kraft, daß sie buchstäblich den Lauf der Geschichte veränderte. Gelehrte und Beobachter des sozialen Geschehens im Römischen Reich mögen im ersten nachchristlichen Jahrhundert die wahre Bedeutung oder die mögliche Reichweite des Einflusses solch einer kleinen Gruppe nicht geahnt haben. Dennoch geschah etwas durchaus Bemerkenswertes. Und das Gute, das die junge Kirche vollbrachte, stand in direktem Verhältnis zu ihrer Heiltätigkeit.
Die christliche Kirche war genaugenommen auf das geistige Heilen gegründet worden, und um ihrer Berufung auch heute treu zu bleiben, müßte die Kirche weiterhin so heilen, wie Jesus es gelehrt hat. Im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit, schreibt Mrs. Eddy: „Jesus gründete seine Kirche und behauptete seine Mission auf der geistigen Grundlage des Christus-Heilens.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 136. Und als der Erlöser seine Jünger in ihre heilende Arbeit einwies, gebot er ihnen unzweideutig: „Gehet hin in alle Welt ...“ Mk 16:15.
Aber vielleicht gehört der Ruf „Gehet hin in alle Welt“ mit zu jenen Aussprüchen, die in ihrer vollen Bedeutung äußerst schwer zu verstehen und vor allem schwer zu befolgen sind. Würde es nicht bedeuten, daß die Christen fast ständig ihre Prioritäten neu bewerten müßten, daß sie ehrlich bereit sein müßten, direkt auf die Welt zuzugehen, während sie sich zugleich von der weltlichen Gesinnung fernhalten?
Mrs. Eddy gründete die Kirche Christi, Wissenschafter, um Christus Jesus nachzufolgen — um die ganze Menschenfamilie zu heilen und zu erlösen. Mrs. Eddy hätte sicherlich nie gewollt, daß aus ihrer Kirche eines Tages eine Art Museum werden würde, in dem die Welt einige kuriose Relikte des viktorianischen Idealismus oder einige ehrwürdige Antiquitäten des frommen Optimismus des späten 19. Jahrhunderts betrachten könnte. Vielmehr weist alles, was Mary Baker Eddy über die Kirche zu sagen hat — und alles, was sie zur Leitung ihrer Kirche getan hat —, auf geistige Dynamik, Spontaneität, auf eine neugeborene Energie, Vitalität und vorwärtsdrängendes Leben hin. Mrs. Eddy hat uns eine wahrhaft kraftvolle, lebendige Aufgabe gestellt, die nach wie vor gültig ist: die Aufgabe, das heilende Evangelium des Christus mit der Menschheit zu teilen.
Doch vielleicht ist dem menschlichen Gemüt — da es nicht immer zu Fortschritt bereit ist — nicht ganz wohl bei dem Gedanken, daß eine Kirche gezielt versucht, allen Menschen in der Welt zu helfen. Aber war nicht die Kirche schon immer für die Menschen dieser Welt bestimmt — und darunter die Kranken, die Leidenden, die mit Sünde Beladenen? Vielleicht sollten wir auch gar nicht erwarten, daß wir uns rundum wohl fühlen, während unsere Kirche auszieht, um die Menschheit zu heilen und zu retten. Vielleicht verfehlt man sogar das Ziel, wenn man sich bei dieser Aufgabe „wohl“ zu fühlen hofft, ja es könnte sich geradezu als hinderlich auswirken für den Fortschritt der Kirche wie auch für die geistige Entwicklung des einzelnen.
Wenn sich unser Denken lediglich mit dem Status quo zufriedengibt, mit dem bloß Hergebrachten, mit abgenutzten Mitteln und Wegen, läuft es Gefahr, selbst zu verkümmern und sich aus Mangel an inspirierter Tätigkeit abzunutzen. Aber Frische, Neuheit und Originalität sind Teil des individuellen Bewußtseins, das mit Christus, Wahrheit, erfüllt ist. Und dieselben Eigenschaften gehören auch wesentlich zu der Kirche, die mit Christus, Wahrheit, erfüllt ist.
Bedeutet das nun, daß alle Arbeiten und Aktivitäten, die in der Geschichte einer Kirche vorgekommen sind, unwichtig oder unnötig sind und daher nicht schätzensoder beachtenswert? Weit gefehlt! Die Geschichte einer religiösen Bewegung, die gemeinsamen Erfahrungen durch die Jahre, sind eine Schatztruhe praktischer Weisheit.
In den vergangenen hundert Jahren der Kirche Christi, Wissenschafter, gab es viele Beispiele für inspirierte Anleitung und Führung. Wenn wir verstehen, was vor uns gewesen ist und was Mary Baker Eddy und all die hingebungsvollen Arbeiter in früheren Zeiten unter großen Opfern geleistet haben, lernen wir viele wertvolle Lektionen. Dennoch könnte eine Institution, die ihren Zweck erfüllen will, insbesondere wenn sie den Zweck hat, weltweit zu heilen und zu retten, unmöglich rückwärts gewandt leben, ohne vor der sehr realen Möglichkeit ihrer Auslöschung zu stehen.
Wie bringt man es nun aber fertig, diese beiden Aspekte miteinander zu verbinden: einmal aufrichtige Anerkennung und Engagement für die grundlegenden, geistig demonstrierten Mittel und Wege der Kirchenarbeit, die von Mary Baker Eddy eingeführt wurden, und zum anderen eine geistig bedingte Wachsamkeit und Bereitschaft, sich, wie Mrs. Eddy es nennt, „auf der Höhe der Zeit“ Handbuch Der Mutterkirche, Art. VIII Abschn. 14. zu halten?
Die Antwort besteht zum Teil darin, daß wir unseren Blick schärfen müssen für die Beziehung zwischen der grundlegenden geistigen Substanz dessen, was unsere Kirche ist, und den praktischen Mitteln, mit denen unsere Kirche in der heutigen Zeit ihre Aufgabe am besten erfüllen kann. Wir müssen die zugrundeliegende geistige Ursächlichkeit oder göttliche Kraft klar erkennen, die den Anstoß gibt für alles, worum es in unserer Kirche geht. Und nochmals: Unserer Kirche muß es immer ums Heilen gehen. Der göttliche Antrieb ist das dauerhafte geistige Fundament, das uns die Fähigkeit gibt, eine Kirche zu sein und wie eine Kirche zu handeln. Das ist es auch, was der Kirche die Kraft gibt zu überleben und vorwärtszuschreiten, selbst inmitten einer weitgehend materialistischen, eigennützigen, übermäßig mit sich selbst befaßten Gesellschaft. Das geistige Fundament ist die Einheit der Kirche mit Christus, der, wie es in der Bibel heißt, „gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“ Hebr 13:8. ist. Das geistige Fundament, der grundlegende Zweck, die Menschheit zu erheben und zu heilen, kann und darf sich nie ändern.
Aber wie steht es mit den praktischen Mitteln, um diesen Zweck zu erfüllen? Müssen sich nicht einige davon notwendigerweise ändern, wenn sich die Zeiten ändern?
Damit man „auf der Höhe der Zeit“ sein kann, muß man die Zeitlosigkeit der geistigen Wahrheit in ihrer augenblicklichen Anwendbarkeit auf heutige Belange verstehen. In vielerlei Hinsicht sind sich die individuellen Bedürfnisse der Menschen weitgehend gleich geblieben — Kummer, Einsamkeit, Krankheit, Armut, Hoffnungslosigkeit und Sünde sind im späten 20. Jahrhundert nicht viel anders als im späten 19. Jahrhundert. Doch so sehr sich diese Probleme auch gleichen, es gibt daneben eine ganze Reihe neuer Herausforderungen: radioaktiver Müll, chemische und biologische Kriegsführung, Ölkatastrophen auf den Weltmeeren; dann die Notwendigkeit, eine Weltbevölkerung von mehr als fünf Milliarden zu ernähren, zu bekleiden und ihr Obdach zu geben; ferner die Zerstörung der Ozonschicht, saurer Regen, weitverbreitete Vernichtung der lebensnotwendigen tropischen Regenwälder, steigende Inflationsraten und beispiellos hohe Staatsverschuldung.
Diese Probleme scheinen uns so übergroß, daß wir kaum darüber nachdenken, geschweige denn etwas dagegen tun. Aber kann eine Kirche etwas zu diesen riesigen Problemen sagen? Hat die Kirche Christi, Wissenschafter, etwas zur Lösung der großen Weltprobleme wie auch der kleineren Probleme „vor der eigenen Haustür“ zu bieten?
Die Wissenschaft des Christus weist uns den Weg zur Heilung aller Probleme, die sich in der gesamten Breite der menschlichen Erfahrung zeigen, aber es ist nicht leicht, „auf der Höhe der Zeit“ zu bleiben. Doch genau das strebt unsere Kirche aufrichtig an — und tut sie auch. Und wenn das durch die Kraft und den Geist Christi geschieht, spüren es die Menschen ganz intuitiv. Sie reagieren darauf. Sie empfinden in gewissem Maße die Wärme der göttlichen Liebe. Sie erblikken etwas von dem Licht der göttlichen Wahrheit, wie es auf ihr heutiges Leben einwirkt. Und Heilung folgt.
Es ist weiterhin entscheidend, daß die Information darüber, was die Christliche Wissenschaft ist und was sie der Menschheit bietet, auf breitester Basis und so effektiv wie möglich geschieht. Wir müssen uns der ganzen Menschheit zuwenden und sie in unsere Bemühungen mit einschließen. Wir können nicht nur für einen ausgewählten Teil der Menschheit leben, denn das würde bald dazu führen, daß wir nur noch für den engsten Familienkreis und schließlich vielleicht nur noch für uns selbst leben. Um es nochmals zu sagen, das Gebot des Meisters lautet: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur“ und: „Macht Kranke gesund“.
Darum geht es der Kirche Christi, Wissenschafter. Und deshalb muß sie weiterhin immer „neu“ sein, immer ein heilender Einfluß.
