Weihnachten 1966 — mein erstes Weihnachtsfest in der Türkei. Ich war verheiratet und hatte ein kleines Kind. Wir waren damals ziemlich arm und unser Zuhause bestand aus einer Zweizimmerwohnung ohne Warmwasser. Die nackten Betonböden waren kalt und unfreundlich, doch man konnte sie leicht sauber halten. Im Wohnzimmer hatten wir einen Kerosinofen, der ausreichen musste, um das ganze Appartement zu heizen. Wir hatten kein Radio, keinen Fernseher, kein Telefon, keinen Weihnachtsbaum und keine Geschenke. Aber mein Mann und ich hatten uns beide sehr lieb und wir machten das Beste aus unserer Situation.
Da die Arbeit meinen Mann an diesem Tag rund um die Uhr in Anspruch nahm, war ich mit meinem Sohn alleine zu Hause und der Nachmittag zog sich in die Länge. Draußen war der Boden dünn mit Schnee bedeckt und Schneeflocken wirbelten leise durch die Luft.
Als ich diese winterliche Szene dort draußen beobachtete, sehnte ich mich nach den vergangenen Weihnachtsfesten mit ihrer Fülle und ihrer Sicherheit zurück. Nachdem ich kurz in Selbstmitleid versunken war stellte ich fest, dass ich dankbar und zufrieden mit dem sein konnte, was ich hatte: einen liebevollen Ehemann, einen aktiven Sohn, ein Dach über dem Kopf und etwas zu Essen auf dem Tisch. Es gab eine Menge Leute, die nicht einmal das hatten. Langsam wuchs in mir ein friedliches warmes Gefühl.
Dann klingelte es an der Tür. Vorsichtig öffnete ich — es war mein Schwager. Ich freute mich sehr ihn zu sehen, ein freundliches Gesicht, jemanden, den ich kannte, ein Verwandter! Während er sich die dünne Schneeschicht von Kopf und Schultern klopfte, griff er seitlich neben sich an den Eingang und zauberte — mit einem breiten Lächeln im Gesicht — einen reizenden kleinen Tannenbaum hervor, komplett bedeckt mit schmelzenden Schneeflocken. Ich fragte ihn ungläubig: „Woher wusstest du, dass ich einen Weihnachtsbaum brauche? Oh du meine Güte, du machst mich so glücklich! Vielen, vielen Dank. Bitte, komm doch herein.”
Sie denken jetzt vielleicht, dass meine Dankbarkeit etwas übertrieben war. Doch was seine Handlung besonders auszeichnete war die Tatsache, dass er ein Muslim ist. Dieser Gentleman war ein wahrhaft guter Samariter, der irgendwie meine Not erkannt haben musste und ihr abhalf, als ich gerade mit der Welt haderte. Er liebte seinen Nächsten wie sich selbst, geradeso wie der allerbeste Christ — Jesus Christus — es uns beigebracht hat. Das war das erste Mal, dass ich Weihnachten in der Türkei feierte, ein Land dessen Bevölkerung zu 99 Prozent aus Muslimen besteht. Und an diesem einen Tag bekam ich durch einen seiner Landsleute einen ersten Geschmack von ihrem Respekt für die religiösen Überzeugungen anderer, voller Einsicht, Toleranz und Geduld. Für mich war es der Anfang einer verbesserten Sicht von Gottes alles einschließender Liebe für die Menschheit.
Der Name dieses Mannes war „Nezih”, was soviel bedeutet wie „rein im Leben und im Charakter” und es bedeutet auch „ruhiger, gesunder und schöner Ort”. Beide Bedeutungen kamen an diesem Tag in geistiger Weise zum Tragen, weil ich nicht nur Nezihs gelebte Liebe und reinen Charakter spürte, sondern auch ein ruhiger, gesunder und schöner Ort in meinem Herzen entstand, an dem ich mich ganz friedlich und zu Hause in einem fremden Land fühlen konnte.
Über die Jahre habe ich viele muslimische Feiertage mit meiner Familie eingehalten und sie wiederum haben mit mir Weihnachten gefeiert. Sie haben niemals versucht mich zum Islam zu bekehren, noch habe ich versucht aus ihnen Christen zu machen. Und die Grenzen des Glaubens verschwinden, wann immer wir uns versammeln, um einen religiösen Feiertag zu begehen, sei er nun muslimisch oder christlich. Wir respektieren unseren jeweiligen Glauben und wir teilen eine gegenseitige Liebe für einen gemeinsamen Gott. Das war stets genug um den Zusammenhalt zu bewahren und uns zu helfen, mit den anderen in Harmonie zu leben.
Mary Baker Eddy erkannte die verbindende Kraft hinter aller Verehrung, indem sie schrieb: „Nichts ist der Bezeichnung Religion wert außer der einen demütigen Opfergabe — Liebe” (Die Erste Kirche Christi, Wissenschaftler und Verschiedenes, S. 258). Dieses Jahr schätze ich mein erstes Weihnachten in der Türkei ganz besonders; nicht wegen des Geschenks, das ich bekommen habe, sondern wegen meiner lebendigen Erinnerung an einen Muslim, der seine Hand einem Christen reichte — geradeso wie ich ihm meine Hand gereicht hätte, wenn die Situation umgekehrt gewesen wäre — ein Muslim, der Liebe und Freude schenkte und einen unvergesslichen geistigen Sinn der Weihnachtszeit.
