Die Betätigung der Lehren von Christian Science spielte in unserem Elternhaus eine große Rolle. Meine Brüder und ich sind schon von klein auf gelehrt worden, uns in allen Lebenslagen — auch bei Krankheiten — an Gott um Hilfe zu wenden.
Wenn wir betrachten, wie unser Meister Christus Jesus Kranke heilte, können wir feststellen, dass es sich bei ihm nicht um oberflächliches „Gesundbeten" handelte.
Als ich in die Oberschule eintrat, wurden alle Schüler von unserem Religionslehrer gefragt, welcher Religion wir angehörten. Ich antwortete unbefangen, dass ich Christlicher Wissenschaftler sei. Seine Erwiderung war: „Dann gehörst du also zu den Gesundbetern!" Ich war darüber sehr erstaunt, denn mir war diese Bezeichnung unbekannt. Bei uns zu Hause wurde zu Gott gebetet und Er allein war unser Beschützer und Heiler.
In den folgenden Jahrzehnten hat jedes Mitglied unserer Familie individuell viele weitere Heilungen und andere Beweise der göttlichen Liebe erfahren. Einige verliefen schnell, andere waren nicht so augenblicklich. Uns wurde der Ausspruch Christi Jesu als richtig bewiesen: „Die Zeichen aber, die folgen werden denen, die da glauben, sind diese: in meinem Namen werden sie böse Geister austreiben." Mk 16:15.
Wenn wir betrachten, wie unser Meister Christus Jesus Kranke heilte, können wir feststellen, dass es sich bei ihm nicht um oberflächliches „Gesundbeten" handelte. Jede seiner Heilungen war ein Beweis dafür, dass die Einheit von Gott und dem Menschen niemals unterbrochen war. Er offenbarte damit, dass Gott, der der Bibel zufolge „Liebe" ist, nicht anders kann, als Seine Schöpfung zu lieben. Das Empfinden, mit Gott eins und von Ihm geliebt zu sein, ist für jede Heilung durch Gebet sehr wesentlich. Dieses schließt jedoch nicht aus, dass oft irriges, falsches Denken abgelegt werden muss. Alle seine Heilungen gingen mit einer gedanklichen Umwandlung einher. So lesen wir z. B. im LukasEvangelium: „Er trieb einen bösen Geist aus, der war stumm. Und es geschah, als der Geist ausfuhr, da redete der Stumme. Und die Menge wunderte sich." Lk 11:14. In gleicher Weise geht jeder körperlichen Heilung in Christian Science eine Bewusstseinsveränderung voraus. So weicht möglicherweise Furcht dem Gottvertrauen, Groll der Nächstenliebe oder Kummer der Freude.
Jede Heilung in Christian Science ist individuell. Wir unternehmen keine mentalen Klimmzüge in der Hoffnung, damit kranke Körperteile verändern zu können. Das wäre Quacksalberei. Und Mrs. Eddy schreibt hierüber in Wissenschaft und Gesundheit: „Es ist mentale Quacksalberei, aus Krankheit eine Wirklichkeit zu machen — sie für etwas zu halten, was man sieht und fühlt — und dann zu versuchen, sie durch Gemüt zu heilen." Wissenschaft und Gesundheit, S. 395. Wir bemühen uns vielmehr darum, im Gebet unser Denken von aller Sünde zu reinigen, damit es frei von Starrsinn, Selbstrechtfertigung, Eigenwillen, Habgier, Geiz o. ä. wird. Wir vertreiben also gewissermaßen einen „bösen Geist" aus unserem Denken.
Eine meiner eigenen Heilungen bewies mir dieses sehr eindrucksvoll. In meinem Beruf als Architekt tätig hatte ich während dieser Zeit kaum Schwierigkeiten. Doch plötzlich fühlte ich mich von einem gewissen Personenkreis, auf den ich angewiesen war, falsch verstanden, verleumdet, ja sogar angegriffen. Dabei stufte ich mich selbst als wohlwollend und friedlich ein. Alle Versuche, mit verbindlichen Worten dieses Desaster zu beheben, schlugen fehl. So meinte ich schließlich, in einer Trennung nach dem Vorbild von Abram und Lot Siehe 1. Mose 13. läge die Lösung. Ich zog mich von diesem Personenkreis zurück. Danach fühlte ich eine gewisse innere Erleichterung. Die räumliche Trennung hatte aber in mir keinen Bewusstseinswandel bewirkt. Im Gegenteil, mein Selbstbedauern hatte noch zugenommen, so dass ich einen ganzen Ordner von Argumenten und Gegenargumenten der Rechtfertigung hätte füllen können. Mrs. Eddy weist uns in Wissenschaft und Gesundheit darauf hin: „Lasst uns in geduldigem Gehorsam gegen einen geduldigen Gott daran arbeiten, mit dem universalen Lösungsmittel der Liebe das harte Gestein des Irrtums — Eigenwillen, Selbstrechtfertigung und Eigenliebe — aufzulösen, das gegen die Geistigkeit ankämpft und das Gesetz von Sünde und Tod ist." Wissenschaft und Gesundheit, S. 242.
Kurze Zeit später spürte ich plötzlich starke rheumatische Schmerzen in meinen Armen, etwas, was ich vorher nie gekannt hatte. Sogar das Tragen einer Kollegmappe war schmerzhaft. Ich wandte mich im Gebet an den Allmächtigen und bat Ihn um Führung. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, sie lautete: „Du hast bisher nur die Fehler in anderen Personen gesehen und versucht, diese mit Argumenten zu verändern. Das geht nicht! Der einzige Ort, wo eine Veränderung möglich ist, ist dein eigenes Denken.“ Diese Antwort passte mir gar nicht, aber die Schmerzen zwangen mich zum Handeln.
Ich spürte plötzlich Schmerzen in meinen Armen. Ich wandte mich im Gebet an den Allmächtigen und bat Ihn um Führung. Die Antwort lautete: „Der einzige Ort, wo eine Veränderung möglich ist, ist dein eigenes Denken.”
In solchen Situationen wünschen wir uns manchmal, mit sanfter Hand ohne eigenes Zutun über das vor uns liegende „Hindernis“ gehoben zu werden. Alle Heilungen, die wir aber in Christian Science erfahren, fordern eine innere Umwandlung. So entfachte sich in mir ein mentales Ringen. Auf der einen Seite wünschte ich, möglichst schnell von den Schmerzen frei zu werden, auf der anderen Seite behauptete sich ein starker Widerstand, der mir sagen wollte: Die anderen müssen sich erst entschuldigen und dann bessern!“ Bei mir dauerte dieses Ringen zwei Jahre und vollzog sich stufenweise. Die Bibel und unsere christlich-wissenschaftlichen Schriften waren mir dabei eine wesentliche Hilfe. Aber ich entdeckte, dass das wirksamste Gebet nicht das gesprochene, sondern das gelebte Gebet ist. Wir müssen das in die Tat umsetzen, was wir im Gebet als richtig erkannt haben. Von Zeit zu Zeit begegnete ich diesen Personen wieder. Zuerst konnte ich ihnen nur von ferne aus zunicken, später dem einen oder anderen die Hand reichen. Als ich schließlich so geläutert war, dass ich allen wieder die Hand freudig ausstrecken konnte, fühlte ich mich frei und die rheumatischen Schmerzen waren verschwunden und dieses nun seit Jahren.
Ist es verwerflich, Gott um Hilfe zu bitten? Nein, gewiss nicht. Es kann nicht falsch sein, Gott alle Macht, also auch über unsere menschliche Situation und unser Bewusstsein zuzutrauen und uns dieser Macht zu unterwerfen. Solches Gebet lässt uns nicht die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass „der da oben schon alles richten wird". Gebet ist eine intensive gedankliche Aktivität, die in unserem Leben in verwandeltem, liebevollerem, geradlinigerem, versöhnlicherem Wesen spürbar wird und Heilung an Körper und Seele bewirkt. Was war hier geschehen? Wurde der Versuch unternommen, Rheumatismus gesund zu beten? Nein. Es wurde der Beweis erbracht, dass die folgende Empfehlung Mrs. Eddys stimmt: „Wir müssen beten, ohne Unterlass'. Solches Gebet wird in dem Maße erhört, wie wir unsere Wünsche in die Tat umsetzen. Der Meister verlangte ausdrücklich, dass wir im Verborgenen beten und unsere Aufrichtigkeit durch unser Leben beweisen." Ebd., S. 15.
