Der Christian Science Sentinel hat in einer seiner Radiosendungen kürzlich mit Joyce und Paul Marin aus Emmaus, Pennsylvanien, gesprochen, deren Ehe wegen der Gewalt in ihrer Beziehung am Rande der Zerrüttung stand. Die Marins haben uns erzählt, wie sie mit diesem Problem fertig wurden, und schildern die feste Grundlage, auf der ihre Ehe jetzt steht. Sie schreiben ihre Heilung und die Stärke ihrer Beziehung dem Gebet und den geistigen Lektionen zu, die sie aus der Bibel und aus Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy gelernt haben.
Ich wuchs in einer sehr gewalttätigen Familie auf. Mein Vater war ein notorischer Trinker und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. In dem Milieu, in dem ich aufwuchs, kannte ein Mann nur zwei Gefühle: Zorn oder Wut.
Jahrelang glaubte ich, ich hatte meinem Vater vergeben, und vielleicht hatte ich das auch getan, aber vergessen hatte ich nicht. Und das Nicht-Vergessen hielt den Groll in mir wach. Die Wut, die ich gegen ihn empfand, erlebte ich ständig neu. Leider habe ich diese Wut an Joyce abgelassen.
Ich wusste natürlich, dass Paul ein unglückliches Zuhause gehabt hat, doch weil ich auf Gott vertraute und spürte, dass Paul aufrichtig und gewissenhaft war, dachte ich nicht, dass sich seine Vergangenheit negativ auf unsere Ehe auswirken würde. Und ich fühlte auch, dass wir eine große Liebe zueinander empfanden. Doch nachdem wir geheiratet hatten, mussten wir uns ständig mit seinem Zorn auseinandersetzen. Ich wurde mit einem Verhalten konfrontiert, dass ich nie in meinem Leben gekannt hatte. Er warf mit Möbelstücken, Lampen und so weiter.
Ich befasste mich jedoch eingehend mit Christian Science und konnte, indem ich die christlich-wissenschaftlichen Lehren anwandte, die Tat vom Täter trennen und Paul als Gottes vollkommene geistige Idee sehen, obwohl er sich nicht danach benahm. Dennoch — das Verhalten hörte nicht auf und es war schwierig von Tag zu Tag weiterzumachen.
Paul: Ich erinnere mich noch, wie Joyce mich mit Christian Science bekannt machte. Sie lud mich ein mit ihr zu einer Mittwochabend-Zeugnisversammlung zu gehen, wo die Leute von Heilungen erzählen, die sie erlebt haben. Das faszinierte mich. Ich hatte noch nie von Christian Science gehört, doch mir gefiel die Klarheit dieser Christlichen Wissenschaft. Es war alles so frisch und klar.
Joyce: Schließlich mussten wir uns Hilfe suchen. Er wollte nicht mit einem Christian Science Praktiker reden, aber er redete mit einem Eheberater. Wir sind dann gemeinsam zu diesem Eheberater gegangen und mir wurde klar, dass dieser Mann die Situation als hoffnungslos ansah. Er glaubte nicht, dass wir zusammenbleiben konnten. Doch es hat mir immer viel bedeutet, dass Christian Science uns zeigt: Keine Situation ist hoffnungslos. Geistige Macht ist der materiellen Sicht der Dinge überlegen. Das ist auch ein Thema, das in der Bibel immer wieder auftaucht.
Paul: Ich war verzweifelt. Ich versuchte alles Mögliche. Zum Beispiel ging ich zu einem Therapeuten, der auf die Behandlung von Jähzorn spezialisiert war. Auf seine Anregung hin kaufte ich einen großen Karton voll mit altem Geschirr, das ich zerschmettern konnte. Aber das brachte mir nur vorübergehende Erleichterung. Es heilte nichts.
Schließlich kam es zu dem Punkt, wo Joyce es nicht länger aushalten konnte. Sie sagte mir, dass sie mich verlassen würde, aber ich glaubte ihr nicht. Dann ist sie gegangen.
Joyce: Wir waren zu diesem Zeitpunkt etwa fünf Jahre verheiratet und ich erklärte Paul, dies sei in einer Ehe einfach nicht das richtige Verhalten, und wenn es nicht aufhörte, würde ich gehen. Natürlich gibt es kein Patentrezept für so etwas. Bei jedem ist die Situation anders, doch ich hatte das Gefühl, dass ich gehen musste. So verbrachte ich einige Monate bei meiner Familie. Es war für mich äußerst peinlich und unangenehm.
Paul: Ich kam an einem Samstagmorgen von einer Geschäftsreise zurück. Da war Joyce ausgezogen und hatte einige Möbelstücke und ihr ganzes Hab und Gut mitgenommen. Es war mehr als nur ein Schock. Ich fiel buchstäblich auf meine Knie — überwältigt von Zorn. Ich schäme mich es zu sagen, aber mein erster Gedanke war: „Ich stecke dies Haus in Brand.” Der zweite Gedanke war, dass ich mich erschießen sollte. Der dritte Gedanke kam eindeutig von Gott. Die Engelsbotschaft war: „Ruf einen Praktiker an.” Ich sagte: „Gut, ich tu’s.”
Die ersten fünf Minuten kriegte ich kein Wort heraus. Ich heulte nur. Er wusste, dass ich es war; wir hatten vorher schon mal miteinander gesprochen. Er war wundervoll. Seine Stimme klang ganz sanft. Ich hielt die Zündschnur in der einen Hand und das Streichholz in der anderen. Und er half mir sie wegzulegen und machte mir klar, dass es mit meinem Leben keineswegs aus war, dass es tatsächlich erst anfing.
In dem Moment wurde mir bewusst, dass mir auf menschlichem Wege nicht mehr zu helfen war. Nur Gott konnte mir helfen und ich würde mich auf Ihn verlassen müssen. Die nächsten zwei Wochen waren unheimlich schwer. Diese Zeit, wo Joyce und ich getrennt waren, sind wohl die schlimmsten Tage meines Lebens gewesen.
Obendrein nahm sich ein guter Freund von mir das Leben. Ich wurde gebeten auf seiner Beerdigung einige Worte zu sprechen. Ich sprach über das Leben. Dann stieg ich ins Auto und beschloss zum Studieren und Beten in eine Christian Science Pflegeeinrichtung zu gehen.
Joyce: Das war sozusagen eine selbst gestaltete spirituelle Freizeit.
Paul: Ja, ich betete, um geführt zu werden und um diesen Zorn loszuwerden. Der Praktiker betete auch mit mir. Wir beide arbeiteten, beteten miteinander. Er erinnerte mich daran, dass ich nicht allein war, dass Gott bei mir war. Er erinnerte mich auch an Gottes Liebe zu mir, Seinem Kind, und daran, dass Gott mein wahrer, vollkommener Vater ist. Und er empfahl mir bestimmte Bibelverse und einige Stellen aus Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy zu studieren.
Die ganze Zeit meines Aufenthalts dort arbeitete ich an Vergebung. Ich war imstande meinem Vater völlig zu vergeben für das, was er getan hatte, und ich konnte auch mir selber vergeben. Es war mir vorher gar nicht klar gewesen, dass ich das tun musste; erst als ich ruhig genug geworden war, erkannte ich, dass ich mir wegen des Verhaltens meines Vaters eine Menge Verantwortung aufgeladen hatte. Warum jemand, der für mich sorgte, mich misshandelte, das konnte ich mir als Kind nur so erklären, dass es wohl meine eigene Schuld sein musste. Als mir diese Zusammenhänge bewusst wurden, erkannte ich, dass Gott mir schon längst vergeben hatte. Ich brauchte eigentlich nicht noch mehr Vergebung. Ich musste nur Gottes Liebe annehmen.
Dies war wahrscheinlich der größte Wandel, der sich an mir vollzog — als ich ganz klar die Wahrheit von Gott und dem Menschen erkannte. Der Groschen war gefallen und ich konnte eine größere Perspektive erlangen. Ich hörte auf mir nur zu wünschen, dass Joyce doch zurückkommen möge. Nicht, dass ich nicht wollte, dass sie wiederkam, doch ich hörte auf, ihre Rückkehr als meinen Preis anzusehen. Meine Beziehung zu Gott war wiederhergestellt und das war das eigentlich Schöne.
Joyce: Die Psychologie ist bei solchen Problemen der Auffassung, dass diese Art von Trauma zwar manchmal überwunden werden kann, jedoch immer Narben zurücklässt. Dass die Narben geheilt werden können, ist die Hoffnung, die Christian Science bietet. So konnte Paul über seine schwierige Kindheit hinauskommen, um Gott als seinen Vater zu erkennen und zu spüren, dass er immer versorgt wurde. Er konnte erkennen, dass Gott ihn immer liebt, ja dass Gott Liebe ist.
Währenddessen musste ich mit dem Gedanken fertig werden, dass die Ehe hoffnungslos war. Männer, die gewalttätig sind, so glaubt man, ändern sich nie, und ich wusste, dass ich da achtsam sein musste. Die ganze Dynamik von Misshandlung besteht darin, dass eine Person eine andere beherrscht, ob es nun Vater und Kind oder Mann und Frau sind. In Wahrheit gibt es jedoch nur einen Gott, ein göttliches Gemüt, das alle beherrrscht. Von Moment zu Moment habe ich mich darauf verlassen, dass das göttliche Gemüt mich führt.
Die Psychologie ist bei solchen Problemen der Auffassung, dass diese Art von Trauma zwar manchmal überwunden werden kann, jedoch immer Narben zurücklässt. Dass die Narben geheilt werden können, ist die Hoffnung, die Christian Science bietet.
Ich betrachtete mich nicht länger als eine misshandelte Person. Ich wusste, dass meine Beziehung zu Gott das Wichtigste war und dass ich mich in dieser Kommunikation zwischen Gott und Seiner Idee auf meinen geistigen Sinn verlassen konnte, um zu erkennen, wann es richtig war nach Hause zu gehen oder ob es richtig war einen anderen Weg einzuschlagen. Manchmal fragte ich mich, warum ich diese Erfahrung durchmachen musste. Aber mir wurde klar, dass diese Situation geheilt werden musste und dass andere dadurch gesegnet werden konnten.
Paul: Ich fühlte mich unzureichend darauf vorbereitet ein guter Ehemann zu sein, weil ich keinen guten Vater gehabt hatte. Doch schließlich konnte ich den Gedanken loslassen, dass mein menschlicher Vater mein Ursprung ist. Ich war in all den Jahren eigentlich gar nicht benachteiligt gewesen, da Gott ja die ganze Zeit über schon mein Vater gewesen war; und Seine Eigenschaften sind fehlerlos. Wenn ich sanft und liebevoll sein will, habe ich einen vollkommenen Vater, an den ich mich wenden kann. Wenn ich freundlich sein will, wenn ich verständnisvoll sein will, kann ich mich an Gott wenden, der mir diese Eigenschaften gibt, damit ich sie ausdrücken kann. Die Herausforderung bestand darin, Gott nahe zu bleiben und mich regelmäßig an Ihn zu wenden.
Joyce: Diese Gedanken kamen dir auf dem Freizeit-Wochenende?
Paul: Ja.
Joyce: Am gleichen Wochenende verbrannte ich mir die Hand schwer, während ich bei meiner Mutter war. Als das passierte, fing ich sofort an zu beten und ich machte einen Spaziergang, damit ich mit meinen Gedanken allein sein konnte. Auf dem Spaziergang dachte ich an die Worte aus einem Gedicht von Mary Baker Eddy: „Hirte, über Berge steil / zeig den Weg mir klar” (Vermischte Schriften, S. 397). Diese zwei Monate — ja eigentlich die ganze Ehe — waren so „steil” gewesen. Aber im gleichen Augenblick kam mir blitzartig die Erkenntnis, dass ich meine Sachen packen und zu Paul zurückkehren sollte. Ich dachte: „Das war aber eine klare Botschaft — fast so, als hätte jemand zu mir gesprochen. Doch wie soll ich wissen, ob ich dem trauen kann? Wie kann ich es wirklich wissen?” Dann merkte ich, dass meine Hand nicht mehr verbrannt war. Ich war augenblicklich geheilt worden.
Zuversichtlich rief ich Paul an. Er war auch der Meinung, dass wir wieder zusammensein sollten, aber er dachte, wir sollten uns erst einmal langsam wieder besser kennen lernen. Doch ich sagte: „Nein, ich komme an dem und dem Tag zurück”, was in drei Tagen war.
Paul: Ich glaube, ich habe mich dagegen gewehrt. Ich spürte, dass ich viel Fortschritt gemacht hatte beim Ablegen des alten und Anlegen des neuen Menschen, aber ich kannte diesen „neuen Menschen” noch nicht so gut! Das beunruhigte mich etwas. Ich wusste, dass ich mich geändert hatte, aber ich war nicht sicher, wie unser Verhältnis zueinander sein würde. Ich wusste, dass man das Vertrauen erst wieder aufbauen musste. Die Idee, die mir immer wieder in den Sinn kam, war: „Beständigkeit über längere Zeit”.
Joyce: Ich wusste, dass ich mich bei jedem Schritt des Weges an das göttliche Gemüt um Führung wenden konnte. Und wenn es notwendig sein sollte, eine Korrektur vorzunehmen, könnte ich das tun. Dies war ja nicht das letzte Mal, das Gott mir eine Botschaft oder einen Fingerzeig gab.
Paul: Während unserer Trennung wurde mir auch bewusst, dass ich mich sehr stark auf Joyce gestützt hatte, anstatt auf Gott. Jetzt begriff ich, dass Gott mir die Hilfe gab, die ich brauchte, und ich darauf vertrauen konnte.
Joyce: Und ich erkannte, dass ich Paul vergeben musste, um mich frei zu fühlen. Ich konnte seine früheren Taten von seiner wahren Identität trennen und das half mir sehr, damit fertig zu werden.
Ich habe ihm auch ganz deutlich gesagt, was für Verhaltensweisen in unserer Ehe nicht mehr akzeptabel sind. Und als wir dann wieder zusammen waren und die Dinge sich besserten, waren mir die Ehrlichkeit, die Paul zum Ausdruck brachte, und seine Bereitschaft sich offen auszusprechen besonders wichtig.
Paul: Als erstes kamen wir überein, dass wir zwar zurückschauen konnten, aber nicht „zurückstarren”. Mit anderen Worten, es war ganz wichtig, dass bei jedem Blick auf die Vergangenheit Dankbarkeit mitschwingen sollte. Auf diese Weise bewiesen wir die Wahrheit der folgenden Worte aus Wissenschaft und Gesundheit: „Leid hat seinen Lohn. Es lässt uns niemals dort, wo es uns gefunden hat” (S. 66).
Joyce: Ja, das stimmt. Ich bin enorm gewachsen; ich bin viel stärker geworden.
Paul: Wenn wir auf diese Zeit zurückblicken — und es sind inzwischen mehrere Jahre vergangen —, tun wir das mit Dankbarkeit, denn es hat uns ein großes Stück weitergebracht. Eine Last ist von mir abgefallen und vor allem sind auch keine Narben zurückgeblieben. Ich wurde umgewandelt. Die Freude, die Freiheit — eine Freiheit, die ich seit meinem siebten Lebensjahr nicht gekannt hatte — ist nur schwer zu beschreiben. Kein Therapeut, kein Mensch auf diesem Planeten hätte mir diese Freiheit geben können. Sie konnte nur von Gott kommen.
Ich staune manchmal, dass ich dies alles schon die ganze Zeit über unmittelbar vor mir hatte. All diese Wahrheit ist schon immer da gewesen, weil Gott Wahrheit ist.
Joyce: Wir haben nicht nur erlebt, wie unser eigenes Leben sich umgewandelt hat, sondern wir erzählen anderen von unseren Erfahrungen und machen ihnen Mut und sehen ihren Fortschritt. Und das ist das Beste an der ganzen Sache.
Paul: Ich bin in der Lage gewesen jungen Menschen zu helfen, die aus dem gleichen Milieu kommen, in dem ich aufgewachsen bin, und habe sie vielleicht vor etwas bewahren können, was ich durchmachen musste, bevor ich mich um Hilfe an Gott wandte. Wenn die Worte aus dem Herzen kommen, spricht man zum Herzen. Es hat tiefreichende Wirkungen, wenn man aus eigener Erfahrung sprechen kann. Die Leute gucken mich an und sagen: „Mensch, das hätte ich nie gedacht, dass Sie aus solchem Milieu kommen.” Wenn man es natürlich aus der richtigen Perspektive sieht — aus einer geistigen Perspektive —, bin ich in Wirklichkeit nicht aus diesem Milieu gekommen. Ich komme von Gott, von Vollkommenheit, von allumfassender Liebe. Ich bin in Wirklichkeit Gottes Bild und Gleichnis, so wie jeder von uns es ist.
Was mich zu diesem Verständnis geführt hat, waren diese zwei Bücher: die Bibel und Wissenschaft und Gesundheit. Sie haben mir diese Freiheit, dieses Verständnis und die Gelegenheit gegeben meine Freude mit anderen zu teilen. Ich bin jetzt voller Lebensfreude. Ich bin nicht nur fähig geliebt zu werden, ich bin auch sehr wohl fähig dazu, andere zu lieben.
HINWEIS:
Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich das Magazin von seinen Lesern. Wir werden richtungweisende und aktuelle Themen künftig in anderer Form im Herold präsentieren.
Herausgeber: The Christian Science Publishing Society
One Norway Street, Boston, MA 02115, USA
Nachdruck nur mit Genehmigung ©1999