Wer Kennt Sie nicht, die Geschichte von Marta und Maria aus dem Lukasevangelium? Während sich Maria seelenruhig zu Jesus setzt und sich mit ihm in ein Gespräch vertieft, macht sich ihre Schwester Marta an ihren Aufgaben als Gastgeberin zu schaffen. Als sie Jesus bittet, er solle doch Maria auffordern, ihr bei diesen Pflichten behilflich zu sein, gibt Jesus eine überraschende Antwort: „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
Kommt uns diese Reaktion Jesu nicht recht seltsam vor? Ist es denn weniger wichtig, den anstehenden Verpflichtungen nachzugehen und das Geschäftliche, Alltägliche zu erledigen, als unser Verständnis von Gott zu entwickeln?
Lukas berichtet uns, daß sich Maria Jesus zu Füßen setzte und ihm zuhörte. Sie fühlte sich offensichtlich zur Gottesbotschaft hingezogen und ließ alles stehen und liegen, um sich ganz darauf zu konzentrieren.
Wie Maria, so bieten sich auch uns Gelegenheiten, geistig zu wachsen. Wir sind aber vielleicht so von unseren Pflichten überwältigt, daß wir glauben, wir hätten keine Zeit, um über unsere Beziehung zu Gott nachzudenken. Wenn wir das meinen, werden wir mit dem Unterschied zwischen einer sterblichen und einer unsterblichen Daseinsauffassung konfrontiert. Der sterbliche Sinn behauptet, wir seien materielle Wesen, für die Gott eine weit entfernte Gottheit ist, das heißt, wenn Er überhaupt gegenwärtig ist. Dieser sterbliche Sinn, der von Krankheit, Obdachlosigkeit und anderen Problemen spricht, ist uns durch Erziehung und Gewohnheit eingefleischt.
Die unsterbliche oder geistige Anschauung zeigt uns die Wahrheit über unser Wesen als Kind Gottes mit all den Rechten und Freuden, die das einschließt. Doch obgleich dieses geistige Wesen die Wirklichkeit unseres Lebens ist, müssen wir uns vielleicht bewußt bemühen, uns dem geistigen Sinn zu öffnen, uns ihm zuzuwenden, uns bewußt mit ihm zu befassen. Es ist jedoch der Mühe wert. Tun wir dies demütig, still und erwartungsvoll, so erkennen wir, daß wir völlig geistig, die Kinder Gottes sind. Wir lernen, daß die Stimme Gottes, der Wahrheit, in alle Weltlichkeit und Sterblichkeit hineindringt, die uns daran hindert, das Gute zu erkennen. Und wenn wir dieser Stimme folgen, finden wir bessere Gesundheit, größere Zufriedenheit und ein starkes Bewußtsein von Gottes liebevoller und beschützender Gegenwart in unserem Leben.
Immer wieder scheint der sterbliche Sinn dieses Licht in uns zu blokkieren, indem er behauptet, daß unsere täglichen Angelegenheiten wichtiger seien als unsere Beziehung zu Gott. Wenn wir das glauben, mögen wir einen überwältigenden Drang verspüren, mit dem Beten aufzuhören und uns sofort auf die anstehende Arbeit zu stürzen! Anstatt still und im Gebet über unsere Erledigungen nachzudenken, eilen wir vielleicht aufgeregt hin und her. Ist das der Fall, dann verfliegen alle ruhig auf Gott und Seine Ideen gerichteten Gedanken, und das Beten für uns selber und für die Welt wird beinahe unmöglich. Außerdem könnte uns der klare Begriff von unserer Geistigkeit verlorengehen. Wir sollten nicht den Fehler begehen, uns für Sterbliche zu halten, die immer nach dem Guten trachten, aber nicht imstande sind, dauernden Fortschritt zu erzielen.
Durch den Einfluß des Christus, durch die Gottesbotschaft an die Menschheit — und durch unsere Erfahrungen — erkennen wir immer klarer, daß wir wirklich geistig sind. Wenn das geschieht, sehen wir ein, daß eine radikale Umwertung unserer Werte notwendig ist. Das Evangelium mit seiner frohen Botschaft von Gott, der uns liebt und der nur das Gute für uns will, muß unser Leben immer mehr erfüllen. Ja, wenn wir ihm absolut den ersten Platz in unserem Denken und Tun einräumen, finden wir größere Freude an allem, was wir tun, weil wir in unserem Leben vom Standpunkt der Geistigkeit — unserem wahren Wesen — ausgehen, anstatt zu glauben, wir seien unglückliche Sklaven der Materie. Unsere geistigen Erfahrungen lehren uns, daß wir selbst in kleinen Dingen nicht „zwei Herren" dienen können; wir können nicht „Gott dienen und dem Mammon", wie Christus Jesus erklärt (Matthäus). Dies wurde mir durch folgende Begebenheit klar.
Nach einigen Jahren täglichen Studiums der Christlichen Wissenschaft wurde ich mir eines Abends plötzlich bewußt, daß ich mich seit geraumer Zeit schwer und freudlos fühlte. Ebenso schnell kam mir der Gedanke, daß dies für einen echten Christlichen Wissenschafter nicht der gehörige Seelenzustand war. Ein Christlicher Wissenschafter weiß, daß der Mensch völlig geistig und von Gott untrennbar ist. Das löst Freude aus! Warum, so fragte ich mich, fühlte ich mich so bedrückt?
Die Selbsterforschung ergab, daß ich seit längerem mein tägliches Studium der Bibellektion im Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft vernachlässigt hatte. Diese Lektionen bestehen aus Stellen aus der Bibel und dem Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy. Mir wurde folgendes klar: Ich hatte es unterlassen, ernsthaft über das wahre Wesen meines Seins nachzudenken und zu beten, um mehr meiner wahren Geistigkeit gemäß zu leben; und diese Nachlässigkeit hatte mich in dieses Unbehagen hineingeführt. Ich erkannte, daß ich seit längerem mein Tagewerk auf einer rein äußerlichen, materialistischen Ebene erledigt hatte. Ich hatte es versäumt, eine geistige Anschauung der Dinge auf meine täglichen Angelegenheiten einwirken zu lassen. Sogleich nahm ich mir wieder täglich Zeit, um mein Verständnis von den göttlichen Wahrheiten über Gott und den Menschen zu vertiefen. Meine erneute Treue zu Gott und das Bewußtsein, daß ich von Ihm untrennbar bin, richtete mich innerlich schnell wieder auf und ließ mich erneut aufgeräumt und gut gestimmt sein.
Ich merkte, daß wir fälschlicherweise die Sterblichkeit akzeptieren, wenn wir uns durch Vorstellungen von materieller Dringlichkeit und Notwendigkeit davon abhalten lassen, unser Verständnis vom wahren geistigen Wesen des Menschen (unserem eigenen wahren Wesen) zu pflegen. Die Sterblichkeit will uns gefangennehmen mit detaillierten Bildern von Pflichten, die auf uns warten und die „unbedingt umgehend erledigt werden müssen"! Unser unkontrolliertes Bewußtsein geht nur allzu schnell und allzu bereitwillig auf diese materiellen Appelle ein. Und schon sind wir in Gefahr, unbesehen in die falsche Richtung zu rennen!
Da kommt einem ein eindringlicher Rat Mrs. Eddys in den Sinn. „Seid wachsam, nüchtern und achtsam", schreibt sie in Wissenschaft und Gesundheit. „Der Weg ist gerade und schmal, der zu dem Verständnis führt, daß Gott das einzige Leben ist. Es ist ein Kampf mit dem Fleisch, in dem wir Sünde, Krankheit und Tod besiegen müssen, entweder hier oder hiernach — sicherlich ehe wir das Ziel des Geistes oder das Leben in Gott erreichen können."
Geistige Achtsamkeit läßt uns das Wort Gottes reichlich aufnehmen; geistige Wachsamkeit befähigt uns, allem zu widerstehen, was unseren Begriff von Gottes Liebe und von der Gegenwart Seines Christus trübt. Geistige Ehrlichkeit und Selbsterkenntnis werden uns zeigen, ob wir das Wort Gottes im täglichen Leben richtig anwenden und durch unser Verhalten ausdrücken.
Eins ist not, wie Jesus sagt: Wir müssen Gott in allem, was wir tun, an die erste Stelle setzen und dürfen unter keinen Umständen von diesem Plan abweichen. Kommen wir dieser höchsten Pflicht getreulich nach, dann wird sich alles übrige in unserem Leben harmonisch ordnen.
Das bedeutet jedoch nicht, daß unsere täglichen Verpflichtungen und geschäftlichen Angelegenheiten minderwertig sind. Wenn wir beten, um von einem geistigen Standpunkt aus zu leben, lernen wir, sie weder unter- noch überzubewerten. Wir machen sie nicht zu Göttern, sondern packen sie von der moralischen und geistigen Basis aus an, die Jesus uns gegeben hat.
Wenn wir die Werte in unserem Leben von diesem geistigen Standpunkt aus betrachten, haben wir „das gute Teil“ erwählt. Wir fühlen innere Führung, Ruhe und Geborgenheit; wir erleben größere Sicherheit und Zufriedenheit. Und dieses gute Teil soll nicht von uns genommen werden!
