Kürzlich, als ich einmal wieder die Geschichte von Josef in der Bibel las, stolperte ich über folgenden Satz: „Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wusste nichts von Josef.” 2. Mose 1:8 Ich fragte mich, wie das sein konnte. Gab es denn keine Geschichtsschreiber bei Hof, die das Andenken und die großen Taten dieser herausragenden Figur wach hielten, dieses bekannten Hebräers, der eine der größten Autoritäten im ägyptischen Königreich wurde, der zweite Mann nach dem Pharao, der das Volk während der Jahre der großen Hungersnot ernährte, seinen Brüdern vergab, dass sie ihn in die Sklaverei verkauft hatten, und der seinen Vater nach Ägypten holte?
In einem Bibelkommentar fand ich die Antwort. Die Hyksos, ein asiatisches Eroberervolk, herrschten in den Jahren von Josefs Abenteuern über Ägypten. Sie waren gegenüber den Hebräern tolerant und herzlich. Sie wurden jedoch von einer einheimischen Dynastie gestürzt, die Josefs Volk wie Leibeigene behandelte. Der neue Pharao kannte Josef nicht persönlich und die Bibel macht es sehr deutlich, dass er ihm gegenüber völlig gleichgültig war und ignorierte, was Josef alles geleistet hatte.
Als ich weiter über diese Erzählung nachdachte, verstand ich, warum sie auf mich so einen starken Eindruck machte. Ich war kürzlich nach vielen Jahren der Berufstätigkeit in der Medienbranche pensioniert worden. Jetzt hatte ich das Gefühl, irgendwie „draußen” zu sein und nicht mehr in der arbeits- und ereignisreichen, aktiven „Szene”. Jedesmal wenn ich einen Film im Fernsehen sah, suchte ich im Nachspann nach Namen, die mir bekannt waren, fand aber keine. Die Autoren, Regisseure, Schauspieler und Produzenten, mit denen ich zu tun gehabt hatte, waren alle im Lauf der Zeit verschwunden. An ihre Stelle war jetzt eine neue Generation getreten, sozusagen „ein neuer König”, der von ihnen nichts wusste. Wer erinnerte sich schon noch an mich? Mein Stolz und mein persönliches Ego waren verletzt.
Dank Christian Science wusste ich, wie ich einen Weg aus diesem Trübsinn und der Mutlosigkeit heraus zu einer geistigeren Betrachtungsweise finden konnte, um den Fortbestand des Guten in meiner beruflichen Laufbahn zu sehen. In Wissenschaft und Gesundheit untersucht Mary Baker Eddy die Tatsache, dass Gott Gemüt ist und dass dieses Gemüt nicht an Zeit gebunden, sondern ewig ist. Gottes Kinder sind die Widerspiegelung des Gemüts, sein Ausdruck oder „Bild und Gleichnis”, wie es die Bibel im ersten Buch Mose sagt. Sie haben ihr Sein in diesem immer existierenden Bewusstsein. Das ewige Gemüt hat keinen Anfang und kein Ende, keine sterbliche Geschichte. Es erinnert sich weder an eine Vergangenheit noch vergisst es sie, sondern es kennt alle Dinge spontan und beständig als seine immer gegenwärtigen Ideen.
Ich hatte Josef und mich als Sterbliche gesehen, vom Schicksal dazu bestimmt, ein kurzes Erdenleben zu leben und dann zu verschwinden. Ich hatte die allgemeine Ansicht akzeptiert, dass Leben in einem materiellen Körper existiert, der nur geboren wird, um zu sterben. Aber Christian Science macht deutlich, dass diese Ansicht ein grundlegender Irrtum im Hinblick auf das Wesen von Schöpfer und Schöpfung ist. „Leben ist ewig,” schreibt M. B. Eddy. „Wir sollten dies ausfindig machen und beginnen, es zu demonstrieren.” Wissenschaft und Gesundheit, S. 246 Die geistige Tatsache ist, dass es für den wahren Mann und die wahre Frau keine Geburt und keinen Tod, kein Kommen und Gehen gibt. Wir gehören nicht einer von vielen Generationen von Sterblichen an, die jeweils für eine kurze Zeit die Weltbühne beherrschen und dann eine nach der anderen abtreten, um noch kurz von Familienmitgliedern, Verwandten und Freunden erinnert zu werden und dann endgültig aus aller Erinnerung ausgelöscht in Vergessenheit zu geraten.
Gott schreibt kein „Kalenderdrama” für uns, in dem wir unsere Rolle zu spielen haben. Mag es auch so scheinen, als ob wir uns auf einer irgendwann endenden Reise befinden, so offenbaren wir doch die alterslose geistige Kraft des göttlichen Gemüts, seine Vitalität und Freude. Wir haben alle nur eine Laufbahn, nämlich die, Gott, das unveränderliche ewige Gute widerzuspiegeln. Und das ist keine Achterbahnfahrt mit schwindelerregenden Höhen und Tiefen.
Gott ist der einzige Akteur, das einzige Ego. Er vergisst niemals Seinen „Text” — oder gar uns, Seine geistigen Ideen. Wir sind auch nicht in einem Bühnenstück mit Auftritt und Abgang. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind ist die individuelle Idee Gottes und lebt nicht in einem zeitlichen Rahmen, sondern immer im Mittelpunkt des Seins, im allwissenden Gemüt.
Wissenschaft und Gesundheit verheißt uns: „Der Mensch, der vom unsterblichen Gemüt regiert wird, ist immer schön und großartig. Jedes folgende Jahr entfaltet Weisheit, Schönheit und Heiligkeit.” Und weiter unten auf der gleichen Seite findet sich der Rat: „Lasst uns also unsere Anschauungen über das Dasein zu Lieblichkeit, Frische und Fortdauer gestalten statt zu Alter und Verkümmerung.” Ebd.
Jeder, der sich einem Wechsel gegenübersieht oder abnehmender Aktivität oder dem Gefühl, dass das Leben seinen Sinn verloren hat, kann in Wissenschaft und Gesundheit ein wirksames Werkzeug finden, um verlorener Freude und grüblerischer Apathie zu entgehen. Jeder, der dieses Werkzeug benutzt, kann seine normale, angeregte und sinnvolle Arbeit und Aktivität wiederentdecken.
Durch Gott wurde ich dazu motiviert, ein größeres und nützlicheres Ziel als persönlichen Erfolg zu verfolgen. Das ist nun über vierzig Jahre her und ich bin immer noch aktiv.
Das Gefühl von verletztem Stolz oder Ego verschwindet, wenn uns bewusst wird, dass es nur ein Ego gibt und dass wir dieses Ego vollkommen widerspiegeln. Dies bewahrt uns davor vergangenen Leistungen nachzuhängen. Wenn wir erst einmal unsere selbst angelegten Ketten fallen lassen, rückt unsere wahre individuelle Tätigkeit klarer ins Blickfeld. Sie ist dann keine persönlich geplante Aktivität, sondern der klare Ausdruck der ununterbrochenen, sich ständig entfaltenden, schöpferischen Tätigkeit Gottes.
Nach einer langen Karriere in der Radio- und Fernsehbranche half mir dieses Verständnis, eine neue Karriere als Medien-Kritiker für eine große Wochenzeitschrift zu beginnen. Diese Tätigkeit übte ich zwanzig Jahre lang aus. Ich wurde außerdem eingeladen, an einer Universität zu unterrichten, sodass ich viele Jahre über das normale Rentenalter hinaus berufstätig war. Trotzdem gab es auch immer wieder Zeiten, in denen ich von Unzufriedenheit geplagt war. Mein Ego war immer noch sehr in meine Arbeit verwickelt. Der Schatten alter Triumphe und persönlicher Anerkennung schwebte wie ein geisterhafter Schirm über all meinen lohnenden Projekten.
Ich sah ein, dass dieser Schatten nicht verschwinden würde, bis ich an seiner Stelle das Sonnenlicht der göttlichen Liebe sehen würde, die ihre Ideen entfaltet und die nicht durch die Dunkelheit des Egotismus und des Stolzes auf persönliche Leistungen entstellt werden kann. Diese Erkenntnis, und nicht die Arbeit selbst oder die Begeisterung sie zu tun, war die eigentliche Heilung, nach der ich suchte.
Ich hielt beharrlich daran fest, dass Gott, der einzige Akteur und der einzige Schöpfer, immer zufrieden mit Seiner Arbeit und Seinen Leistungen ist. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.” 1. Mose 1:31. Aufgrund dieser Tatsache erwartete ich, dass Gott Sein Wesen und das Wesen Seines Bildes und Gleichnisses entfaltet. Dadurch gewann ich ein tieferes Verständnis von der Tätigkeit des göttlichen Gemüts. Und damit einher ging eine höhere und dauerhafte Freude und Befriedigung.
Als Folge davon eröffnete sich mir eine neue Tätigkeit, die ich nach einem Jahr intensiver Arbeit vollendete. Durch Gott wurde ich dazu motiviert, ein größeres und nützlicheres Ziel als persönlichen Erfolg zu verfolgen. Das ist nun über vierzig Jahre her und ich bin immer noch aktiv, indem ich nicht meinen eignen Interessen nachgehe, sondern dankbar und mit wirklicher Demut versuche dem göttlichen Gemüt zu folgen, wohin es mich führt.
Erlösung ist kein apokalyptisches Ereignis zur Zeit des Weltendes, sondern die praktische Umsetzung unseres individuellen, vollkommenen, ewigen und wahren Wesens. Diese Wahrheit über unser wahres Sein zu leben heilt im tiefsten Sinne des Wortes. Und sie lässt sich nicht nur auf Schwierigkeiten mit der Pensionierung anwenden, wenn man vielleicht mit einem Gefühl des Vergessenseins kämpft, sondern auf jede Situation, die mit einer Veränderung zu tun hat.
