In Einer Der beliebten Operetten von Gilbert und Sullivan „Die Piraten von Penzance“ geht es an einer Stelle in herrlicher Leichtigkeit darum, daß der Held an einem 29. Februar geboren wurde, was ihn seinen fünften Geburtstag feiern läßt, als er tatsächlich einundzwanzig ist! Dieses „äußerst geniale Paradox“ wird wohlklingend besungen, und das Ergebnis ist rundum erfreulich.
Die im Christentum auftretenden Paradoxe lassen sich nicht ganz so einfach auflösen. So mag es uns zum Beispiel als die höchste Freiheit erscheinen, ganz für uns allein leben zu können, ohne uns um die Bedürfnisse anderer kümmern zu müssen. Bei genauerer Betrachtung der Evangelien jedoch stoßen wir auf ein christliche Paradox: Ein selbstsüchtiges Leben versklavt, der Dienst an Gott und unseren Mitmenschen hingegen macht frei.
Das allgemeine Denken, das das Leben als ein endliches, auf einer materiellen Struktur von Begrenzungen und willkürlichen Ereignissen beruhendes Phänomen betrachtet, will natürlich seine Möglichkeiten maximieren, soviel Gutes wie möglich für sich selbst zu bekommen. Es fühlt sich berechtigt, andere um des eigenen Vorteils willen zu manipulieren. Das Merkwürdige ist, daß ein Leben, das sich ausschließlich um das eigene Ich dreht, zunehmend unbefriedigender wird — und auf der Suche nach Erfüllung in immer größere Abhängigkeit von Menschen oder Dingen gerät.
Ist eine solche Abhängigkeit nicht auch eine Form von Sklaverei? Ist es wirklich Freiheit, wenn man es nötig hat, stundenlange Telefongespräche zu führen? Wenn man extra zum Einkaufen fahren muß, um Kaffee, Zigaretten oder Alkohol zu holen? Wenn man unter dem Zwang steht, jeden Samstagabend ausgehen zu müssen? Wenn man die Gegenwart eines anderen braucht, um Selbstbestätigung zu finden?
Während es fraglos Unfreiheit ist, Sklave des eigenen Ich zu sein, bringt uns der Dienst an Gott und unserem Mitmenschen Freiheit, und zwar indem wir Liebe zum Ausdruck bringen, die Liebe, die ihren Ursprung in Gott hat, der ewige Liebe ist. Es besteht ein Unterschied zwischen dem menschlichen Gefühl der Liebe und der Liebe, die Teil der göttlichen Natur ist und die stets befreit. Persönliche Liebe kann stark sein, aber auch schwach; übertrieben oder unzulänglich; vernünftig, aber auch schlecht beraten. Wenn wir unseren Umgang mit anderen auf menschliche Liebe gründen, kann aus Dienst am Nächsten leicht Knechtschaft werden. Die der göttlichen Liebe entspringende Liebe jedoch ist niemals und in keiner Hinsicht unzulänglich, niemals zerbrechlich.
Dies ist die Liebe, die Christus Jesus so eindrucksvoll vorlebte, als er seinen Jüngern kurz vor seiner Kreuzigung demütig die Füße wusch. Wenn er — als ihr Lehrer — ihnen die Füße wusch, sollten sie ganz gewiß das gleiche füreinander tun. Der Meister lehrte eine zeitlose Lektion: daß jeder von uns das endliche, materielle Ich voller Egoismus und Stolz um eines höheren Selbst willen verwerfen muß; eines Selbst, das als geistiges Bild oder geistige Widerspiegelung Gottes, des göttlichen Geistes — von Jesus „Vater“ genannt —, erschaffen wurde.
Niemand steht so hoch, daß er darüber erhaben ist, anderen zu dienen und zu helfen, und sei es auch nur in kleinen Dingen. Es ist der Christus — die geistige Idee der Gottessohnschaft des Menschen, die Jesus lehrte und lebte — der einen dazu bewegt, ein Leben des Dienstes am Nächsten zu führen, anderen Gutes zu tun. Der Christus ist die göttliche Macht, die am Werk ist, wenn Taten der Liebe getan werden. Als jemand, der diese Christusmacht demonstrierte, sagte Jesus zu seinen Jüngern: „Ich aber bin unter euch wie ein Diener.“
„Wie ein Diener.“ Diese demütige Einschätzung eines Lebenswerkes mag einem selbstsüchtigen Herzen nicht sehr verlockend erscheinen, aber für ein Herz, das nach dem Christus hungert, ist es das höchste aller Vorbilder. Es führt den Jünger, den Sucher nach der Wahrheit, zum Kern dessen, was sowohl für das öffentliche wie auch für das Privatleben bestimmend ist. Hier werden hemmungsloser Ehrgeiz und Liebe zu materiellen Dingen (Karriere, Reichtum, Status, Macht) durch Sanftmut und bewußte Liebe zum Nächsten ersetzt.
Allem äußeren Anschein und allen weltlichen Einwänden zum Trotz weiß der christliche Jünger unserer Tage, daß das Gute für den einzelnen von dem seiner Mitmenschen nicht zu trennen ist. Da alles wirklich Gute seinen Ursprung in Gott hat, muß es unendlich und stets verfügbar sein. In Übereinstimmung mit Gottes Absichten für alle Seine Kinder kann das, was für einen Menschen gut ist, nicht für einen anderen schlecht sein. Scheint das der Fall zu sein, so gibt es zweifellos einige Lektionen, die es zu lernen gilt.
Auch ich mußte sehr viel lernen, als sich die Rollen zwischen meiner Mutter und mir umkehrten und ich ihr eine Mutter werden mußte! Dies war keine Rolle, die ich spielen wollte oder auf die ich vorbereitet gewesen wäre, und sie zu übernehmen schien mit einer enormen seelischen Belastung verbunden zu sein, da ich mich mit meiner Mutter nicht besonders gut verstand. Damit verbunden war unter anderem, daß ich eine Ausbildung abbrechen und den Haushalt neu ordnen mußte, um sie aufnehmen zu können. Es bedeutete, daß ich keine Zeit mehr für mich selbst hatte. Es sah wirklich so aus, als würde das, was für meine Mutter gut (und notwendig) war, für mich alles zunichte machen. Aber der Christus lehrte mich etwas anderes.
Was ich im tiefsten Herzen suchte, war die rettende und erlösende Idee der Wahrheit — die Christus-Idee, die die menschliche Situation, in der wir uns gerade befinden, umwandeln kann. Gottes Christus zeigte mir, daß mein Leben nicht zerstört wurde, sondern daß statt dessen Wachstum erfolgte, meine Empfindungen befreit wurden und das Gefühl der Belastung von mir genommen wurde. Dies geschah in dem Maße, wie ich bereit war, meine ichbezogene Haltung aufzugeben. Der Wandel in meinem Denken wurde durch das tiefempfundene Verlangen (eine Form des Gebets) gefördert, den Christus in meinem Bewußtsein wirken zu lassen und so mehr von der wahren Natur des Menschen in mir ans Licht zu bringen — des Menschen, der die Liebe, Freude und Selbstlosigkeit der vollkommenen Liebe zum Ausdruck bringt.
Es war eine Zeit des Wachstums in der Gnade, in der ich wirklich das ruhige Wirken des Geistes in meinem Herzen fühlen konnte. Ich wurde geduldiger, gütiger und sanfter. (Das ist gelebtes Gebet.) Es war mir schließlich möglich, Dinge für meine Mutter zu tun, die ich vorher einfach nicht fertiggebracht hätte. Durch diesen Prozeß geistiger Taufe gewann ich ein neues und höheres Verständnis von meinem wahren Selbst, während gleichzeitig den Bedürfnissen meiner Mutter Rechnung getragen wurde. Diese Erfahrung, mit der eine nicht zu unterschätzende Umwandlung einherging, erwies sich als wichtige Vorbereitung auf umfassendere Aufgaben im Dienst am Nächsten.
Gleichzeitig unterstrich sie deutlich die radikale Natur der Christlichen WissenschaftChristian Science (kr’istjen s’aiens), die ja die Regeln dafür enthält, wie wir dem Beispiel Jesu folgen können. Die Wissenschaft des Christentums macht klar, warum das zutrifft, was der Apostel Paulus mit folgenden Worten beschreibt: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“ Wie oft wollen wir etwas besser machen und besser sein, freundlicher, klüger, weniger impulsiv, treuer, disziplinierter. Und wie oft bleibt unser Tun hinter unserem ehrlichen Gebet und unseren besten Absichten zurück! Der Grund dafür ist, der Lehre der Christlichen Wissenschaft zufolge, daß mehr vonnöten ist als nur gute Absichten, um geistigen Fortschritt zu erzielen.
Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Begründerin der Christlichen Wissenschaft, schreibt: „Um das Gute verstehen zu können, muß man die Nichtsheit des Bösen erkennen und sein Leben aufs neue heiligen“ (Vermischte Schriften). Die Unkenntnis dieser Regel wissenschaftlichen Christentums ist dafür verantwortlich, daß wir trotz größter Anstrengungen oft hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben.
Wie können wir „die Nichtsheit des Bösen erkennen“? Indem wir mehr von dem göttlichen Wesen erkennen, von Gott, Geist, dessen „Augen zu rein [sind] als daß [er] Böses ansehen“ könnte, wie ein Prophet des alten Testaments es ausdrückt. Dieses vergeistigte Verständnis Gottes erlangen wir, indem wir Tag für Tag in Einklang mit unseren Gebeten leben; indem wir alles bereuen, was sich der Tätigkeit des Christus in unserem Leben entgegenstellen wird. Wenn wir dies tun, wird das Böse in seinen verschiedenen Formen weniger verlockend für uns, weniger furchterregend und weniger wirklich, weil Gott und die Güte Seiner Schöpfung uns immer wirklicher und greifbarer werden. Und unsere Anstrengungen, besser zu sein, der Mensch zu sein, den Gott geschaffen hat, werden zu wachsendem Erfolg in der wissenschaftlichen Anwendung des Christentums führen.
Das Paradox von Dienen und Freiheit. Hemmungslosigkeit und Sklaverei, ist nur für eine weltliche Sicht des Lebens ein Paradox. Wenn die materielle Lebensauffassung dem geistigen Verständnis weicht, hört das Paradox auf, eines zu sein. Dies geschieht durch die Erkenntnis, daß selbstloser Dienst an unseren Mitmenschen ein sicheres Zeichen für das Wirken des Christus unter uns ist. Es gibt nichts Freieres und Befreienderes, als die Tätigkeit des Christus zu erleben, die uns zeigt, daß es für jeden von uns geistig natürlich ist, unseren Nächsten Gutes zu tun.
