Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! (Joh 12:12,13)
„Gerüchteweise hatte sich die Nachricht verbreitet, dass Jesus, der Mann, der Lazarus von den Toten auferweckt hatte, sich auf dem Wege nach Jerusalem befände. ...
Für einen Teil der Menschen war das Ganze nichts weiter als ein sensationelles Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen wollte. ...
Viele Menschen begrüßten Jesus als einen Eroberer. Diese Gruppe bildete die überwiegende Mehrheit und bestimmte die Atmosphäre des Einzugs. ...
Die Worte, mit denen die Menschen Jesus empfingen, sind sehr aufschlussreich. Es handelt sich um ein Zitat aus Psalm 118,26. Mit diesem Psalm verbanden sich für die Juden viele Dinge. Es handelte sich dabei um den letzten der unter der Bezeichnung Hallelpsalmen bekannten Psalmen 113 bis 118. ... Es sind Psalmen zum Lobe Gottes, die jeder jüdische Junge auswendig lernen musste. Sie wurden bei den großen Tempelveranstaltungen gesungen, wenn die Menschen Gott lobten und dankten, und sie waren ein integrierender Bestandteil des PassafestRituals. Ebenso eng war der 118. Psalm aber auch mit dem Laubhüttenfest verknüpft, bei dem die Menschen Palmwedel, Myrten- und Weidenzweige, die sogenannten lulabs schwenkten. Täglich zogen die damit zum Tempel, umschritten den großen Brandopferaltar ... und sangen dabei Verse aus diesem Psalm, vor allem die Verse, mit denen sie jetzt Jesus empfingen. ... Der 118. Psalm war ein Psalm für besondere Gelegenheiten — das wussten die Menschen sehr wohl. Hinzu kam, dass dieser Psalm vor allem beim Einzug eines siegreichen Feldherrn angestimmt wurde. ... Zweifellos empfingen die Menschen Jesus mit diesem Psalm, weil sie in ihm den Gesalbten Gottes, den Messias, den verheißenen Erlöser erblickten. Und ebenso besteht kein Zweifel daran, dass sie in ihm zugleich den künftigen Eroberer erblickten. Es konnte ihrer Meinung nach nur eine Frage der Zeit sein, wann die Trompeten erklingen und die Juden zu den Waffen rufen würden, damit sie endlich den Sieg über Rom und die ganze Welt errangen, der schon so lange auf sich warten ließ. Jesus zog als einer, dem die Volksmenge als dem Eroberer künftiger Oberherrschaft des jüdischen Volkes zujubelte, in die Stadt Jerusalem ein, und das muss ihn sehr geschmerzt haben; sie sahen in ihm einen weltlichen Eroberer, also gerade das, was zu sein er entschieden ablehnte.”
Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. (Mt 28:1)
„Es scheint uns besonders angemessen, dass Maria Magdalena und die andere Maria die ersten waren, die erfuhren, dass der Herr auferstanden sei, und ihm auch als erste begegneten. Sie waren bei seinem Kreuzestod dabei gewesen und bei seiner Grablegung, und jetzt empfangen sie den Lohn ihrer Liebe; sie sind die ersten, die von der Auferstehung erfahren. Zwingend scheinen sich aus der Konfrontierung dieser beiden Frauen mit dem leeren Grab und der Begegnung mit dem Auferstandenen drei Tatsachen zu ergeben.
1. Sie sahen sich genötigt, zu glauben. Was ihnen widerfuhr, war so verblüffend, dass es einfach nicht zu glauben schien, zu schön, um wahr zu sein. Doch der Engel erinnerte sie an die Verheißung Jesu und zeigt ihnen das leere Grab; jedes seiner Worte ist eine Aufforderung, zu glauben. Auch heute noch haben viele Menschen das Gefühl, dass die Verheißungen Jesu viel zu gut seien, als dass man ihnen glauben könne. ...
2. Sie sehen sich genötigt, zu teilen und andere teilhaben zu lassen. Nachdem sie selbst von der Auferstehung Christi erfahren haben, ist es ihre erste Pflicht, dieses zu verkünden und andere an ihrem Wissen teilhaben zu lassen., Gehet hin und verkündiget!' lautet das erste Gebot für alle, die das Wunder Jesu Christi entdeckt und erfahren haben.
3. Sie sehen sich genötigt, sich zu freuen. Der auferstandene Christus begrüßt sie mit dem üblichen Grußwort chairete, was wörtlich bedeutet: Freut euch! Wer dem auferstanden Herrn begegnet ist, lebt von Stund an in der Freude, das er stets gegenwärtig ist und dass nichts ihn von seinem Herrn zu trennen vermag.”
Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. (1. Joh 2:1)
„Johannes war, als er diesen Brief schrieb, ein hochbetagter Mann; ja er muss der letzte Überlebende seiner Generation gewesen sein, vielleicht der letzte, der mit Jesus zu dessen Lebzeiten persönlich zusammengewesen war und gesprochen hatte. Alten Menschen fehlt häufig das Verständnis für die Jugend. ... Bei Johannes verhielt es sich anders. Er empfindet selbst in hohem Alter nichts als Zärtlichkeit für alle, die seine Kinder im Glauben sind. Nochmals sagt er ihnen, sie sollen nicht sündigen. Doch er schilt sie nicht; in seiner Stimme ist keine Schärfe; er schmäht sie auch nicht und versetzt ihnen mit seinen Worten keine Peitschenhiebe, sondern versucht, sie durch seine Liebe zu frommen, guten Menschen zu machen. In diesen einleitenden Worten kommt das Verlangen und die liebevolle Zuneigung eines Seelsorgers zum Ausdruck, der seine Freunde mitsamt ihren unberechenbaren Torheiten seit langem kennt und dennoch liebhat. ...
Johannes nennt Jesus Christus unseren Fürsprecher ... Das entsprechende griechische Wort parakletos wird in der Lutherbibel mit Tröster übersetzt. Das ist ein großes Wort, und dahinter verbirgt sich ein so großartiger Gedanke, dass wir uns näher damit beschäftigen müssen. ...
Parakletos selbst ist eine Passivform. Wörtlich ist damit jemand gemeint, den man herbeiruft, damit er einem beisteht. Doch da der Grund, weswegen jemand herbeigerufen wird, stets im Vordergrund steht, hat das Wort trotz der Passivform eine aktive Bedeutung angenommen und heißt dann Helfer, Sachwalter, und vor allem bedeutet es, dass jemand zu unseren Gunsten aussagt, dass er unsere Sache vertritt oder uns vor Gericht verteidigt. In diesem Sinne war es in der griechischen Umgangssprache ebenfalls sehr gebräuchlich. ...
Wer sich seinen Freunden zur Verfügung stellt, ist ein parakletos. Mehr als einmal begegnen wir im Neuen Testament dem wunderbaren Gedanken, dass Jesus der Freund, der Anwalt und Verteidiger der Menschen ist.”
Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden ... (Joh 9:39)
„Jesus ist zum Gericht in die Welt gekommen. Wer mit Jesus konfrontiert wird, unterzieht sich zugleich selbst dem Gericht. Wer in Jesus nichts erblickt, als den bewundernswerten Menschen, der verurteilt damit sich selbst. Wer jedoch zu fragen und sich zu wundern beginnt, wer spürt, dass Jesus von ihm eine Antwort erwartet, wer die Hand nach Jesus ausstreckt, der befindet sich auf dem Weg zu Gott. Wer sich seiner Blindheit bewusst ist, wer sich danach sehnt, mehr zu erkennen, dessen Augen können geöffnet werden, und er kann soweit geführt werden, dass er immer tiefer in die Wahrheit Gottes eindringt. Wer dagegen glaubt, er wisse bereits alles, wem nicht bewusst ist, dass er nicht zu sehen vermag, der ist in Wahrheit blind; für einen solchen Menschen besteht weder Hoffung noch Hilfe. Nur wer sich der eigenen Schwachheit bewusst ist, kann sehen lernen. Nur wer sich seiner Sünde bewusst ist, kann Vergebung erlangen.
Je größer das Wissen des Menschen ist, umso mehr ist er zu verurteilen, wenn er das Gute nicht erkennt, wo es ihm begegnet. Wären die Pharisäer in Unwissenheit aufgewachsen, hätte niemand sie verurteilen können. Dass sie verurteilt wurden, lag daran, dass sie behaupteten, alles zu wissen, und doch versagten, als es galt, den Sohn Gottes zu erkennen, der zu ihnen gekommen war.”
Alle Zitate aus:
William Barclay, Auslegung des Neuen Testaments
