Im Herold vom November 1992 erschienen die Notizen einer Christlichen Wissenschafterin, die im Mai 1991 für das Büro des Schriftführers Der Mutterkirche Rumänien besucht hatte.
aus Hamburg traf sich mit einer Reihe von Rumänen, die sich in den letzten Jahren für die Christliche Wissenschaft zu interessieren begonnen hatten. Die Christliche Wissenschaft war fast ein halbes Jahrhundert lang vom kommunistischen Regime verboten gewesen.
Im Herbst desselben Jahres unternahm Frau Linning eine zweite Reise nach Bukarest. Das Folgende sind Auszüge aus ihrem Tagebuch.
24. November 1991 Flug von Hamburg über Frankfurt nach Bukarest, Rumänien; es ist, als flöge ich in eine andere Welt.
Der klare, sonnige Himmel über einer geschlossenen Wolkendecke erinnert mich daran, daß ich mir die geistige Höhe für diese besondere Mission bewahren muß und Gottes Welt nicht aus den Augen verlieren darf — mich über das Zeugnis der materiellen Sinne erheben muß.
Der Flughafen in Bukarest legt Zeugnis ab von der langen, dunklen Ära des Kommunismus. Das einzig vorhandene Laufband, mit dem Gepäck umgeladen werden kann, funktioniert nicht. Jeder sucht nach seinem Gepäck. In diesem Chaos fragt niemand nach Zollkontrollen. Entkomme all dem glücklich mit einem schweren Koffer voller Bibeln, Exemplaren von Wissenschaft und Gesundheit und christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften, die ich den Rumänen mitbringe. Taxifahrer, viele ohne Gewerbeerlaubnis, warten eifrig darauf, die Passagiere in die Stadt zu bringen — am liebsten für harte ausländische Währung. Alter, klappriger Bus bringt uns auf holperigen Straßen in die Stadt. Kommen an Häusern vorbei, die in der Revolution von 1989 beschädigt wurden — und noch immer nicht repariert sind.
Unter denen, um derentwillen ich hier bin, herrscht Freude und Dankbarkeit, daß sich jemand um sie kümmert. Die Christliche Wissenschaft ist den meisten immer noch neu. Mein Hotelzimmer wird zum Treffpunkt für den gesamten Aufenthalt; ein Ort, an dem man sich versammelt und mehr über Gott und den Menschen lernt.
Behutsames, geduldiges und liebevolles Vorgehen ist notwendig. Nicht zu drängen oder aufzuzwingen ist wichtig. Wachsendes Vertrauen, Ehrlichkeit, lernen, sich um das Wohl der Mitmenschen zu kümmern, Respekt, Hoffnung — das berührt die Herzen und das Denken.
25. November Treffe einen Rumänen, der über Kurzwelle von der Christlichen Wissenschaft gehört hat und nach der Revolution wagte, um mehr Informationen zu bitten. Zeigte ihm, wie man die Bibellektion [aus dem Vierteljahrsheft der Christlichen Wissenschaft] liest; beantwortete viele Fragen. Ein weiteres Gespräch folgte mit einem jungen Studenten, der gern Mitglied Der Mutterkirche werden möchte. Er hatte durch einen Freund von „einem interessanten Buch“ gehört. Besorgte sich dieses Buch, Wissenschaft und Gesundheit, und studiert nun die Christliche Wissenschaft.
26. November Junge und alte Rumänen kommen, um zuzuhören und zu lernen. So etwas wie Sonntagsschulstunden werden im Hotelzimmer abgehalten — in Gruppen oder mit einzelnen. Es ist ein Teilen, ein Geben und Nehmen auf beiden Seiten. Erste Anzeichen, daß die Christliche Wissenschaft im täglichen Leben angewandt wird.
27. November Bahnfahrkarte für Reise nach Braşov (Kronstadt) in 2 Tagen ist nur an bestimmtem Ort erhältlich. Grauer, regnerischer Tag. Laufe durch matschige Straßen, begleitet von einem meiner rumänischen Freunde, springe über riesige Pfützen, um alte, klapprige Straßenbahn zu erreichen, die mich zum Bahnhof bringt. Viele Bürger sind unterwegs, um Nahrungsmittel zu kaufen. Stellen sich an für Milch, Brot, Zucker — manchmal stundenlang. Komme an typischer Szene vorbei — ein Lastwagen voller Kartoffeln ist gerade angekommen. Lange Schlange wartet geduldig auf der Straße, um dieses wertvolle Nahrungsmittel zu erhalten. Die geistige Höhe zu bewahren — trotz des übermächtigen Bildes von Armut, Mangel und vor allem trotz des Anblicks von müden, verbrauchten Menschen mit wenig Licht in den Augen — erfordert starkes und liebevolles Gebet.
Besuche langjährige Christliche Wissenschafterin in ihrer Wohnung. Es ist bewegend zu erfahren, wie sie während des Ceauşescu-Regimes die Christliche Wissenschaft heimlich zu Hause studierte. Ihr Lehrbuch, Ausgabe 1935, zeigt Anzeichen von unendlichem Gebrauch. Das Gespräch auf Französisch ist sanft, voller Liebe. Große Freude, als ich ihr ein neues Lehrbuch gebe, und christlich-wissenschaftliche Literatur wird dankbar angenommen. Dankbarkeit dafür, daß Die Mutterkirche sich um Rumänien sorgt, leuchtet in ihrem Gesicht. Stelle für sie Kontakte her mit Leuten, die sich seit kurzem für die Christliche Wissenschaft interessieren.
28. November, Danksagungstag Ganzen Tag gebetet, um den Dankgottesdienst im Hotelzimmer vorzubereiten, den ersten seit rund 50 Jahren. Verändere mein Zimmer, räume die Möbel um. Leute klopfen an die Tür, strömen herein, setzen sich aufs Bett, auf kleine Tische, Stühle — auf jede denkbare Sitzgelegenheit. 27 Leute drängen sich im Hotelzimmer. Ganz neue unter ihnen. Der Gottesdienst wird in drei Sprachen gelesen. Bibel in Rumänisch, Wissenschaft und Gesundheit in Französisch und Englisch. Musik liebevoll von einer Teilnehmerin auf der Geige gespielt. Echtes Bemühen, die — ihnen unbekannten — Lieder zu singen. Viele sehen sich zum ersten Mal. Zeugnisteil findet in Rumänisch, Englisch und auch ein wenig Französisch statt. Eine Frau spricht davon, wie sie mit der neuen Denkweise, die sie in der Christlichen Wissenschaft gelernt hat, eine Arbeitsstelle gefunden hat. Eine andere junge Frau überwand berufliche Einschränkungen und erhielt eine Anstellung. Gehen voller Freude und Dankbarkeit auseinander.
29. November Nehme frühen Zug nach Braşov, um einen langjährigen Christlichen Wissenschafter deutscher Abstammung zu treffen.
Grauer, nebliger Morgen. Zug fährt an den Karpaten vorbei. Die Leute sitzen, in viele Pullover eingehüllt und mit russischen Pelzmützen und Handschuhen angetan, drei Stunden lang im ungeheizten Zug. Ich halte das Denken warm, angefüllt mit tiefer Dankbarkeit für Gottes Fürsorge und Liebe selbst in solch einem entlegenen, einsamen Ort. Sonne scheint durch den Nebel, erhellt die Gegend.
Mit warmem Herzen, aber eiskalten Füßen komme ich in Braşov an. Zwei Leute halten einen deutschen Herold als Erkennungszeichen hoch. Begrüßung, als kennten wir einander bereits. Für mich ist es wie ein Heimkommen. Sie wollen gern alles über die Kirche erfahren, über erste Anzeichen von wiederbelebtem Interesse an der Christlichen Wissenschaft in Bukarest.
Halte Dankgottesdienst in deutscher Sprache im Wohnzimmer des ältesten Mutterkirchenmitglieds Rumäniens ab. Höre von bemerkenswerten Heilungen im Arbeitslager in einer Kohlengrube in Rußland, wohin dieser Mann nach dem Zweiten Weltkrieg deportiert worden war. Viele Fragen werden beantwortet, lange Gespräche bis spät in die Nacht geführt, ehe ich mich zurückziehen und auf einem Sofa schlafen kann, das liebevoll für mich hergerichtet wurde.
30. November Rückkehr nach Bukarest — diesmal in hoffnungslos überheiztem Zug. In Bukarest wieder viele Einzelgespräche geführt, ermuntert, getröstet, Gedanken ausgetauscht und Fragen beantwortet. Vorbereitung des Sonntagsgottesdienstes in meinem Hotelzimmer. Ein rumänischer Freund lernt mit Freuden, wie man sich auf das Amt des Zweiten Lesers vorbereitet.
1. Dezember Früher Sonntagsgottesdienst, bevor ich mittags abreise. Leute drängen sich wieder in meinem Zimmer, wollen eifrig etwas über diese neue Lebensweise, die Christliche Wissenschaft, lernen. Wir gehen mit Zuversicht und Hoffnung auseinander, entschlossen, diese zarte Pflanze weiterhin zu hegen, damit sie wachsen kann.