Geht es Ihnen nicht auch manchmal so, dass Sie im Vorbeigehen Gesprächsfetzen auffangen, die Sie nachhaltig beschäftigen? Mir ging es neulich so, als ich im Fernsehen gezappt hatte und noch den Rest einer Dokumentationssendung mitbekam, in der es um die Begnadigung von Häftlingen ging. Es hieß dort, ein russisches Sprichwort zitierend, Gnade sei die Stütze der Gerechtigkeit. „Ja, was heißt denn eigentlich Gnade?“, fragte ich mich. Gnade hat für mich immer etwas mit Gott zu tun, mit Barmherzigkeit und Güte. Aber was bedeuter es konkret, ganz präzise? Aus den alltäglichen Redewendungen kennt man die Ausdrücke „Gnade schenken“, „gnädig sein“. Auch „Gnade vor Recht“ als ein hohes christlich-ethisches Prinzip ist allgemein bekannt. Es gibt einen sehr schönen alten Spruch „Die Sonne geht zu Gnaden“, was für mich heißt, dass sie sich neigt. Es besteht eine enge sprachliche Verwandtschaft mit Geneigtheit, Gewogenheit, Freundschaft, jemandem eine Wohltat erweisen. Und sich selber zu Gott neigen, setzt Demut voraus. Beim Stöbern in Wörterbüchern fand ich heraus, dass Gnade die wohlwollende ungeschuldete Zuwendung einer Autorität ist. In unserer Kultur ist zwar über Jahrhunderte hinweg auch menschliche Autorität gemeint, dem übergeordnet ist jedoch in jedem Fall immer die göttliche Autorität. Gnade kann nicht gefordert werden. Gnade wird geschenkt. Sie setzt eine milde und gerechte Autorität voraus, sie setzt vor allem eine tiefe, sehr individuelle Verbindung des Menschen mit Gott voraus, der ein höheres Recht sprechen kann als das von Menschen erdachte. Durch vorbehaltlosen Glauben kann sie erfahren werden und zeigt sich in der höchsten Gnadengabe, der Liebe Gottes zu uns Menschen. Mary Baker Eddy schreibt in Wissenschaft und Gesundheit (S. 67) „Gnade und Wahrheit sind mächtiger als alle anderen Mittel und Verfahren“. Gnade ist mächtig. Sie kann menschliche Gesetze und Regeln aus den Angeln heben, wenn sie sich in einer individuellen Situation als ungeeignet erweisen. Gnade ist immer gepaart mit Güte. In der Bibel finden wir zahlreiche Stellen, die Gnade im Zusammenhang mit Barmherzigkeit, Güte, Treue, Demut nennen. Eindrucksvoll geben das zum Beispiel die Psalmen 25 und 143 wieder. Und was heißt das nun für mich in meinem alltäglichen Leben? Ich empfinde Gnade immer dann, wenn ich Erkenntnisse über Gott und meine Beziehung zu Ihm gewinne.
Vor kurzem war ich scharfen Angriffen einer Gruppierung ausgesetzt, die auf ganz subtile Art versuchte, Zugriff auf meine Kinder zu bekommen. Als die Anhänger dieser Gruppierung merkten, dass ich nicht zustimmte und mich ganz konkret abwandte, hagelte es massive Angriffe auf meine intimste Privatsphäre. Ich wusste erst nicht, wie ich weiter vorgehen sollte, denn eine dieser Personen war ursprünglich meine alte Sandkastenfreundin, also eine mir über lange Jahre vertraute Person. Ich habe gebetet, zu erkennen, welchen Weg ich gehen soll. Die rein menschlichen Möglichkeiten wie Strafanzeige wegen Verleumdung, Beleidigung, Verstoß gegen Datenschutz etc. schienen mir nicht sinnvoll und auch nicht wirksam. Ich habe mich immer wieder für Gott als Prinzip, als Ausdruck von Wahrheit und Gesetz entschieden und ganz strikt um Erkenntnis gebeten. Es erforderte gedankliche Disziplin und moralischen Mut. Über einige Zeit habe ich mich in „mein stilles Kämmerlein“ zurückgezogen, um intensiv lauschen zu können. Mir wurden die richtigen Schritte gezeigt und diese Gruppierung hat von einem sehr weisen Richter sehr deutlich zu hören bekommen, wie sie sich zu verhalten habe. Nach einem entscheidenden Prozess erfuhr ich, dass es das erste Mal seit vielen Jahren war, dass diese Gruppierung einen Prozess verlor und eine Klage zurücknehmen musste. Meine Familie blieb weiterhin unangetastet. Ich empfinde es immer wieder als Gnade, erkennen zu können, welches der richtige Weg ist. Und es ist immer dann leicht, wenn ich mich ganz klar auf die Zehn Gebote und die Bergpredigt stütze und versuche, sie noch besser zu verstehen. Gnade hängt für mich auch immer unmittelbar mit Gesetzestreue zusammen. Und was hat das nun mit den zu begnadigenden Häftlingen zu tun? Gnade auf dieser Ebene drückt immer wieder die individuelle Entscheidung der zuständigen Personen aus, die die Treue eines jeden einzelnen Verurteilten gegenüber moralischen, ethischen, christlichen Gesetzen sorgsam prüfen müssen. Sie müssen in der Lage sein, den „Übeltäter“ in seiner eigentlichen Beziehung zu Gott zu sehen und die Vergehen zu vergeben. Erst dann ist eine Begnadigung möglich. Gnade ist also auch ein absolut kostbares kulturelles Gut unserer Gesellschaft, das zu unserem demokratischen Verständnis von Freiheit gehört.
Gnade kann nicht gefordert werden. Gnade wird geschenkt. Sie setzt eine milde und gerechte Autorität voraus, sie setzt vor allem eine tiefe, sehr individuelle Verbindung des Menschen mit Gott voraus.
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