Wie intensiv können wir für andere Menschen beten, wenn sie uns nicht darum gebeten haben und ohne ihre Gedanken zu beeinflussen?
Mrs. Eddy sagte Folgendes zu dieser Frage: „In der Regel hat man nicht mehr Recht, in das Gemüt eines Menschen einzudringen und ohne sein Wissen und Einvernehmen seine Gedanken aufzustören, sie zu beunruhigen und zu berichtigen, als in ein Haus einzudringen, den Schreibtisch zu öffnen, die Möbel umzustellen und das Eigentum eines anderen nach eigenem Belieben einzurichten und zu handhaben." (Vermischte Schriften 1883-1896, S. 283) Deswegen überlege ich gerne: „Wie denke ich über diese Situation?" Auf diese Weise befasse ich mich nur mit meinem Denken. So weiß ich, dass ich nicht das Denken eines anderen beeinflusse.
Und Mrs. Eddys Leben, in dem sie viele Menschen heilte, ist ein Bewies dafür, dass man tatsächlich nicht in „das Gemüt eines Menschen" eindringen muss, um ihn zu heilen. Es gab Zeiten, in denen sie nur jemanden auf der Straße sah und obwohl dieser Mensch sie nicht ausdrücklich darum gebeten hatte, zu heilen, brachte die Höhe ihrer Gedanken Heilung. Folgenden Bericht finden wir in einer ihrer Biografien: „Bei einer ihrer täglichen Ausfahrten kam Mrs. Eddy auf der Straße an einem alten Bekannten vorbei. Er konnte kaum am Stock gehen, aber ihre Vorstellung von Gott und dem vollkommenen Menschen war so klar, dass er geheilt wurde." (Yvonne Caché von Fettweis und Robert Townsend Warneck, Mary Baker Eddy, Ein Leben dem spirituellen Heilen gewidmet [Boston, The Christian Science Publishing Society, 1998] S. 323)
Manchmal erkennt der Betende einfach, dass Gott die einzige Gegenwart und Autorität ist. Das Gesetz und die Macht Gottes schließt jeden Menschen ein und wirkt auf ihn und auf alles, mit dem wir in Berührung kommen, in dem Maße, in dem unsere Gedanken die Göttlichkeit widerspiegeln. So heilte Jesus eine Vielzahl von Menschen, ohne für jeden Einzelnen davon persönlich zu beten. Es ist so, als würde man die Jalousien in einem dunklen Zimmer öffnen — ein einzelner öffnet die Jalousien, aber alle Menschen im Zimmer profitieren von dem Licht. Wir können, ja wir sollten sogar, überall wo wir sind die Allheit Gottes sehen. Die Welt verlangt danach.
Albuquerque, New Mexiko, USA
Paris, Frankreich
Wir beeinflussen nie die Gedanken eines Anderen, wenn wir die Wahrheiten über ihn schätzen. Obwohl wir unterscheiden müssen, ob wir für jemanden beten (der uns um Hilfe gebeten hat) oder über jemanden beten (der sich nicht bewusst ist, dass wir beten).
Als ich einmal Bus fuhr, stieg ein Mann ein, der sehr betrunken war. Er legte sich fast auf seinen Sitz und redete sehr laut. Anstatt sehr allgemein über die wahre Natur des Menschen zu predigen, hatte ich den Gedanken, speziell über diesen Mann zu beten — um seine Reinheit zu erkennen, seine Christlichkeit. Als ich betete, suchte ich nach augenscheinlichen Beweisen für seine göttliche Natur. Nach einiger Zeit kam mir der Gedanke, dass ich seine laute Stimme als Ausdruck der Stärke und Vitalität seines göttlichen Lebens sehen könnte, und die Tatsache, dass seine Kleider sehr sauber waren, könnte ich als Ausdruck von Seele sehen. Kurz darauf wurde er ganz still und saß aufrecht. Als er aus dem Bus ausstieg, ging er völlig normal.
Und obwohl ich speziell über diesen Mann gebetet hatte, strebte ich danach, meine eigenen Gedanken über ihn zu verändern, nicht seine Gedanken. Ich änderte meine Vorstellung über ihn. Ich betete nicht, um die Ursache seines Zustands festzustellen, auch nicht um festzustellen, was sein Bewusstsein beschäftigte. Ich versuchte auch nicht, ihm zu helfen, anders zu denken. Ich hatte einfach nur das Gefühl, ich müsse meine eigenen Gedanken über diesen Mann als Ausdruck der geistigen Schöpfung Gottes rein halten.
Nur weil Sie nicht Ihre Gebete gebeten wurden, heißt das nicht, dass sie nicht spezifisch sein können. In so einem Fall arbeiten wir daran, unser eigenes Bewusstsein zu verändern, um mehr über die wahre Natur dieses Menschen zu erkennen. Dabei müssen wir nicht den geistigen Stand dieser Person oder die mögliche Ursache des Problems in Betracht ziehen (was wir machen würden, wenn sie uns um Hilfe gebeten hätte). Trotzdem ist es ein spezifisches Gebet über diesen Menschen und es kann zu Erneuerung und Heilung führen.
Was Gebet angeht, denke ich nicht an Beten für einen Menschen, obwohl ich oft auf tröstende Weise sage, wenn jemand anruft: „Ich bete gerne für Sie." Mein Ziel ist es, im Gebet zu erkennen, wie Gott das Universum geschaffen hat. Für mich ist es sinnvoll, dass das unendliche Gemüt Ideen schafft und nicht materielle Menschen, und dass diese Ideen gut und ewig sind und in einer harmonischen Beziehung zueinander existieren.
Wenn wir erkennen, dass jemand Schwierigkeiten hat, ist es ganz natürlich, dass wir beten. Es ist für mich eine große Hilfe, Gebet als etwas zu sehen, das das Denken damit verbindet, was Gott weiß — damit, dass alles geistig und vollkommen ist. Dann vertraut man darauf, dass Wahrheit die falsche Auffassung korrigieren kann, es gäbe noch eine andere Ursache, die eine materielle Unvollkommenheit erschaffen könnte.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man die mentale Integrität eines anderen Menschen beeinflussen kann, wenn man auf diese Weise betet. Ob uns jemand um Gebet gebeten hat oder nicht, wir können uns immer von dem falschen Bild abwenden, es gäbe materielle Menschen oder Situationen, die in Ordnung gebracht werden müssen, und wir können das herrliche und vollständige Universum sehen, das Gott geschaffen hat. Ich bin der Meinung, dass dieses Gebet alle segnet und eine praktische Wirkung bei der Heilung aller möglichen Probleme hat.
Der wirkungsvollste Weg, jemandem aus seinem Leiden herauszuhelfen ist, so weit mein Verstehen reicht, zu erkennen, dass Leiden in Gottes Reich nicht der Wahrheit entspricht und es in Wirklichkeit kein anderes Reich gibt. Gebet muss nicht einen Menschen oder eine Situation verändern, sondern anerkennen, dass Gott vollkommen ist, und dass alle Identitäten diese Vollkommenheit widerspiegeln.
Dieses Gebet, das Gott in den Mittelpunkt stellt, kann nicht das Recht eines Anderen auf Selbstregierung beeinträchtigen. In einem Kirchenlied heißt es: „...Gelobe, Dich zu lieben, Gott, Ja, lieben mehr und mehr." (Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 224). Wir werden weder zögern zu beten, wenn wir empfinden, dass es liebevoll ist und Gottes Sein und Tun preist, noch zögern, alles andere nicht zu glauben. Es gibt keine Grenze für unsere unermessliche Liebe zu Gottes Schöpfung.
Greenbrae, Kalifornien, USA
In den ersten Ausgaben des Christian Science Journal, unserer englisch-sprachigen Schwester-Publikation, hat Mary Baker Eddy als damalige Chefredakteurin Fragen und Antworten veröffentlicht, die von allgemeinem Interesse waren. Dabei geht es nicht darum, wie einzelne Passagen in ihren Schriften interpretiert werden.
Der Herold wird in loser Folge Fragen und die Antworten von Lesern unserer christlich-wissenschaftlichen Zeitschriften abdrucken.
