Wir brauchen uns vom Alter nicht ins Abseits drängen zu lassen. Wir können nach wie vor etwas leisten, erreichen, lernen, etwas geben. Wie der folgende Bericht veranschaulicht, hat ein Verständnis von Gott, dem nie endenden Leben und der nie endenden Liebe, und die Fähigkeit, Ihn in unserem Leben an die erste Stelle zu setzen, wesentlichen Einfluß auf unsere Lebensweise, unsere Arbeit und die Liebe, die wir anderen entgegenbringen. , Mutter und Großmutter, ehemalige Journalistin und langjährige Christliche Wissenschafterin, berichtet von einer Erfahrung, die in bezug auf Arbeitsplatzsuche von ganz besonderer Bedeutung ist.
An dem Tag, an dem ich erfuhr, daß mein Mann sich von mir scheiden lassen wollte und ich mein Zuhause verlieren würde, befand ich mich schon ein Jahr im Ruhestand. Wir lebten in einer Stadt hoch in den Bergen, und ich war 60 Jahre alt.
Zuerst fühlte ich mich zutiefst gedemütigt. Dann überkam mich Zorn. Ich war der Ansicht, eine gute Ehefrau gewesen zu sein und mir nichts vorwerfen zu müssen. Ich war in der Kirche aktiv gewesen, hatte in der Sonntagsschule unterrichtet und jeden Tag die Bibellektion aus dem Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft gelesen. Dies war für mich der Gipfel der Ungerechtigkeit. Das hatte ich nicht verdient. Auch war ich sehr beunruhigt, weil ich keinerlei eigene Mittel hatte und unser zwölfjähriger Sohn und ich nicht wußten, wo wir unterkommen konnten, und ich nicht die leiseste Vorstellung hatte, wie ich wieder im Berufsleben Fuß fassen konnte.
Vorübergehend fand ich Zuflucht im Haus einer Cousine, einer Christlichen Wissenschafterin. Ich war völlig verstört und verging geradezu in Selbstmitleid. Ich mußte daran denken, was Jesus seinen Jüngern gesagt hatte, als sie sich in Kummer und Verwirrung zu verlieren drohten und zu ihrem alten Leben und ihrer Arbeit als Fischer zurückkehren wollten: „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden.“ Aber ich wußte nicht genau, wie ich das machen sollte. Meine Cousine, die kurz vorher Witwe geworden war, hatte nicht viel übrig für mein Selbstbedauern. „Was du brauchst“, sagte sie ohne Umschweife, „ist eine Arbeit.“
„Aber ich bin doch viel zu alt, um noch einen Arbeitsplatz zu finden“, hielt ich ihr entgegen.
Arbeit ist die Aktivität rechter Ideen, erinnerte sie mich. Und es gibt keine Altersgrenze für rechte Ideen. „Du hast uneingeschränkten Zugang zu diesen Büchern“, sagte sie. „Benutze sie!“ Und dabei zeigte sie auf meine Bibel und auf Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy. Ich hatte die Bibellektion für die betreffende Woche noch nicht gelesen. Dann gab sie mir das Liederbuch der Christlichen Wissenschaft und verließ das Zimmer. Ich nahm es und schlug das Lied Nr. 324 auf. Das war der Beginn meiner Heilung.
Das Lied beginnt mit den Worten: „Nimm mein Leben, laß es Dir, / Gott, geweiht sein für und für.“ Zuerst beschäftigte mich der Gedanke: Was ist Leben eigentlich? Ist das Leben wirklich nur ein Gewirr von menschlichen Kränkungen und Fehlschlägen, so wie wir es in rührseligen Fernsehserien dargestellt finden — eine Verkettung von Katastrophen? Nein, das ist es nicht; Leben ist das Bewußtsein von Gott, von der ständigen Gegenwart Seiner Macht. In einem Wörterbuch wird weihen folgendermaßen definiert: „für heilig erklären; sich einem heiligen Werk verschreiben.“ Tat ich das wirklich, weihte ich mein Leben Gott? Nein, denn mein Denken war von Zorn und Groll, Mißtrauen und Rachsucht erfüllt. Sich einem guten Werk zu weihen, konnte man das ganz sicher nicht nennen! Ich beschloß also, es besser zu machen und mein Leben wirklich Gott, dem Guten, zu weihen.
„Jede Stunde meiner Zeit / Preise Deine Herrlichkeit!“ Preisen war besser als Selbstmitleid — das wußte ich. Und so setzte ich preisen zu weihen auf meine Prioritätenliste. In dem Lied heißt es dann weiter: „Nimm die Hände, laß sie nun / Alles nur aus Liebe tun.“ Ich war im Haus meiner Cousine. Sie war zur Kirche gegangen, und es war schmutziges Geschirr in der Spüle zurückgeblieben. Also stand ich auf und wusch ab, um meine Hände etwas aus Liebe tun zu lassen.
Das Lied geht folgendermaßen weiter:
Laß auch meine Füße sich
Regen, Gott, allein für Dich.
Meine Stimme, laß sie sein
Dein Verkünder klar und rein.
Jedes Wort aus meinem Mund
Mache froh Dein Wesen kund.
All mein Denken, nimm es hin,
Füll’ es ganz nach Deinem Sinn.
All mein Lieben, nimm es ganz,
Dein ist all sein Glück und Glanz.
Ich bin Dein, und ewiglich
Bist Du alles nur für mich.
All die Jahre hatte sich meine Liebe fast ausschließlich auf einen einzigen Menschen konzentriert. Jetzt erkannte ich, daß sie sich auf Gott konzentrieren mußte. Das gab mir einen höheren Begriff von Liebe, und ich war entschlossen, ihm Ausdruck zu geben. Mrs. Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit: „Alles, was den menschlichen Gedanken auf gleicher Linie mit selbstloser Liebe erhält, empfängt unmittelbar die göttliche Kraft.“ Ich konnte selbstlos lieben; ich konnte mein Leben Gott weihen. Und ich konnte meinen Nächsten lieben wie mich selbst. Ich konnte alles und jeden lieben, mit dem ich im täglichen Leben in Berührung kam!
Kurz darauf schickte mir eine Bekannte die Werbeanzeige einer höheren Schule. Sie schrieb: „Du könntest an diese Leute schreiben und fragen, ob sie dich gebrauchen können.“ Ich schrieb ihnen und sie antworteten und schrieben: „Wahrscheinlich haben wir eine Stelle für Sie, aber Sie müssen zu einem persönlichen Vorstellungsgespräch kommen.“ Die Schule war zweieinhalbtausend Kilometer entfernt! Aber ich konnte mir einen Geländewagen leihen und mit meinem Sohn zu dieser Schule fahren. Das Vorstellungsgespräch fand statt. Man bot mir eine Stelle an, und mein Sohn konnte kostenlos die Schule besuchen. Wir nahmen an.
Meine erste Aufgabe bestand darin, eine Spendenaktion zu organisieren. Mir standen die nötigen Hilfsmittel zur Verfügung, und ich besaß die erforderlichen Qualifikationen. Aber ich war immer noch empört über meinen geschiedenen Mann — und bald fing ich an, mich auch über die Schule und überhaupt über jeden zu ärgern. Das war nicht der Himmel, den vorzufinden ich erwartet hatte. Es kam zu Rivalitäten, und es gab Klatsch und Kleinlichkeiten. Ich mußte etwas dagegen tun. Und so arbeitete ich mit folgenden Zeilen aus Wissenschaft und Gesundheit: „Unsterbliche Ideen, rein, vollkommen und von ewiger Dauer, werden vom göttlichen Gemüt durch die göttliche Wissenschaft übermittelt, die den Irrtum durch die Wahrheit berichtigt und geistige Gedanken, göttliche Begriffe, zu dem Zweck fordert, daß sie harmonische Resultate hervorbringen mögen.“ Auch mit einer anderen Erklärung auf der gleichen Seite beschäftigte ich mich: „Das christusgleiche Verständnis vom wissenschaftlichen Sein und vom göttlichen Heilen umfaßt als Grundlage des Gedankens und der Demonstration ein vollkommenes Prinzip und eine vollkommene Idee — einen vollkommenen Gott und einen vollkommenen Menschen.“ Es wurde mir klar, daß ich als erstes meinen geschiedenen Mann aufrichtig lieben — und ihm vergeben — mußte.
In Wissenschaft und Gesundheit heißt es: „Liebe ist unparteiisch und allumfassend in ihrer Anwendbarkeit und in ihren Gaben.“ Wenn man wirklich liebt, liebt man unpersönlich — man liebt den wirklichen Menschen, Gottes geistiges Bild und Gleichnis. Als ich anfing, so zu lieben, verblaßten der Schmerz, die Enttäuschung und die Frustration. Und ich entwickelte die Fähigkeit, die Täuschungen der Sterblichkeit zu durchschauen und die wahre, geistige Natur der Menschen zu sehen und zu lieben, ganz gleich, um wen es sich handelte. In dem Maße, wie ich das tat, wurde ich wirklich glücklich und recht erfolgreich. Und als sich mein Denken durch diesen höheren Begriff von Liebe erweiterte, wurde auch mein Leben immer mehr bereichert.
Ich erhielt mehrere Gehaltserhöhungen, und mir wurden verantwortungsvollere Aufgaben übertragen. Ich arbeitete mit Kindern, und es machte mir viel Freude. Ich machte Töpferkurse mit, ich malte, schrieb und lernte sogar Fotografie.
Auch meine Einstellung zu meiner Arbeit änderte sich im Zuge dieser ganzen Erfahrung. Viele, viele Jahre lang hatte ich die verschiedensten Arbeitsplätze gehabt und war nie ohne Arbeit gewesen. Aber ich hatte mich immer auf meine Fähigkeiten und mein eigenes Ich verlassen, um diese Stellen zu bekommen. Das heißt, ich sagte immer: „Ich kann das. Ich kann eine Stelle bekommen“ anstatt: „Gott hat einen Platz für mich.“ Gott hatte wenig mit der Sache zu tun. Ich glaubte, daß es in Wirklichkeit auf meine Fähigkeiten und meine harte Arbeit ankam. Deshalb war es mir besonders schwer gefallen, damit fertig zu werden, daß ich plötzlich wieder arbeiten mußte, nachdem ich mich schon im Ruhestand befunden hatte. Ich begann nun, Berufstätigkeit in einem geistigeren Licht zu sehen.
Durch die Christliche Wissenschaft erkannte ich, daß harte Arbeit nicht genug ist. Unsere Arbeit muß der Verherrlichung Gottes dienen. Und wenn unsere Arbeit der Verherrlichung Gottes dient und nicht unserer eigenen, dann haben wir tatsächlich viel zu tun. Dann sind wir stets voll-beschäftigt.
Es kam dazu, daß ich anfing, für die Schule zu beten, indem ich mir klar machte, daß sie nicht von Personen, sondern von Gott geleitet wurde. Einmal mußte die Schule etliche Lehrkräfte entlassen, weil nicht genug Geld hereinkam, um alle Angestellten halten zu können. Es war für alle schwer. Ich erinnere mich, daß ich damals betete: „Gott, hilf mir, der Schule zu helfen.“ Es geschah etwas sehr Interessantes. In dem betreffenden Sommer unternahm ich eine Reise nach Hawaii, und dort erzählte mir jemand von einem Freizeitprogramm für Jugendliche. Ich kam zur Schule zurück und sagte: „Wir sollten versuchen, uns an diesem Programm zu beteiligen, denn diese Leute brauchen einen Veranstaltungsort für ihr Sommerprogramm.“ Und stellen Sie sich vor, wir konnten uns an diesem Programm beteiligen und konnten damit tatsächlich die Zeit der Sommerferien überbrükken. Es wurde zu einer dauerhaften Lösung. Die Leute an der Schule, die sonst während des Sommers ohne Beschäftigung gewesen wären, wurden nun für die Durchführung des Freizeitprogramms gebraucht.
Die Zeit an dieser Schule war sehr bereichernd für mich — die Arbeit mit Jugendlichen ebenso wie der Einsatz für eine bessere Erziehung. Während der zwanzig Jahre, die ich dort war, entwickelte ich viele neue Fähigkeiten; ich unternahm mehrere Reisen ins Ausland, unterrichtete, organisierte ein Seminar über das aktuelle Weltgeschehen, schrieb und entwarf und veröffentlichte viel Werbematerial sowie Schulkataloge und eine Geschichte der Schule. Es waren Jahre der Erfüllung — fruchtbare Jahre. Und obwohl ich mich nun seit einigen Jahren im Ruhestand befinde (zum zweiten Mal!), bin ich immer noch sehr beschäftigt.
Was beweist das nun? Mir bewies es, daß dem Menschen, was sein Betätigungsfeld angeht, keine Grenzen gesetzt sind und seiner Leistungsfähigkeit und seinem Lernvermögen ebensowenig; er braucht weder Vereinsamung noch Versagen zu akzeptieren, und er braucht sich keiner Form des Verfalls zu beugen. Wir sind tatsächlich niemals zu alt, um zu arbeiten, wenn wir bereit sind, auf rechte Ideen — geistige Wahrheiten — zu lauschen und sie in die Tat umzusetzen, indem wir unser Leben Gott weihen und so zu lieben lernen, wie Er liebt.
Ich bin jung gewesen
und alt geworden
und habe noch nie den Gerechten verlassen gesehen
und seine Kinder um Brot betteln.
Psalm 37:25
