Gegenseitige Zuneigung und Respekt ist einer der wünschenswertesten Zustände in Bezug auf friedliches Zusammenleben von Einzelnen oder Gruppen. Das tägliche Leben zeigt sich allerdings häufig ganz anders. Obwohl man mit anderen auskommen möchte, schlägt nach anfänglichem Einvernehmen eine Freundschaft in Feindschaft um. Männer oder Frauen verlassen Eheverbindungen. Ein eben abgeschlossenes Friedensabkommen wird durch einen von blindem Hass geprägten Anschlag gefährdet. Der Bruch eines Waffenstillstandsabkommens gilt der gegnerischen Partei als Rechtfertigung für gewaltsame Reaktionen.
Da wird der Ruf nach einem Frieden laut, der unmittelbar und zuverlässig auf menschliche Angelegenheiten einwirkt. Wie finden wir wirksame Friedenslösungen? Eine Antwort liefert uns der Apostel Paulus in einem Brief an die frühchristliche Gemeinde in Philippi: „Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus." Phil 4:7.
Gerade wenn ein persönliches oder kollektives Feindbild sehr wirklich erscheint, mag es abstrakt anmuten, Frieden als eine vernünftige Alternative zu akzeptieren, als etwas, das gegenwärtig und für jeden verfügbar ist, weil es seinen Ursprung in einem unparteiischen und allgegenwärtigen Gott hat. Aber gerade da, wo die menschliche Vernunft Gottes Gegenwart leugnet, kann der göttliche Friede wirksam werden.
Aus dem Blickwinkel der göttlichen Liebe betrachtet, ist der Mensch das Bild, der Ausdruck der Liebe. Machen wir uns diese Sichtweise zu Eigen, verlieren wir unweigerlich die begrenzte, menschliche Vorstellung von der Welt und den Menschen aus den Augen und finden so unsere „Herzen und Sinne in Christus Jesus" bewahrt. Nichts kann uns daran hindern, die Welt mit Gottes Augen zu sehen und so den „Frieden Gottes" zu erleben.
Das heißt nicht, dass wir von nun an jede unliebsame Eigenart, jeden menschlich noch so unschönen Wesenszug eines Menschen gutheißen oder gar lieben müssen. Es geht auch nicht darum, unseren Mitmenschen, mit dem wir vielleicht in Spannung oder Unfrieden leben, nur an der Oberfläche verbessert, geändert sehen zu wollen, Unstimmigkeiten und Sympathieverlust durch menschliches Manipulieren zu beeinflussen oder resigniert klein beizugeben „um des lieben Friedens willen". Es genügt auch nicht, um jeden Preis ein wenig mehr Zuneigung von der anderen Seite zu bekommen, und dann wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Bei unseren Gebeten, die helfen, Gottes Idee, den Menschen, als Sein Bild und Gleichnis zu begreifen, kommt es nicht so sehr darauf an, dieses Bild mit menschlichen Vorstellungen einer Person zu belegen, seien sie auch noch so positiv und wünschenswert, als stattdessen die Idee der Sohn- und Tochterschaft Gottes anzuerkennen. Hierbei wird es uns immer wichtiger, unser Weltbild nicht mehr von sympathischen oder auch unsympathischen Menschenbildern beherrschen zu lassen, sondern diese Vorstellungen durch das Gleichnis Gottes zu überwinden.
In diesem Gleichnis, dem wahren Selbst jedes Menschen, liegt gleichzeitig die Vervollkommnungsfähigkeit der menschlichen Liebe. Hier entdecken wir einen Begriff von Liebe, der nicht wie persönliches Eigentum behandelt werden kann, den man nach Bedarf einsetzt. Nein! Wir beginnen, uns Gott zu nähern und Seine Liebe als unsere eigene zu entdecken. Geduld und Ausdauer sind hierbei nützliche Weggefährten.
Zum Beispiel Geduld mit menschlichen Schwächen oder selbst gravierendem Fehlverhalten. Unser Verständnis der göttlichen Liebe kann so weit gehen, dass unsere Nachsicht von einem Gebet begleitet wird, das uns den Mitmenschen wieder in der Reinheit der göttlichen Liebe erscheinen lässt. Liebe gibt jedem einzelnen die Gewissheit, dass Beleidigtsein, Empörung oder Rachsucht nicht die Eigenschaften sind, mit denen Gott Seine Kinder ausgerüstet hätte. Anders gesagt, Gott hat Seine geistige Schöpfung so gestaltet, dass darin nichts enthalten sein kann, auf das wir mit negativen menschlichen Gefühlen reagieren könnten.
Die Maxime, die sich für unser Handeln aus dieser geistigen Tatsache heraus ergibt, rückt Gottes Schöpfung an die erste Stelle unserer Wahrnehmung und lässt nicht länger zu, dass das äußere Erscheinungsbild unsere Gedanken beherrscht. Der Begriff eines materiellen Menschen kann nicht länger den Menschen Gottes verdecken und in uns Gefühle heraufbeschwören, die es nicht wert sind, als unsere eigenen Gedanken akzeptiert zu werden.
Wenn wir unser Denken von Gott bestimmen lassen, machen wir einem Menschen-Bild Platz, das zu Gottes Bild geschaffen wurde. Menschliche Beurteilungen treten in den Hintergrund und wir erkennen, was der Prophet Jesaja meinte, als er schrieb: „Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!" Die Verheißung, die aus derartigem Verhalten erwächst, beschreibt Jesaja mit den Worten: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten. .. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst. . ., dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag." Jes 58:6, 8–10.
Die Freiheit der Gotteskindschaft, die wir unserem Nächsten zugestehen, beziehen wir auch auf uns selbst und erleben dadurch den ungeteilten göttlichen Segen in unserer eigenen Erfahrung. Andernfalls schränken wir die eigene Bewegungsfreiheit mit den gleichen gedanklichen Fesseln ein, die wir einem anderen angelegt haben. Doch der All-Liebende zeigt jedem Einzelnen den Weg, wie er/sie Seine Liebe zur Richtschnur werden lassen kann.
Mary Baker Eddy, die die Bibel zur geistigen Grundlage der von ihr gegründeten Church of Christ, Scientist, machte, gab den Mitgliedern dieser Kirche eine Satzung mit auf den Weg der individuellen Kirchenmitgliedschaft. Sie schrieb: „Weder Feindseligkeit noch rein persönliche Zuneigung sollte der Antrieb zu den Beweggründen oder Handlungen der Mitglieder Der Mutterkirche sein. In der Wissenschaft regiert allein die göttliche Liebe den Menschen; und ein Christlicher Wissenschaftler spiegelt die holde Anmut der Liebe wider in der Zurechtweisung der Sünde, in wahrer Brüderlichkeit, Barmherzigkeit und Versöhnlichkeit." Handbuch Der Mutterkirche, Art. 8 Abschn.1.
Das Band der Liebe stärkt menschliche Vorstellungen und Einrichtungen mit dem Geist der Einheit und Einigkeit. Ob es sich dabei um einen Körper, eine Ehe, einen Arbeitsplatz, eine Kirchengemeinde oder sogar ein gesamtes Staatsgefüge handelt. All die vielschichtigen Strukturen der menschlichen Erfahrung finden ihren gemeinsamen Nenner in Gott, dem Ursprung allen wirklichen Seins.
Aus dieser Sicht sollten wir menschliche Beziehungen einordnen und unsere Gebete zu einer umwandelnden Kraft für unser Erleben werden lassen. Das durch Gebet gereinigte Denken lässt unseren Nachbarn, Freund, Kollegen in einem neuen Licht erscheinen. Wo vorher Hass, Groll, latente Kritik die Situation bestimmten, ändert sich unsere Wahrnehmung. Es zeigt sich der unveränderte Ausdruck der göttlichen Liebe, die im Menschen offenbar wird.
Die geistige Wertschätzung des anderen hat auch die Macht, das Erscheinungsbild und die Erfahrung unseres Nächsten zu verändern. Die vom göttlichen Licht berührten „Neu-Erscheinungen" können durch charakterliche Veränderungen sichtbar werden, aber sich auch in körperlichen Heilungen oder im Fortschritt in gesellschaftlichen Entwicklungen wie z. B. dem Friedensvertrag für Nordirland beweisen. Sie zeigen, dass die göttliche Liebe segnend und heilend auf menschliche Not eingewirkt und wahren Frieden hervorgebracht hat, von dem alle als Sieger profitieren. Gott verwirklicht Seine Liebe in unserem Leben. Es ist an uns, Seine Liebe als unsere Liebe zu akzeptieren und den daraus erwachsenden Frieden zu erleben.
