Es gab einen Wendepunkt in meinem Leben. Ich war ungefähr neunzehn Jahre alt, in Alkoholprobleme und Promiskuität verstrickt und fühlte mich von meiner Familie entfremdet. Obwohl ich als Kind etwas über Gottes Liebe gelernt hatte, wählte ich den Weg einer Ausgestoßenen „und brachte mein Erbteil durch mit Prassen” (siehe Lk 15:13). Ich empfand nur noch Schmerz und Einsamkeit. Einmal versuchte ich sogar Selbstmord zu begehen.
Wenn ich die Ereignisse in meinem Leben überdachte, kam es mir so vor, als ob ich alle Zehn Gebote gebrochen hätte, einschließlich „Du sollst nicht töten”, denn ich hatte eine Abtreibung hinter mir. Ich sehe mich noch tränenüberströmt allein in meinem Schlafzimmer sitzen, zutiefst erschüttert über all die Fehler, die ich gemacht hatte. Ich war todunglücklich.
Dann überkam mich auf einmal ein sehr ruhiges Gefühl und ich spürte Gottes Berührung. Es war, als ob Gott mir sagen wollte, dass Er/Sie mich liebt — vollständig, von ganzem Herzen — ja so sehr, dass ich wieder anfangen konnte, in eine neue Richtung zu gehen.
Ich erinnerte mich an die Christian Science Sonntagsschule, die ich als Kind besucht hatte. Meine Mom hatte mich dorthin mitgenommen. Ich konnte mich sogar daran erinnern, wie herzlich der eine Sonntagsschullehrer zu mir war. Ich rief meine Mom an und fragte, ob sie mich mit zur Kirche nähme. Sie freute sich, dass ich wieder mitkommen wollte.
Bald gab ich das Trinken völlig auf und war mit dem Rest meiner Familie wieder vereint. Andere Aspekte des geistigen Wachstums und der Erneuerung dagegen gingen nicht so schnell voran. Es gab viel zu lernen, aber ich war froh, wenigstens die richtige Richtung eingeschlagen zu haben. Die folgenden Zeilen aus dem Gedicht „Der Weg, der nicht genommen wurde” von Robert Frost bedeuteten damals sehr viel für mich:
Zwei Wege trennten sich im
Wald und ich —
Ich nahm den, der weniger begangen
wurde,
Und das machte den entscheidenden
Unterschied.
(Robert Frost, Gedichte von Robert Frost, Holt, Rinehart und Winston, 1969; S. 105)
Einige Zeit später verlobte ich mich. Kaum waren mein Mann und ich verheiratet, besuchte ich die Kirche bald gar nicht mehr. Ich war der (falschen) Auffassung, dass eine Ehe die Antwort auf meine Gebete war und ein Mann und Kinder der wahre Himmel sein müsste, auf den ich immer gehofft hatte.
Wir bekamen unser erstes Kind. Aber als ich wieder schwanger wurde, fing mein Mann an mich zu misshandeln. Bei einem extremen Gewaltausbruch ging er so weit, dass er sagte, dass er mich umbringen würde. Nach diesem Vorfall zog er aus.
Wieder rief ich meine Mom an und fragte sie, ob sie mich zur Kirche mitnähme. Sie willigte erfreut ein. Der Gottesdienst beinhaltete ganz überraschend für mich Stellen (aus der Bibel und aus Wissenschaft und Gesundheit von Mary Baker Eddy), die mit Ehe zu tun hatten. Ich saß hinten in der Kirche und weinte Tränen der Dankbarkeit, weil ich nun wirklich wusste, wo ich hingehörte, und ich fühlte mich gestärkt und ermutigt.
Mein Mann blieb für den Rest der Schwangerschaft weg. Während dieser herausfordernden Monate fühlte ich Gottes sanfte Führung und starke Liebe. Ein Lied, das ich oft sang, gründet sich auf ein Gedicht von M. B. Eddy, das „Mutters Abendgebet” heißt. Es beginnt so:
Kraft, Freude, Friede, holde Gegenwart,
Die schützend birgt, was noch
des Werdens harrt,
Liebreich des Nestlings
zagen Flug bewacht:
Dein Fittich trag empor mein
Kind heut Nacht!
(Christian Science Liederbuch, Nr. 207)
Ich fühlte mich wie dieser unsichere Jungvogel. Aber ich begann zu verstehen, dass, genauso wie meine Kinder unserem göttlichen Vater-Mutter gehörten und einzig Gott ihnen Vater und Mutter war, ich ebenfalls Gottes wertgeschätztes Kind bin. Ich fühlte, wie Gottes Hand mich stabilisierte und meine Familie beschützte. In dieser Zeit betete ein Freund mit mir und für mich.
Obwohl mein Mann und ich nach der Geburt des Babys für eine gewisse Zeit wieder zusammengefunden hatten, tauchten bald wieder Probleme auf. Es kam der Zeitpunkt, wo wir beide merkten, dass wir uns scheiden lassen sollten, was wir dann auch taten. Mit zwei kleinen Kindern konnte ich nur Teilzeit arbeiten. Es schien mir beinahe unmöglich, dass ich es finanziell oder emotional schaffen würde. Nachts, wenn die Kinder schliefen, saß ich zitternd vor Angst da — Angst, allein zu sein und Angst vor der Zukunft. Das folgende Versprechen aus der Bibel gab mir großen Trost: „[Gott] wird die Lämmer in seinen Arm sammeln ... und die Mutterschafe führen” (Jes 40:11).
Während dieser Phase befürchtete ich immer noch, dass ich von meinem Studium in Christian Science wieder abkommen könnte und von der Art von Gebet, das mich wie nie zuvor Gott näher gebracht hat. Ich weiß noch, dass ich den folgenden Ausspruch von Jesus in der Bibel fand und er mich bestärkte weiter dran zu bleiben: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen” (Joh 8:31, 32). Ich wollte nichts sehnlicher als dabei zu bleiben und ein Nachfolger Christi zu sein.
Dann hatte ich eine Beziehung zu einem anderen Mann. Diesmal war ich wirklich sicher, dass sie halten würde. Wir verlobten uns, ich wurde schwanger und wir beschlossen zu heiraten. Ich hatte immerhin so viel geistigen Fortschritt gemacht, dass ich ihm sagte, wir müssten über unsere Beziehung beten und sollten nicht vor der Hochzeit zusammen wohnen. Kurz danach fing auch er an mich körperlich zu misshandeln. Ich sagte die Hochzeit ab und beendete auch diese Beziehung. Doch diesmal wollte ich fuur mich das Gebot „Du sollst nicht töten” nicht brechen. Diesmal wollte ich das Baby bekommen.
Ich bat einen Christian Science Praktiker während der Schwangerschaft für mich zu beten. Bald hatte ich drei Kinder — und immer noch keinen Mann. Ich hatte mich jedoch daran gewöhnt zu beten und mich an Gott zu wenden. Und so hatte ich keine Angst mehr allein zu sein. Ich arbeitete schließlich sogar ganztags, vierzig Stunden, und konnte auf die liebevolle Unterstützung meiner Eltern und meiner Schwester rechnen.
So langsam begann ich zu verstehen, dass Gott mein Ehemann ist und auch Vater und Mutter meiner Kinder, wie auch Versorger, Beschützer und Heiler. Da ich gelernt habe, mich bei allen Dingen auf Gott zu verlassen, haben die Kinder und ich immer genau das gehabt, was wir brauchten. Ich lerne außerdem, dass es zu einem Leben in wahrer Freiheit gehört, in Übereinstimmung mit Gottes Gesetzen zu leben — Gesetze, die unsere natürliche Reinheit und Vollständigkeit beschützen. Freiheit bedeutet auch, sich dankbar Seinem sanften Willen unterzuordnen.
Heute sind meine Beziehungen frei von bloßer Sinnlichkeit, die ich früher als unverzichtbar empfunden hatte. Sie sind jetzt auf eine Nähe zu Gott gegründet, die ich Ihm gegenüber empfinde, und auf eine reine Zuneigung, die ich überall für meine Mitmenschen spüre. Ich kann jetzt mit großer Dankbarkeit sagen, dass das Verständnis der Liebe Gottes zu uns genau das ist, was unsere Herzen auf eine Weise befriedigt, wie nichts sonst es kann.