Schmunzelnd kann ich heute an eine kleine Begebenheit aus der Kindergartenzeit meiner Sprösslinge zurückdenken. Morgens an der Bushaltestelle beginnt ein Vater mit Kind ein Gespräch mit einer ebenfalls wartenden Mutter. Es geht um seine andere Tochter, die bereits im Teenageralter ist. Die beiden Altersabschnitte werden verglichen und die Schwierigkeiten mit der älteren Tochter ausführlich geschildert.
Die Christliche WissenschaftChristian Science ist zu der Zeit für mich noch ziemliches Neuland, aber ich kann mich noch ganz genau an das Gefühl erinnern, das ich beim Mithören dieses Gesprächs empfand. Mit einem Anflug von Überheblichkeit und einer egoistischen Selbstsicherheit dachte ich:, Mir kann so etwas nicht passieren. Ich habe ja die Christliche Wissenschaft.’
Aus meinen süßen Kleinen werden rasch große Kinder. Meine Tochter Melanie interessiert sich bereits mit 10 Jahren für das andere Geschlecht. Ich selber habe in dem Alter noch lange mit Puppen gespielt. Sie treibt sich in der Punkszene herum und gestaltet ihr Leben durch ihr Verhalten und ihr Outfit äußerst provokativ. Damit ist in Kürze auf den Punkt gebracht, was in Ausführlichkeit mit Leichtigkeit einen dicken Wälzer füllen könnte.
Dieses Kind hat in mir nicht nur einmal den Wunsch geweckt, sie zu packen, kräftig durchzuschütteln und im Viereck herumzuschlagen — als Ausdruck meiner Hilflosigkeit.
Die Erfahrungen des eingangs erwähnten Vaters sind harmlos im Vergleich zu dem, was mir begegnet. Fort ist jegliche Überheblichkeit und fort ist auch die Selbstsicherheit.
Die Christliche Wissenschaft ist geblieben. Sie erspart mir diesen Weg nicht, aber sie wird mir ein treuer Begleiter und Beistand. Unvorstellbar ist für mich, was ich ohne sie gemacht hätte.
Diese Wissenschaft bringt mir den Menschen als Bild und Gleichnis Gottes näher, wie er im 1. Kapitel der Genesis geschildert wird. Sie wirft immer wieder ein erlösendes Licht auf Momente der Frustration und Ausweglosigkeit. Sie verlangt immer und immer wieder von mir, durch das Bild eines aufmüpfigen Teenagers hindurchzusehen auf das Bild, das Gott von ihr hat. Sie fordert mich wiederholt auf zu lieben, wo ich gar nicht lieben möchte. Sie lehrt mich, das, was nicht liebenswert an meiner Tochter ist, von ihr zu trennen und sie völlig von ihrem göttlichen Ursprung her zu definieren.
Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift (WuG) von Mary Baker Eddy, das Praxishandbuch dieser Wissenschaft, drückt es auf Seite 200 so aus: „Die große Wahrheit in der Wissenschaft des Seins, dass der wirkliche Mensch vollkommen war, ist und immer sein wird, ist unbestreitbar; denn wenn der Mensch das Bild, die Widerspiegelung Gottes ist, dann ist er weder verkehrt noch umgekehrt, sondern aufrecht und gottähnlich.“ Auf Seite 63 heißt es: „In der Wissenschaft ist der Mensch das Kind des Geistes. Das Schöne, Gute und Reine sind seine Ahnen. Sein Ursprung liegt nicht wie der der Sterblichen im rohen Instinkt, auch muss er nicht durch materielle Umstände hindurchgehen, bevor er Intelligenz erlangt. Geist ist seine ursprüngliche und endgültige Quelle des Seins; Gott ist sein Vater und Leben ist das Gesetz seines Seins.“
So ruft die Christliche Wissenschaft mich immer wieder auf, mir klarzumachen, dass meine Kinder Gottes Kinder sind, von Ihm geschaffen, dass Er das Himmelreich in sie gelegt hat und diese Wahrheit sich offenbart, egal was der Augenschein der Sinne behauptet. Das befreit mich von einem falschen Verantwortungsgefühl.
Damals hatte ich in verschiedenen Zimmern Holztafeln mit den Schriftzügen göttlicher Synonyme und Eigenschaften aufgehängt: Liebe, Gemüt, Frieden, Freude, Harmonie.
Als es mal wieder zu einer Auseinandersetzung kommt, schreit es in mir:, In diesem Haus gibt es keinen Frieden, keine Liebe, keine Freude und schon gar keine Harmonie!' Frustriert hänge ich die Tafeln ab, werfe sie in den Holzkorb zum Verbrennen. Die „Harmonie“ stecke ich gleich in den Ofen. (Zum Glück ist kein Feuer drin.)
Nachdem sich der Sturm gelegt hat, setze ich mich erst einmal hin, unglücklich und schrecklich enttäuscht, dass die Situation wieder dermaßen eskaliert ist. Ich fühle mich schlecht und bitte Gott um Vergebung, dass ich als Mutter eine Versagerin bin.
Er antwortet mir mit einer ganz klaren Anweisung: „Nimm die Tafeln und hänge sie wieder auf!“. Ich erkenne in diesem Augenblick ganz klar, dass diese Eigenschaften ein göttliches Gesetz zur Grundlage haben, dass sie geistige Wirklichkeiten sind, die von Unfrieden, Hass und Disharmonie nicht berührt werden können. Ab jetzt werden die Tafeln zu Leitbildern, die mir helfen, durch das äußere Bild hindurch zur höheren Wirklichkeit zu schauen.
Zur damaligen Zeit ist ein schwieriger Punkt in unserer Beziehung das gestörte Vertrauen wegen wiederholten Lügens. Um Diskussionen aus dem Weg zu gehen oder die Eltern nicht zu beunruhigen, scheint das Verschweigen und Lügen das kleinere Übel zu sein. Trotzdem höre ich nicht auf, mit Melanie zu reden. Ich weiß zwar nie, ob das, was sie mir erzählt, wahr ist oder nicht. Aber ich lerne auch hier, durch eine sterbliche Geschichte, ob im menschlichen Sinne wahr oder unwahr, hindurchzuschauen. In Wirklichkeit hat sie als Kind Gottes gar nicht das Verlangen zu lügen, unehrlich zu sein.
Obwohl es manchmal schwer fällt, suche ich nach guten Eigenschaften in meiner Tochter. Ich entdecke schließlich eine ganze Reihe davon. Auffallend sind ihr soziales Engagement, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Großzügigkeit, ihre Kreativität, ihr Sinn für Gerechtigkeit. Das gibt mir Hoffnung, denn diese Eigenschaften kommen von Gott und haben daher unendliche Entfaltungskraft in sich. Sie zeigen ihr wahres Wesen und haben daher wirkliche Substanz, die sich immer klarer und umfassender offenbart. Darauf darf ich vertrauen.
Melanie ist heute eine junge Frau, die ihren Platz im Leben einnimmt und auch ausfüllt. Ihr göttliches Wesen hat sich wunderbar entfaltet und es entfaltet sich weiter.
Rückblickend kann ich heute sagen, dass ich dankbar bin, dass ich diesen schwierigen Lebensabschnitt mit ihr gehen durfte. Ihr Verhalten hat mich oft an meine eigenen Grenzen gebracht und mich gezwungen, sie zu erweitern.
Kürzlich fragte mich jemand, wie aus mir doch noch was geworden sei. Spontan antwortete ich: „Meine Mutter hat nie aufgehört mir zu sagen, wo es lang geht.“
Hinterher dachte ich genauer darüber nach. Dadurch, dass mir immer wieder gezeigt wurde, wo meine Grenzen sind, wusste ich stets, was eigentlich richtig gewesen wäre. Es ist das Wichtigste, nicht fallen gelassen zu werden. Ich bin überzeugt, wenn man aufgegeben wird, fängt die „Sch...“ erst richtig an!
Damals war mir jedoch egal, wie jemand auf ein 16-jähriges, frisch am Kopf tätowiertes, gepierctes Mädchen reagiert. Auch ohne Erlaubnis fand ich stets kreative Wege, meine eigensinnigen Ideen hartnäckig in die Tat umzusetzen. Mit meinen bunten, hochrasierten Haaren wollte ich aber gar nicht provozieren. Ich liebe auch heute noch das Außergewöhnliche und Schrille.
Ich erzähle euch mal eine typische Geschichte aus dieser Zeit. Ich, 14, — die ganze Nacht Party — im Morgengrauen heim mit Punk im Schlepptau — irgendwann mittags aufgestanden. Und jetzt der Knüller. Keine Szene vonseiten meiner Eltern. Wir konnten gemütlich frühstücken. Niemals hätte ich das erlaubt bekommen. Ich wusste genau, dass das nicht okay war. Trotzdem die klasse Reaktion. Es gibt nichts Schlimmeres, als vor anderen bloßgestellt und „dumm angemacht“ zu werden. Zwischen mir und meinen Eltern kam es aber oft auch zu harten Auseinandersetzungen, wenn wir allein waren.
Prinzipiell hatte ich schon immer meinen inneren Wegweiser, eine innere Stimme, die mich trotz meines egoistischen Verhaltens beharrlich in die richtige Richtung geführt hat. Ob im Rausch des Drogencocktails oder beim Ausbüchsen, ob beim Anlügen meiner Eltern oder beim ständigen Rumtrampen, da war immer eine liebende Gegenwart, die nicht aufgehört hat, mich schützend und korrigierend zu begleiten.
Melanie + Monika im Gespräch
Monika:
Was würdest du den Jugendlichen raten?
Melanie:
Geht offen und ehrlich miteinander um. Erzählt, wo ihr seid und was ihr macht. Als das Vertrauensverhältnis zu meinen Eltern gestört war, habe ich irgendwann wieder angefangen, ehrlich zu sein. Ich dachte, wenn sie mir eh nicht glauben, kann ich genauso gut die Wahrheit sagen. So wurde das Vertrauen wieder hergestellt.
Monika:
Was rätst du den Eltern?
Melanie:
Klare Regeln sind unerlässlich. Lasst euch bitte nicht dazu hinreißen, irgendwann zu sagen:, Dann mach doch, was du willst!' Hört eure Kinder an, zeigt Interesse und vertraut immer und immer wieder.
Steckbrief— Was über uns zu sagen ist
Monika:
Ich bin Christian Science Pflegerin und wohne in Neu-Ulm. Meine freie Zeit verbringe ich gerne in der Natur, mit Lesen, Trommeln oder meditativem Tanzen.
Melanie:
Ich bin jetzt 25 Jahre alt, bin stellvertretende Filialleiterin und wohne in Ulm-Blaustein.
Mir hat es der orientalische Tanz mit seinen vielfältigen Formen angetan. Ich erarbeite mir gerne mit meiner Freundin eigene Stücke. Wir machen auch selber die Kostüme dazu. Ich bin einfach gerne kreativ tätig.
