Wir Mögen Lebhaft Anteil nehmen am Wohlergehen bestimmter Personen; vielleicht möchten wir eine gute Sache fördern oder aufmerksam einen uns wichtig erscheinenden Vorgang verfolgen. Kurz, jeder von uns kennt mindestens einen Menschen oder ein Vorhaben, dessen Vorankommen ihm besonders am Herzen liegt.
Und warum auch nicht? Wir sollten ja keineswegs gleichgültig den Dingen ihren Lauf lassen, noch teilnahmslos oder traurig zuschauen, wenn andere auf Abwege oder in Sackgassen geraten.
Die Bibel — voll von Vorschlägen für gute Lebensführung — zeigt, wie wichtig es ist, durch individuelles Beispiel zum Guten anzuregen. In der Bergpredigt gibt uns Christus Jesus den Rat, durch unser Leben wie würzendes Salz und wie ein helles Licht zu sein. Auch in den Apostelbriefen im Neuen Testament finden wir viele Hinweise, wie wir durch christliches Denken und Handeln zur Besserung und Hebung der Gesellschaft beitragen können.
Was aber, wenn unsere Bemühungen, guten Einfluß auszuüben, in den Verdacht kommen, aufdringlich, lieblos, ja sogar freiheitsberaubend zu sein? Wie können wir den Fehler vermeiden, in die Privatsphäre anderer einzudringen, und dennoch das Gute unter den Menschen fördern? Die Heilige Schrift sollte uns sicherlich auf diese Frage eine Antwort geben können.
In der Bibel werden wir ermahnt, vor dem Einfluß des fleischlichen Gemüts, das sich dem Guten widersetzt, auf der Hut zu sein — vor dem, was Paulus in Römerbrief „fleischlich gesinnt sein" nennt. Am Anfang der Genesis finden wir hintereinander zwei Schöpfungsberichte. Der erste ist richtig; der zweite ist falsch. Im ersten Bericht ist Gott der Schöpfer; der Mensch ist zum Bilde Gottes geschaffen, und Gottes Urteil über die gesamte Schöpfung lautet, daß sie sehr gut ist. Hier ist also Gott, Geist, der Urquell allen Daseins, und der Mensch ist Sein geistiges Ebenbild. Daher ist der Mensch von Natur aus „geistlich gesinnt", und aus dieser Gesinnung gehen „Leben und Friede" Röm 8:6. hervor ,um nochmals Paulus' Worte aus dem Römerbrief zu gebrauchen.
Der zweite Bericht zeigt den Menschen, den „Gott der Herr" Siehe 1. Mose, Kap. 2-3. aus Erde gemacht hat. Der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen wird geschaffen und der Genuß seiner Früchte sogleich als todbringend verboten. Danach werden sie von einer Schlange als Verlockung zur Klugheit Adam und Eva angeboten. Der Genuß der Früchte der Erkenntnis des Guten und Bösen setzt aber anstelle von Klugheit eine Vorstellung von Blöße, Schutzlosigkeit und Schuld in Gang. Das Gefühl, von Gott getrennt zu sein, wird durch das fleischliche Gemüt genährt. Überheblichkeit und Furcht gehören zu den Gott unähnlichen Eigenschaften dieser falschen Gesinnung.
Mary Baker Eddy schreibt dazu im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft, Wissenschaft und Gesundheit: „Fleischliche Annahmen betrügen uns. Sie machen den Menschen zum unfreiwilligen Heuchler, der Böses hervorbringt, wenn er Gutes schaffen möchte, der Mißgestalt bildet, wenn er Anmut und Schönheit darstellen möchte, und der denen Leid zufügt, die er segnen möchte." Wissenschaft und Gesundheit, S. 263.
Es ist gewiß wichtig, darüber nachzudenken, wovon sich Christus Jesus leiten ließ, wenn er auf die Menschen einwirkte. Er sagte: „Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag, und ich wirke auch... Der Sohn kann nichts von sich aus tun, sondern nur, was er den Vater tun sieht; denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn." Joh 5:17, 19. Ohne zuerst auf Gottes Impuls zu achten, sind gutgemeinte persönliche Einflußnahmen, um Mitmenschen von der Richtigkeit unserer Ideen zu überzeugen, vergebliche Bemühungen. Unser Eifer sollte gemäßigt und belehrt werden durch die Erkenntnis, daß das allmächtige Gemüt für alle seine Geschöpfe stets das Gute will und es auch hervorbringt; daß des Menschen Gutsein immer eine geistige Widerspiegelung unseres weisen, gütigen Gottes bleiben muß.
Als ich in einer Grundschule Musikunterricht erteilte, hatte ich reichlich Gelegenheit, Gottes Führung Seiner Kinder gelten zu lassen. Einmal mußten wir wegen einer Prüfung den Musikraum verlassen und den Unterricht in einem kleineren Klassenraum abhalten. Ich fühlte Enttäuschung, weil ich nun nicht so arbeiten konnte, wie ich es vorbereitet hatte. Zudem beeindruckte mich eine gewisse Unruhe der Kinder, so daß sich für eine Weile ein wildes Durcheinander ausbreiten konnte. Ich versuchte vergeblich, mir Gehör zu verschaffen, stand da in einer Mischung von Zorn und Ohnmacht und kam nicht einmal auf den Gedanken, mich an Gott zu wenden. Schließlich ordnete ich an jeder solle in sein Heft schreiben, warum im Unterricht Ruhe und Rücksichtnahme nötig seien. Mir fiel einfach nichts Besseres ein.
Es trat allerdings Stille ein, denn jeder der noch recht jungen Schüler schrieb willig hin, was ihm einfiel — bis auf einen. Peter lag unter dem Tisch und verweigerte die Mitarbeit. Er hatte das schon manchmal getan, wenn er unlustig war, und ich hatte mir abgewöhnt, ihm in solchen Momenten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Diesmal wollte ich jedoch seinen Mitschülern gegenüber ganz gerecht sein und verlangte mit Nachdruck, daß auch er wie die anderen etwas schreibe. Er rührte sich nicht, und ich machte der Sache ein Ende mit den Worten: „Nun, dann schreibst du deine Erklärung zu Hause und zeigst sie mir in der nächsten Musikstunde." Mein Gefühl der Hilflosigkeit vermehrte sich noch, denn ich konnte nicht mit seinem Gehorsam rechnen. Der weitere Unterricht verlief zwar ohne Störungen, aber das Gefühl der Niederlage blieb.
Auf dem Heimweg und während der nächsten Tage rang ich mit Gedanken wie: „Wer weiß, ob die Kinder dich noch akzeptieren? Die haben jetzt einen schlechten Eindruck in sich aufgenommen; das wird ihre künftige Zusammenarbeit mit dir beeinträchtigen. Vielleicht hören sie nicht mehr auf dich und tanzen dir auf der Nase herum." Das waren Beunruhigungen, die der menschliche Dünkel nur schwer erträgt und die leicht eine unbedeutende Nebensache zu einem bedrohlichen Ereignis aufbauschen.
Doch dann begann die geistliche oder geistige Gesinnung meine Gedanken in produktivere Bahnen zu lenken. Ich wurde an das erste Gebot erinnert, dem zufolge ich allein einen Gott anbeten sollte. Ich mußte mich an das Wirken dieses einen göttlichen Gemüts halten, das mich und jedes der Kinder in Wahrheit liebte und stärkte, lenkte und unterwies. Der Gedanke „Halte dich an Gottes Allmacht; erkenne sie an und fürchte dich nicht!" ließ mich ruhig werden. Ich merkte, wie dieser Standpunkt schrittweise in mir Raum gewann. Ich machte mir dabei nichts vor und beschönigte keinen Fehler. Aber ich konnte ohne ablenkende Niedergeschlagenheit die nächste Unterrichtsstunde vorbereiten. Ich empfand größere Gelassenheit, Zuversicht und Dankbarkeit für Gottes ununterbrochene Verbindung mit Seiner Schöpfung.
Der nächste Unterricht kam. Als ich zu Beginn Noten an die Tafel schrieb, die neu erarbeitet werden sollten, hörte ich eine freundliche Stimme meinen Namen rufen. Es war Peter, und er sagte: „Ich habe meine Worte geschrieben." Dann zeigte er mir eine kurze, vernünftig klingende Erklärung in leserlicher Schrift. Dieser Junge und meine Forderung an ihn waren mir in all den Tagen gar nicht mehr in den Sinn gekommen. Ich blickte staunend in sein Heft und brachte dann die Worte hervor: „Peter, jetzt bist du ein richtig erwachsener Mensch! Ich danke dir!" Nicht nur ich war beglückt, sondern Peter offenbar ebenso, denn er folgte dem Unterricht so aufgeschlossen wie nie zuvor.
In den Psalmen lesen wir: „Gott, der Herr, der Mächtige, redet und ruft der Welt zu vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang." Ps 50:1. Ja, Er ruft nicht nur einen einzelnen Menschen, sondern uns alle. Gottes Impuls kann Ohren und Herzen besser öffnen, als menschliches Zureden und Ermahnen es vermögen.
Weder Verachtung noch übertriebene persönliche Zuwendung ist ein geeigneter Ausgangspunkt für gutes Handeln. Allein vom Anstoß der allumfassenden göttlichen Liebe sollten wir uns bewegen lassen.
Die Frage „Wer beeinflußt wen?" wird durch die Erklärung beantwortet: „Gott regiert Seinen eigenen Ausdruck, den Menschen." Ob wir schweigen oder ob wir sprechen möchten, in jedem Fall muß die Führung Gottes — der einzig wirksame, segnende Einfluß — wahrgenommen und ungehindert zum Ausdruck gebracht werden. Dann entspringt unser Wunsch zu helfen, den reinsten Motiven, und all unser Tun wird durch die göttliche Liebe angeregt.
