Die Bilder drängen sich in meinen Abend — Randalierer und Plünderer, die Häuser anzünden und Geschäfte ausrauben. Sinnlose ethnische Gewalt. Diesmal kamen diese Fernsehnachrichten aus Indonesien, aus Jakarta. Doch es hätten auch viele andere Gegenden überall auf der Welt sein können.
Ich hatte die Augen geschlossen und ein Gebet gesprochen, während ich vor dem Fernseher saß. Ich betete ungefähr so: „Lieber Vater, hilf mir die Bruderschaft der Menschen zu erkennen." Auf dem Bildschirm war schon das nächste Tagesereignis zu sehen. Das Abendessen war fertig. Die vertraute Abendroutine lief weiter ab. Aber jetzt steigen diese Bilder wieder vor mir auf und ich fühle, dass ich mehr tun will — mehr tun muss.
Manchmal beginnt ein Gebet mit dem heißen Wunsch zu verstehen — so wie meines an diesem Abend. Was könnte die Menschen denn wirklich von Gewalttaten abhalten? Was könnte ihnen die Weisheit und die Geduld geben friedliche und gesetzliche Wege zu suchen und zu finden, um Ungerechtigkeit und Korruption zu beenden? Welche konstruktive Macht könnte die einzelnen Menschen und Regierungen zwingen sich zu reformieren? Nur eine universale, allerhabene Macht, die jedes einzelne Menschenherz erneuern und lenken kann. Nur die Gnade Gottes.
Gnade könnte als der göttliche Einfluss verstanden werden, der die Menschen dazu bringt, gut zu sein. Vor sechsundzwanzig Jahrhunderten verkündete der Prophet Jeremia die folgenden Worte Gottes: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen:, Erkenne den Herrn', sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß." Jer 31:33,34. Nach einer englischen Bibelübersetzung lautet der letzte Teil dieses Zitats folgendermaßen: „Sie werden einander nicht mehr beibringen müssen mir zu gehorchen. Ich, der Herr, verspreche, dass sie mir alle gehorchen werden, die gewöhnlichen Leute ebenso wie die Regierenden."
Durch Gebet wird dieses Ideal nicht erst wahr. Doch Gebet verdeutlicht uns das, was bereits wahr ist — Gottes allmächtige Liebe und Herrschaft —, auf praktische, greifbare Weise. Sicher haben wir alle schon die Macht der Gnade Gottes in ganz alltäglichen Dingen verspürt — ohne sie bewusst als das zu erkennen. Vielleicht sind wir davon abgehalten worden, vorschnell zu verurteilen, und wir haben uns stattdessen einen anderen Standpunkt gut angehört. Oder wir haben ein vernünftiges Argument vorbringen können, ohne unser Gegenüber zu verletzen. Und es gibt genügend Beispiele dafür, dass die Gnade Gottes auch im Weltgeschehen wirkt.
In einer Ansprache, die der frühere Premierminister von Israel. Shimon Peres, in Boston gehalten hat, berichtete er von einem bedeutsamen Wendepunkt bei den Friedensverhandlungen im Nahen Osten. Er und der verstorbene Premierminister Yitzhak Rabin entschlossen sich mit ihrem Erzfeind, der palästinensischen Befreiungsfront, zu verhandeln. Moralische Erwägungen hätten sie zu dem Entschluss geführt, sagte er, denn es widerspreche „allen Grundsätzen des Judaismus, weiterhin der Gewaltherrscher über ein anderes Volk zu sein".
„Es war keine leichte Entscheidung”, so erinnerte er sich, „denn ich bin sicher, [Palästinenser-Führer Yassir] Arafat, meinte, wir seien höchstwahrscheinlich schreckliche Leute — Wesen mit Hörnern. Ich muss zugeben: Wir hatten die gleiche Vorstellung von ihnen. Es war ein Schock für mich zu erkennen, wie sehr wir die menschliche Dimension außer acht gelassen hatten und wie tief wir beiderseits in der Verteufelung des anderen steckten." Contemporary English Version. Doch die Männer trafen sich, überwanden die Abneigung sich auch nur die Hand zu reichen und begannen zusammenzuarbeiten.
Trotz ungezählter Rückschläge arbeiten Friedenstifter wie diese in aller Welt weiter und glauben an den endgültigen Erfolg. Woher kommen diese unerschütterliche Geduld, Weisheit und Hartnäckigkeit, wenn nicht durch göttlichen Einfluss? Und sehen wir diesen Einfluss nicht auch in Indonesien — zum Beispiel in dem, was ein Kommentator später als die „Reife des Volkes der Indonesier im Angesicht des Aufruhrs" bezeichnete?
„Gnade und Wahrheit sind mächtiger als alle anderen Mittel und Verfahren" Arbeitsessen, veranstaltet vom World Affairs Council im Mai 1998 in Boston., schreibt Mary Baker Eddy in Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift. Unsere Gebete werden zum Mittel der Gnade, wenn sie von dem Verständnis getragen sind, dass Gott unendliche Liebe, die göttliche Wahrheit selbst, ist. Gott ist Alles — die eigentliche Substanz und Intelligenz allen Seins. In Wirklichkeit gibt es nichts außer Seiner Allheit, nichts, was ihr entgegenwirkt. Gottes Kinder sind keine unabhängigen Egos, die auf Selbstsucht und Korruption programmiert sind. Sie sind die Offenbarwerdung Gottes, Sein geistiges Gleichnis, dem das Gesetz Gottes ins Herz geschrieben ist. Die göttliche Gnade ist allerhaben. Nichts kann sie daran hindern, sich in der Welt durchzusetzen, denn sie ist letztlich der Einfluss, der uns alle formt.
