Als mein sohn klein war, machte er einmal eine Zeit chronischer Angst durch. Nacht für Nacht weigerte er sich, in seinem Zimmer zu schlafen, denn er hatte Angst, Drakula würde durch sein Fenster ins Zimmer einsteigen. Vergebens versuchten wir ihm zu erklären, daß sich jemand diese Phantasiegestalt, die er offensichtlich vom Fernsehen her kannte, nur ausgedacht hatte und daß sie sich in Wirklichkeit niemanden „holen“ konnte.
Als wir nach mehreren Monaten noch immer keinen Fortschritt gemacht hatten, kam mir der Gedanke, meinen Sohn zu fragen, ob er eine Lösung für seine Angst wisse. Ich fragte ihn also, wie er sich denn vor Drakula sicher fühlen würde. Ich werde seine Antwort niemals vergessen, weil sie so bizarr war: „Blau“, sagte er. „In Blau bin ich sicher.“
Ich war an einem Punkt angelangt, wo ich willens war, alles auszuprobieren, und so tünchten wir das Zimmer meines Sohnes, einschließlich der Zimmerdecke, blau. Wir legten auch einen blauen Teppich aus und hängten blaue Vorhänge vor das Fenster. Und, seinem Wort getreu, als die Farbe des Zimmers blau war, ging er friedlich zu Bett und kümmerte sich nicht weiter darum, ob Drakula am Fenster stand. Auf diese Weise verschwand die Angst vor einem unwirklichen Ungeheuer.
Als ich mich kürzlich an diesen lange zurückliegenden Vorfall erinnerte und an die kindlichen Gemütsverfassungen dachte, mit denen wir oft konfrontiert werden, fielen mir zwei Dinge auf. Erstens, die Angst vor einem nichtexistierenden Ungeheuer (wie wirklich auch immer für das Kind) war lächerlich gewesen. Zweitens, die Lösung, die die falsche Vorstellung des Kindes befriedigt hatte, war noch viel lächerlicher gewesen. Vor dem Licht der Wirklichkeit ergab das alles keinen Sinn. Und doch war die Lösung, die dem Kind das Gefühl der Sicherheit vermittelte, von demselben falschen Sinn gekommen, der zuvor das Kind von bevorstehender Gefahr überzeugt hatte.
Als ich im Sinne der Christlichen Wissenschaft über diese Beobachtungen nachdachte, kam mir zum Bewußtsein, daß diese Begebenheit in vielerlei Hinsicht typisch ist für jene Denkweise, die alle Stufen der menschlichen Erfahrung zu beherrschen versucht. Die materielle Daseinsauffassung, der gemäß der Mensch ein physischer Organismus ist, der in einer oftmals feindlichen materiellen Umgebung lebt, läßt uns alle möglichen Ungeheuer ihrer eigenen Schöpfung fürchten, wie Krankheit, Mangel und Sünde. Und dieselbe materielle Anschauung präsentiert uns anschließend die materiellen Lösungen für die Zerstörung oder Veränderung ebender Dinge, die sie als Teil des Lebens in der Materie begreift. Tritt beispielsweise eine neue Krankheit auf, können Jahre der Forschung vergehen, bis eine Substanz in der materiellen Umgebung gefunden wird, die gegen dieses Ungeheuer wirkt. Und genau wie es half, das Zimmer blau zu tünchen, um das Kind zu beruhigen, scheint es vielleicht, daß Fortschritte in der Medizin die Symptome bis zu einem gewissen Grad lindern.
Mrs. Eddy nimmt zu diesem Punkt Stellung. In Wissenschaft und Gesundheit schreibt sie: „Die erste Abgötterei war der Glaube an die Materie. Die Schulen haben den Glauben an Arzneien weit mehr zur Mode gemacht als den Glauben an die Gottheit. Dadurch, daß man es der Materie überlassen hat, ihre Disharmonie selbst zu zerstören, sind Gesundheit und Harmonie geopfert worden.“ Wissenschaft und Gesundheit, S. 146.
Und dennoch halten wir, auch als Erwachsene, Krankheit für sehr wirklich und für eine Kraft. Gibt es einen höheren Weg, die überwältigende Furcht vor einem derartigen Ungeheuer in unserem Leben zu meistern und die Sicherheit zu finden, die Gott allen Seinen Kindern verleiht? Können wir uns tatsächlich angesichts materieller Gefahren sicher fühlen und sie sogar beseitigen?
Die endgültige Lösung für Furcht vor irgendeinem Unheil ist, so glaube ich, in der göttlichen Wissenschaft zu finden, der Wissenschaft Christi, die Jesus lebte. Christus Jesus lebte in derselben physischen Umgebung wie alle anderen um ihn herum. Er ging dieselben Wege, überquerte dieselben Wasserläufe. Und doch bekundete und bewies Jesus eine Sicherheit für sich und andere, die sich nicht durch materielle Ursachen oder Mittel erklären ließ. Er war nicht vor Furcht gelähmt, wenn er Gewalt, Krankheit, Mangel oder Tod sah; in der Tat, wenn er diesen Ungeheuern begegnete, zwang er sie, zu verschwinden. Er sagte zu seinen Nachfolgern: „Nichts wird euch schaden.“ Lk 10:19. Und als er ihnen genauere Anweisungen gab, wie sie ihre Aufgabe erfüllen sollten, sagte er: „[Ihr] werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Joh 8:32. Wahrheit also ist die Waffe, die wir gegen die Dinge, die uns Angst machen, einsetzen sollen.
Je mehr wir im Studium der Christlichen Wissenschaft fortschreiten, desto klarer erkennen wir diese Wahrheit, von der Jesus sprach. Sie ist die großartige Tatsache des geistigen Daseins. Die Wirklichkeit des geistigen Daseins, wenn richtig verstanden, zerstört die Lüge oder das falsche Bild vom Sein, das sich in Sünde und Krankheit äußert.
Es wird uns zur täglichen Gewohnheit, diese Lüge zurückzuweisen und zu verstehen, daß Substanz und Denken des Menschen geistig sind und er ewiglich sicher und unversehrt im Universum des Geistes lebt. Wo ein verletzlicher Sterblicher zu sein scheint, ist in Wirklichkeit Gottes eigenes Kind, das für immer sicher in den göttlichen Armen gehalten wird. Gott schuf keine feindliche Umwelt, in der Sein geliebtes Bild und Gleichnis leben soll. Wenn wir uns auf unsere Gotteskindschaft besinnen, wird uns bewußt, daß unsere wahre Identität geistig und vollkommen ist, sicher im Reich der göttlichen Liebe.
In Wirklichkeit regiert das geistige Gesetz die Schöpfung, und dieses Gesetz wirkt immer zugunsten des Menschen — anstelle und trotz scheinbarer anderer Mächte. Was als materielles Gesetz gilt, ist überhaupt kein Gesetz, sondern nur Annahme; es hat keine Rechtsprechungsgewalt über den von Gott geschaffenen Menschen. Das Verständnis dieser Wahrheit über die geistige Existenz bringt Harmonie in die menschliche Situation, weil die bedrückenden Bilder von Krankheit, Mangel und Sünde ausgelöscht werden.
Wir können lernen, mit den „Ungeheuern“ der physischen Sinne besser fertig zu werden. Statt uns der Annahme hinzugeben, daß wir krank sind oder Gott uns verlassen hat, und dann ein menschliches Heilmittel zu suchen, können wir die falsche materielle Vorstellung als den eigentlichen Schuldigen identifizieren. Dieser falsche Sinn ist es, der uns belügt. Unsere Sicherheit liegt darin, daß wir Gottes stete Gegenwart und beschützende Macht und die alleinige Existenz geistiger Identitäten und Formen verstehen.
Als Kind litt ich sehr unter Nebenhöhlenentzündungen. Kürzlich zeigten sich diese alten Symptome wieder. Jahre geistigen Studiums jedoch hatten mich gut gewappnet. Ich bestand mental auf meiner gottgegebenen Gesundheit und wußte, daß mir in Gottes Schöpfung nichts weh tun konnte, denn die ganze Schöpfung spiegelt das Wesen der göttlichen Liebe wider. Ich spürte zwar den materiellen Schmerz und Druck, wußte aber, daß mir dieses Ungeheuer keine Angst mehr einjagen konnte. Gottes Macht, Seinen harmonischen Menschen zu erhalten, war absolut.
Und damit war die Sache erledigt. Die Symptome verschwanden schnell, und ein paar Stunden später erschien mir selbst der Gedanke an die Krankheit unwirklich.
Eine der wunderbarsten Gaben des geistigen Daseins ist die Freiheit des Menschen, klar und geistig zu denken. Aufgrund dieser individuellen Freiheit, die unser Leben im Geist charakterisiert, steht es uns immer frei, die Lüge vom materiellen Dasein zurückzuweisen. Wir sind frei, unser Denken mit dem in Einklang zu bringen, was der geistige Sinn uns versichert — nämlich daß wir unter Gottes allmächtiger Fürsorge sicher sind. Wenn wir dies tun, kann nichts das Verschwinden der Ungeheuer des sterblichen Sinnes aufhalten. Sie sind nämlich, wie Drakula am Fenster, in Gottes Reich niemals wirklich gewesen.
 
    
