DER BUND DES KÖNIGS DAVID
Im Alten Testament wird berichtet, daß Israel lange gegen marodierende Räuberbanden von außen und gegen die Verführungen durch die Baalskulte im Innern zu kämpfen hatte. Samuel erkannte, daß Stabilität dringend notwendig war, und so handelte er aufgrund seiner Autorität als geistlicher Führer des Volkes: Er ernannte und weihte Saul, einen hingebungsvollen Verehrer und Diener Jahwes, zum ersten König Israels. Von Jahwe mit dem charismatischen Geist des Führeramtes ausgestattet, führte Saul seine Landsleute in ihrem verbissenen Widerstand gegen die zu dieser Zeit gefährlichste militärische Bedrohung Israels: die Philister. Dieses Seefahrervolk aus Südeuropa hatte schon jahrelang die Länder um die Agäis herum terrorisiert und war nun entschlossen, Israel zu einem Teil seines wachsenden Imperiums zu machen. Zunächst konnte Saul die Invasion der Philister vereiteln, doch später verfiel er in eine Gemütskrankheit und verlor die Gunst seines Volkes. Es war allen klar — und besonders Samuel, seinem geistigen Ratgeber —, daß das besondere Charisma von Saul gewichen war.
Als es immer offensichtlicher wurde, daß Saul nicht länger König und Führer seines Volkes sein konnte, trat ein junger, sehr kluger militärischer Führer auf, der das Machtvakuum füllen sollte. Sein Name war David. Er war ein Mann mit zahllosen Talenten, die ihm die Liebe seines Volkes sicherten: Er schrieb Gedichte und musizierte, war ein begabter Politiker und ein guter Stratege. Vor allem aber verfolgte er das Ziel, Israel unter Jahwe zu einer Großmacht zu machen. Kurz nachdem David König von Israel geworden war, vertrieb er die Philister aus dem Land, was ihm die ewige Ergebenheit des hebräischen Volkes einbrachte. Dann einte er innerhalb kurzer Zeit die zwölf Stämme und machte Israel zu einer starken Nation. Unter David wurde Jerusalem zum religiösen Zentrum, und er sorgte dafür, daß der Baalsdienst eingestellt wurde.
Davids Sohn Salomo folgte ihm auf den Thron, und unter seiner Regierung erlebte die Nation ihr „goldenes Zeitalter”. Er führte Kriege, um die Grenzen zu erweitern, errichtete einen enorm großen, herrlichen Tempel, der Jahwe geweiht war, und baute sich selbst einen glanzvollen, imposanten Palast. Er war bekannt für seine Weisheit, aber den geistigen Charakter seines Vaters besaß er nicht. Auch ließ er es allzu bereitwillig zu, daß der Baalsdienst und die Anbetung Jahwes vermischt wurden. Er führte das verwöhnte Leben eines orientalischen Despoten und rekrutierte Tausende seiner Untertanen zu schwerer Zwangsarbeit für seine Bauprojekte. Nach biblischen Berichten, die sehr viel später niedergeschrieben wurden, wandte sich Jahwe schließlich von Salomo ab und nahm ihm den Thron.
Unter David und Salomo entstand ein überschwenglicher Nationalismus, der einen eifrigen Schriftsteller dazu anregte, die große epische Erzählung der Geschichte Israels niederzuschreiben, die das Rückgrat der hebräischen Bibel bildet. Diesen anonymen Autor kennt man nur unter der Bezeichnung „der Jahwist”. In seinem großartigen Prosaepos preist er den Bundesglauben Israels durch die Schilderung der Geschichte von Israels Hingabe an Jahwe, angefangen bei Abraham. Als Prolog zu dieser Geschichte Israels und der Bundesgemeinschaft bietet der Jahwist eine lebendige Darstellung der Urgeschichte — von Adam und Eva bis zum Turmbau in Babel. Er greift bei der Zusammenstellung seiner Berichte weit über die jüdische Tradition hinaus und verwendet auch alte Mythen aus Mesopotamien.
Das Leitthema der hebräischen Geschichte des Jahwisten, die wir in den ersten fünf Büchern des Alten Testaments finden (als der Pentateuch bekannt), ist Gottes Verheißung, Israel zu einem großen und mächtigen Volk zu machen — einem Volk, das ein Licht sei für alle anderen Völker und durch das nach Jahwes universalem Plan alle Völker gesegnet würden.
Keine der Geschichten des Jahwisten war den Israeliten neu, aber seine Fähigkeit, sie in den Rahmen eines hinreißenden Epos einzufügen, war brillant und revolutionär. Und um diesen Kern herum bauten die Hebräer in den folgenden Jahrhunderten ihre heiligen Schriften weiter aus.
GLAUBENSTREUE WÄHREND DES UNTERGANGS DES NORDREICHES
Nach dem Tode Salomos zerfiel das Reich schnell in einen nördlichen und einen südlichen Teil — das Nordreich wurde von Salomos altem Feind Jerobeam regiert. Im Südreich herrschte Salomos Sohn Rehabeam. Jerobeam tat alles, was in seiner Macht stand, um sein Reich zu festigen. Er baute neue Heiligtümer und erfüllte sein Volk mit einem neuen nationalistischen Stolz. Es machte ihm allerdings auch nichts aus, Kompromisse mit den Baalsanbetern zu schließen, ja, er stellte sogar goldene Stiere in den neuen Heiligtümern Jahwes auf.
Es spricht für Jerobeam, daß in seinem Reich ein anonymer Schriftsteller — der seither einfach „der Elohist” genannt wird, da er den Gottesnamen Elohim benutzt — sich dazu veranlaßt sah, ein Geschichtsepos über die israelitische Nation zu schreiben, und zwar vom Standpunkt des Nordreiches aus. Der Elohist schöpft aus der gleichen Quelle mündlicher Überlieferung, die auch der Jahwist benutzte, und erzählt die heilige Geschichte des auserwählten Volkes — von der Berufung Abrahams und Israels an über den Auszug aus Ägypten bis zur Eroberung Kanaans. Aber in diesem Epos wird Mose — nicht David, wie in der Geschichtsschreibung des Jahwisten — als der erhabene Prophet der Geschichte Israels verherrlicht, und es wird strengster Gehorsam gegen das Gesetz und den Bund gefordert, den Mose geschlossen hat. Mit der Zeit wurden die beiden Epen so miteinander verflochten, daß es heute schwierig ist, sie — so wie sie in den ersten fünf Büchern der Bibel niedergelegt sind — voneinander zu unterscheiden.
Die nächsten zweihundert Jahre waren für die Israeliten eine harte Zeit. Zwischen dem nördlichen und dem südlichen Reich herrschte fast ununterbrochen Krieg.
Auf diesem Hintergrund wandten mehrere große Propheten all ihre geistige Energie daran, den Hebräern zu helfen, an ihrem Glauben festzuhalten — und ihrem Bund mit Jahwe treu zu bleiben.
Der erste dieser Gottesmänner war Elia, der Tischbiter — ein Prophet, der Anfang des neunten Jahrunderts v. Chr. aus der Wüste ins Nordreich kam. In ein bizarres Gewand aus Haaren gekleidet und inmitten der überfeinerten israelitischen Kultur augenscheinlich völlig fehl am Platze, rügte dieser Prophet den König Ahab dafür, daß er den Baalsdienst seiner ausländischen Frau Isebel tolerierte und ihr einen grandiosen Tempel für Baal gebaut hatte.
Elia nahm in seiner Prophetie kein Blatt vor den Mund. Er verlangte eine Massenbestrafung für Israels Bruch des Bundes mit Gott. Aber er zeigte dem hebräischen Volk auch auf unvergeßliche Weise, daß Jahwe keine Naturgottheit war — kein Gott des Windes oder des Feuers oder des Erdbebens —, sondern ein völlig geistiger Gott, der im „stillen, sanften Sausen” zu ihm sprach.
Ein anderer legendärer Prophet trat im Nordreich in die Fußtapfen Elias: Elisa. Der Bericht über das Wirken Elisas im zweiten Buch der Könige spricht von bemerkenswerten Geistestaten des Propheten; er erweckte ein Kind vom Tode und heilte Naaman, einen syrischen Feldhauptmann, vom Aussatz.
Als in der Mitte des achten Jahrhunderts Assyrien zu einer neuen Großmacht aufstieg, traten zwei weitere Propheten hervor, um Israel zu rügen und zu trösten. Der eine war Amos, der als erster Prophet seine geistigen Erkenntnisse tatsächlich niederschrieb.
Der andere war Hosea. Dieser sah sich als Moses Nachfolger an und als moderner Vermittler im Bund Israels mit Jahwe. Es bereitete ihm großen Kummer, daß Israel diesen Bund so eindeutig gebrochen hatte, und er sagte voraus, die Vergeltung Gottes werde schnell und furchtbar sein, wenn Israel nicht augenblicklich seinen Bund mit Jahwe erneuere und vertiefe. Die Vernichtung, die Hosea voraussah, ließ nicht lange auf sich warten. Nach einer brutalen Belagerung der Stadt Samaria im Jahre 721 v. Chr. besiegten die Assyrer Israel endgültig und deportierten über 27 000 Hebräer nach Persien. Und in das leere Nordreich wanderten Fremde ein — Kolonisten aus Syrien, Babylon und Elam. Der Traum von einem israelitischen Großreich schien für immer ausgeträumt.
DER FALL DES SÜDREICHES
Mit dem Fall des israelitischen Nordreiches war das südliche Königreich Juda die einzige Hoffnung für das Fortbestehen des Bundesglaubens. Hier trat in Jerusalem der Prophet Jesaja als Ratgeber des Königs Ahas auf und tröstete das Volk, das versuchte, sich der assyrischen Bedrohung zu erwehren, der Israel zum Opfer gefallen war. Im Laufe seines über vierzigjährigen Wirkens, das im Jahre 742 v. Chr. begann, schrieb Jesaja die Hymnen, Orakel und Berichte nieder, die in den ersten 39 Kapiteln des Jesajabuches überliefert sind.
Für Juda sah Jesaja nichts als Untergang und Elend voraus, die am Tag des Gerichts Jahwes über das Land kommen würden, wenn Gott Sein Volk für seinen Glaubensverrat zur Verantwortung ziehen werde. Zu der Zeit prophezeite er die restlose Zerstörung Judas mit Ausnahme eines kleinen Häufleins von Gerechten. Dieser Rest würde mithelfen, das Königtum des Hauses David wieder aufzurichten, das, wie Gott in seinem Bund mit dem Volk versprochen hatte, nie aufhören sollte. Jesaja prophezeite auch, daß dem Volk ein besonderes Kind geboren werden würde, ein Messias, der die Hebräer erlösen und ihnen verkünden würde, daß Gott ewiglich bei ihnen ist. Das sollte das Zeichen des Immanuel sein. Als Jesaja einsah, daß das Volk seine Botschaft nicht hören wollte, zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück und schrieb seine Worte im Buch des Zeugnisses nieder, das wir in Jesaja 6:1 bis 9:6 finden.
Später verkündete der Prophet Jeremia eine weitere gebieterische Botschaft. Ihm hatte Jahwe aufgetragen, einen Scheidungsprozeß gegen Juda anzustrengen, da es dem Bund untreu geworden war. Jeremia war der Rechtsbeistand Jahwes in diesem Prozeß und erklärte dem Volk, daß äußerlicher Gehorsam gegen Jahwe nicht genug sei. Ein Wandel des Herzens — eine „Beschneidung des Herzens” — sei nötig.
Judas neuer König Josia war von Jeremias Botschaft so beeindruckt, daß er 621 v. Chr. alle assyrischen Götzen aus dem Tempel entfernte. Und dabei machte man im Tempel eine bedeutsame Entdeckung: Man fand das Gesetzbuch, die Thora. Es stellte sich heraus, daß das Buch die Gesetze Moses enthielt, die offensichtlich jahrhundertelang verloren gewesen waren. Freudig erregt über diesen Fund, ließ Josia augenblicklich seine Untertanen im Tempel zusammenkommen. Dort wurde ihnen zum ersten Mal aus dem Buch vorgelesen, und sie schworen dem alten Bund erneut die Treue.
Unter dem Einfluß der Reform, die auf Josias Entdeckung der Thora folgte, schrieb ein anonymer Schriftsteller, der einfach der Deuteronomist genannt wird, die Geschichte Israels und Judas nieder — von Salomos Tod im Jahre 922 v. Chr. bis zur Revolution des Jehu im Jahre 842 v. Chr. Seiner Ansicht nach rührten alle Probleme Israels von dessen Ungehorsam gegen das Gesetz her. Das geschichtliche Material befindet sich im Buch Josua und im ersten und zweiten Buch der Könige. Dieser Schriftsteller — es könnte auch ein Team von Schriftstellern gewesen sein — verehrte das Gesetz und die Lehren Moses und faßte sie im fünften Buch Mose (Deuteronomium) zusammen, das die Grundlage der hebräischen Doktrin werden sollte.
Aber nicht jedermann war mit Josias Reformen oder dem Werk des Verfassers des Deuteronomiums einverstanden. Der Prophet Nahum zum Beispiel war der Meinung, Israel habe keine Strafe verdient. Es sei einfach nicht fair, daß es von den Assyrern verschlungen werden sollte. Und der Prophet Habakuk fragte Jahwe, wie lange Israel noch leiden sollte. Er konnte einfach nicht die Anschauung des Deuteronomisten von der Geschichte Israels akzeptieren: nämlich daß Israel von Gott belohnt oder bestraft wurde, je nachdem, ob es sich gut oder schlecht betragen hatte.
Jeremia war anfänglich mit den deuteronomistischen Reformen sehr einverstanden, aber gegen Ende seiner vierzig Prophetenjahre verurteilte er sie. Er fand, daß sie einer kurzsichtigen und nationalistischen Auffassung von der geschichtlichen Rolle Israels entsprangen — daß sie den Gehorsam gegen den Buchstaben des Gesetzes betonten und die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Erneuerung außer acht ließen.
Propheten wie Jeremia, Habakuk und Zefanja mahnten das hebräische Volk zu absolutem Gehorsam gegen den einen Gott. Sie sagten Untergang und Zerstörung voraus, sollten ihre Warnungen ungehört bleiben. Und 587 v. Chr. wurde Jerusalem dann schließlich zerstört. König Nebukadnezar eroberte die Stadt, verwüstete den Tempel und zwang die Hebräer, ihm als Gefangene nach Babylon zu folgen.
Wie Jeremia wußte, lag die einzige Rettung Israels in dem neuen Bund, den er verheißen hatte — dem Bund des Herzens. Und dieser Bund sollte eines Tages zur Grundlage des Wiederaufbaus von Jerusalem werden.
