Du, Herr, bist unser Vater; „Unser Erlöser”, das ist von alters her dein Name. (Jes 63:16)
„[Hier] erscheint nun ein Satz, der für das Alte Testament eine neue und einzigartige Aussage ist (und schon ins Neue Testament hineinragt): Du bist doch unser Vater ..., Sehr im Gegensatz zu den Gesprächspartnern Jesu in Joh 8,33, die sich sicher und stolz auf ihre Abrahamssohnschaft stellen, sagt die hier zu Gott flehende Gemeinde: Auf Abraham oder Jakob können wir unser Vertrauen nicht setzen, sie kennen uns nicht! Gott ist in einer vollkommen anderen Weise Israels Vater als Abraham und Jakob Väter des Volkes sind; er ist lebendiger, gegenwärtiger Vater, er weiß, er kennt, er sieht. Eben darin ist er Vater, das man zu ihm rufen kann, und dass er sich gnädig seinem Volk zuwenden kann’ (Westermann). In kühner Weise überspringt der Glaube die eben erst beklagte Distanz Gottes zum Menschen. Der Vater ist der Retter, der Ton liegt hier nicht auf einer, physischen Verwandtschaft’. Sachlich vorbereitet wurde diese Bezeichnung für Gott durch das, was soeben über Gottes Angesicht und Gottes Geist gesagt wurde. Der Vater ist unser Erlöser von alters her. Darum ist die Anrede Gottes als Vater ein Appell an seine Treue. Gott ist Vater, geworden’, weil er sich in einer bestimmten geschichtlichen Stunde seines Volkes erbarmt hat. Anders gesagt: Wer Gott als Erlöser und Retter aus seiner Heilsgeschichte erkennt, darf ihn Vater nennen!” (WStB)
Sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. (Apg 2:4)
„Nicht etwa nur die Apostel, die, Amtsträger’, erhalten den Geist. Auch die anderen Jünger werden mit ihm beschenkt, auch die Frauen. Jawohl, es gilt in der Gemeinde Jesu von Anfang an:, Hier ist nicht Mann noch Weib’ (Gal 3,28). Darum blickt Petrus bei seiner Rede auf das Wort Joels, das ausdrücklich die, Mägde’ und, Töchter’ mit den, Söhnen’ und, Knechten’ zusammen als Empfänger des Geistes seiner Wirkungen nennt.
Was aber wirkt der Geist? Nur innere Erfüllung und Freude bei den Beschenkten selbst? Das widerspräche der Grundlinie der gesamten Schriftoffenbarung. Niemals sind Gottes mächtige Taten nur zu unserer persönlichen inneren Beglückung da! Immer bereiten sie Menschen für Gott, zur Ehre Gottes und zur Mitarbeit in Gottes Heilsgeschichte unter den Menschen. ... Der Heilige Geist gibt, auszusprechen’. Das dafür verwendete Wort meint ein feuriges oder begeistertes Sprechen. Die Jünger, predigen’ nicht etwa! ... Wie sollten auch 120 Menschen zu gleicher Zeit, Predigten halten’ können! Wer sollte da folgen. Es ist auch beachtlich, dass Missgünstige unter der Menge von den Jüngern den Eindruck haben konnten:, Sie sind voll jungen Weins.’ Das macht deutlich, dass es sich nicht um, Predigen in verschiedenen Sprachen oder Dialekten’ handeln konnte. Wie hätte dabei jeder der Zuhörer gerade an den Jünger kommen sollen, der seine Heimatsprache redete. ... Nein, es wird dies, Reden in anderen Zungen’ das erste urchristliche, Zungenreden’ gewesen sein. ... Das, Zungenreden’ aber war kein, Predigen’, sondern ein Anbeten, Loben, Rühmen, Danken .... Das konnten sie in der großen Schar gleichzeitig tun. ...
Dennoch bleibt es etwas Großes, was hier am Pfingstmorgen geschah. Von Gott gewusst, an Gott geglaubt haben die Jünger auch vorher schon. Sie konnten auch vor Pfingsten mit einem Ernst und einer Ausdauer beten, die uns beschämt. Nun aber steht im Heiligen Geist Gottes Wirklichkeit und Herrlichkeit so einzigartig vor ihnen, dass sie vollständig sich selber und alles um sich her vergessen und nur noch Gott anbeten und preisen können. Was sie im Geist von Gottes Weisheit, Heiligkeit, Liebe und Erbarmen vor sich sehen, das sprengt alles menschliche Denken und Reden. Alle Worte üblicher Sprache versagen davor.” (WStB)
Wer darf auf des Herrn Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist. (Ps 24:3,4)
„Weil also Gott der Herr der ganzen Welt ist, kann er es sich erlauben, einen Ort aus dieser großen Welt zu erwählen, den Berg Jahwes, seinen ihm allein gehörenden heiligen Ort. Nun hat aber der sich offenbarende Gott die Herrlichkeit des Schöpfers — darum ist es nicht so ohne weiteres möglich, dass sich der Mensch diesem großen Gott naht. David hat das nachhaltig gespürt, und er lässt es die mit ihm Feiernden in seinem Gebet nachsprechen: Wer steigt hinauf ... wer erhebt sich? Das heißt, wer ist in der Lage, sich vor diesem Gott aufrecht hinzustellen und ihn anzubeten? ...
Nicht die bloße Zugehörigkeit zum Gottesvolk ermächtigt zum Erscheinen vor dem Angesicht Gottes, keine Vorzugsstellung im öffentlichen Leben ist hier ausschlaggebend. ... [David] zeigt den springenden Punkt auf: Der an den Händen Unschuldige und der ein reines Herz hat. Es ist nicht gemeint, dass von sich aus ein Mensch durch rechtmäßiges Verhalten gegenüber Gott selbstverständlich einen Zugang zu ihm haben müsse. Vielmehr will David zeigen, dass es Unschuldige gibt, deren Schuld vergeben (Ps 32,2) ist — wie David aus eigener schmerzlicher Erfahrung bezeugen kann — und dass es nur dem gereinigten Herzen erlaubt ist, sich Gott zu nahen beziehungsweise denen, die sich von Gott auf dem Weg des Gehorsams unterweisen lassen (vgl. Ps 25) und ihn dann auch gehen. Die unschuldigen Hände und die reinen Herzen haben sich Gott in radikaler Hingabe versprochen. Es geht also im Grunde um das erste Gebot, das David anspricht.” (WStB)
Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben ... (Röm 1:16)
„Die psychologische Auslegung spricht so: Der Gedanke an den bevorstehenden Besuch in Rom, dieser großmächtigen, glanzvollen Metropole, zusammen mit dem Selbstbewusstsein der Hauptstädter und dem Spötteln der Intellektuellen hätten den kleinen Asiaten erst einmal eingeschüchtert. Diese Empfindung habe er niederringen müssen. Aber Paulus hat hier überhaupt nicht die heidnische Bildungswelt Roms im Sinn ... Unmittelbar vor dem Aufbruch nach Jerusalem (15,25) bewegte ihn etwas anderes. In jerusalem und anderswo begann sich Jesu Voraussage von Joh 16,2 zu erfüllen: schärfster Widerstand von jüdischer Seite! Er erging mit theologischer Wucht, mit Pochen auf die Schrift und als vermeintlicher Dienst für Gott. Das traf tief. Woher nahm er demgegenüber seine Standhaftigkeit? Nicht aus seiner Psyche, sondern aus seiner Theologie. ...
Ihn bestärkte die bereits erwiesene Wirkung des Evangeliums: Denn Kraft Gottes ist es zur Rettung. Im Unterschied zu V. 20 spricht er hier nicht etwa von der, ewigen Kraft’ Gottes in der Schöpfung ..., Kraft’ bezieht sich nämlich auf, es’, auf das zuvor erwähnte Evangelium, die urchristliche Missionspredigt. Gott gab der Welt nicht nur den Christus, sondern auch die kraftgeladene Predigt von Christus. Christus und Christuspredigt verhalten sich dabei wie Gabe und unentbehrliche Beigabe, denn, wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? ...’ (Röm 10,14). Die Urchristenheit stand staunend vor den Wirkungen des Wortes, vor seiner Ausbreitung über alle Grenzen. ...
Dieses Evangelium gilt universal ...: für jeden Glaubenden. Das NT bezeugt die Zusammenstellung von Rettung und Glaube in großer Breite. Während der folgende Vers hervorhebt: Glaube allein!, liegt hier der Ton auf totaler Entschränkung: Glaube und darum Rettung für ausnahmslos jeden. Paulus scheut auch nicht die Nagelprobe und wendet dieses, Für alle!’ ausdrücklich auf den tiefsten Unterschied an, der die Menschheit durchzieht, weil er im Erwählen Gottes verankert ist: sowohl — zuerst! — für den Juden als auch für den Griechen.” (WStB)
Und es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. (Mk 15:25)
„Je mehr sich das Geschehen dem Kreuz nähert, desto dichter wird das Netz der Zeitangaben. Man denke an das Zeitzeichen im Rundfunk, das auf den Eintritt der vollen Stunde vorbereitet und schließlich jede Sekunde meldet. So steigert auch Markus die Spannung. Um Erfüllungsgeschehen bewusst zu machen, geht er nach Tagesangaben zu Stundenangaben über. Etwa um 3 Uhr krähte der Hahn (14,68)., Früh’, also um 6 Uhr, wurde Jesus dem pilatus überstellt (15,1). Jetzt schlagen sie ihn um 9 Uhr ans Kreuz (15,25), um 12 Uhr beginnt die Finsternis (15,33), um 15 Uhr betet Jesus in tiefster Tiefe (15,34)., Spät’, etwa um 18 Uhr, wird die Grablegung eingeleitet (15,42). ... Das Zeitgerüst mit seinem 3-Stun-den-Intervall macht die hohe Regie Gottes bewusst. ...
Die Kreuzigung steht [in V. 25] im Nebensatz, und das Gewicht rückt auf die Zeitangabe. ... Das Berichtete ist wirklich ein Ereignis in der Zeit, nicht verkleidete Philosophie, nicht der, spekulative Karfreitag’ von F. Hegel.” (WStB)
Abkürzungen:
WStB = Wuppertaler Studienbibel