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Zeit - Lupe

Vorstellungen

Aus der Juli 2010-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


„Das sterbliche Gemüt sieht ebenso gewiss, was es glaubt, wie es glaubt, was es sieht. Es fühlt, hört und sieht seine eigenen Gedanken. Bilder werden mental geformt, bevor der Künstler sie auf die Leinwand übertragen kann. So ist es mit allen materiellen Vorstellungen." (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 86/87)

Haben Sie eine ganz bestimmte Vorstellung von sich selbst? Oder von lhren Mitmenschen? Mir gefällt das Wort Vor-Stellung so gut, weil es sich selbst entlarvt. Es wird etwas davor gestellt, z. B. vor den wahren Menschen. Ich denke mir diese Vorstellung immer als einen Paravent, auf den das falsche Bild eines Menschen (die Lüge über ihn) aufgemalt ist. Man muss dieses Bild nur zur Seite schieben und der wahre Mensch wird sichtbar! Aber solange diese Vorstellung vor dem Menschen steht, kann man eben nicht sehen, was wirklich dahinter ist, und unglücklicherweise kann es sogar geschehen, dass man diese Vorstellung für den echten Menschen hält.

Deshalb empfiehlt es sich, von Zeit zu Zeit das eigene Denken dahingehend zu überprüfen, ob man selbst falsche Vorstellungen von anderen Menschen hegt — um sie gegebenenfalls zu berichtigen. Gerade wenn ich an Menschen denke, die in der Vergangenheit in meinem Leben eine Rolle gespielt haben und die heute meinem Blickfeld entzogen sind, weil sie vor vielen Jahren weitergegangen sind, dann erkenne ich manchmal, dass ich heute noch die Vorstellung mit mir herumschleppe, die ich damals von ihnen hatte. Eine Vorstellung, die weder meinem heutigen Bewusstseins entspricht, noch dem betreffenden Menschen gerecht wird. Wenn ich so etwas bemerke, dann bin ich immer dankbar, dass ich diese falsche Vorstellung nun zur Seite stellen, quasi aus dem Weg räumen, und dadurch das richtige Bild von diesen Menschen sehen kann.

Von meinem Vater, zum Beispiel, hatte ich immer die Vorstellung, dass er mich als Kind nicht mochte, weil ich „nur" ein Mädchen war. Als Kind hatte ich sehr darunter gelitten, dass er meinen Bruder ganz offensichtlich bevorzugte. Später konnte ich, aufgrund meiner reiferen Betrachtungsweise, dieses falsche Bild berichtigen. Ich lernte, auch meinen Vater als Gottes Kind und somit als den vollkommenen Menschen zu sehen, und das veränderte rückwirkend das gesamte Geschehen. Ich sah ihn und mich nebeneinander vor Gott stehen, beide Seine geliebten Kinder. Heute kann ich ganz liebevoll an meinen Vater und damit auch an meine eigene Kindheit zurückdenken. Durch diese Art der Gedankenarbeit ist so manche Erinnerung in ein sehr viel liebevolleres und damit auch korrekteres Licht gerückt worden.

Wenn wir also wachsam sind und die inszenierten Darstellungen durch-schauen, dann können uns falsche Vorstellungen nicht täuschen. Dann sehen wir uns und unseren Nächsten als das, was wir wirklich sind: das unverfälschte und vollkommene Bild und Gleichnis Gottes.

Sehr viel häufiger begegnet uns die falsche Vorstellung allerdings in der Gegenwart. Meistens stellen wir sie selbst auf. Hand aufs Herz: Wenn lhnen ein Mensch entgegenkommt, der über und über tätowiert ist, eine lrokesenfrisur hat und das Ohr voller Ringe trägt, erwarten Sie von „so einem", dass der lhnen freundlich die Tür aufhält — oder eine ähnliche, nette Geste? Mir ist genau das einmal passiert und ich fühlte mich sehr beschämt, als mir ein junger Mann, auf den diese Beschreibung zutraf, tatsächlich die Tür zum Kaufhaus aufhielt und mir mit einem höflichen „Bitteschön" den Vortritt ließ! Alles hätte ich erwartet, nur das nicht!

Inzwischen bin ich sehr „hellhörig" geworden, wenn ich feststelle, dass ich mich „wappne", weil ich von einem Menschen eine ganz bestimmte (meistens negative!) Verhaltensweise erwarte. Stattdessen bemühe ich mich zunehmend um Unvoreingenommenheit. d. h. ich versuche, mir keine Vorstellung zu machen. Tatsächlich erlebe ich meine Mitmenschen dadurch als viel freundlicher, friedlicher, einfach angenehmer. (Und sie mich möglicherweise auch.)

Die falsche Vorstellung kann sehr verschiedene Formen annehmen: Wir können falsche Vorstellungen von einem anderen Menschen haben und die könnten sich folgendermaßen entlarven: „Der ist aber alt geworden." Oder: „Die reagiert immer so gereizt." Oder: „Der hat Krebs." Oder: „Die ist vergesslich." Diese Reihe lässt sich beliebig fortsetzen.

Eine ganz andere Assoziation zum Begriff Vorstellung ist die Theateraufführung. Auf der Bühne wird eine Illusion dargestellt. Wenn wir im Theater eine Vorstellung sehen, ist uns das klar, selbst wenn wir für die Zeit der Aufführung so in das Geschehen auf der Bühne eintauchen sollten, dass wir es vorübergehend vergessen. Wenn uns in unserem Leben eine (falsche) Vorstellung geboten wird, ist uns das leider nicht immer genauso automatisch klar. Aber in der Tat können auch unsere lieben Mitmenschen eine falsche Vorstellung von sich geben. Das geschieht, wenn sie uns (und manchmal sogar sich selbst) etwas „vor-machen." Ein Beispieldafür (allerdings nicht aus der Abteilung Komödie) habe ich vor einiger Zeit erlebt:

In einer größeren Runde benahm sich ein Mann mir gegenüber derart ungehörig und ungebührlich, dass ich sofort empört reagieren wollte, gleichzeitig kamen Gefühle wie Ablehnung und Verachtung auf. Doch ich ließ nichts davon in mein Denken ein, sondern bemühte mich stattdessen um innere Ruhe. Ich versuchte, das Schauspiel zu durchschauen. Der erste Schritt bestand darin, mich persönlich nicht beleidigt zu fühlen (sondern mich als Zuschauer anzusehen). Der zweite Schritt war, diese falsche „Vorstellung“, die ich da erlebt hatte, von dem Menschen zu trennen. So wie ich ja auch einen Schauspieler nicht persönlich für das verantwortlich machen würde, was er gerade in einer bestimmten Rolle sagt.

Übrigens, das vorweg: Nur der erste Schritt war schwer. Alles andere ging ganz leicht und machte mir insgeheim sogar zunehmend Vergnügen! Meine distanzierte Haltung ermöglichte es mir, diesen Menschen nicht zu verurteilen. Allerdings verurteilte ich in meinem Denken sehr wohl diese hässliche Verhaltensweise, diese falsche Vorstellung, diesen lrrtum – wie immer man einen solchen Vorgang auch nennen mag. Ich sagte kein Wort, aber interessanterweise entspannte sich die Situation sofort merklich. Alle Anwesenden übergingen den Vorfall kommentarlos und bemühten sich sichtlich um den Fortgang der gemeinsamen Arbeit. Später bedankte sich einer der Beteiligten bei mir und meinte, dass meine überraschende Ruhe dazu beigetragen habe, die gesamte Situation zu bereinigen.

Aber nicht nur unserer Umgebung tut es gut, wenn wir falsche Vorstellungen durchschauen. Es ist auch für uns selbst sehr angenehm. Denn, wie Mary Baker Eddy schrieb: „Der Bildhauer wendet sich vom Marmor seinem Modell zu, um seine Vorstellung zu vervollkommnen. Wir alle sind Bildhauer, die an den unterschiedlichen Formen arbeiten, den Gedanken gestalten und meißeln.“ (WuG, S. 248) Das heißt, wir alle gestalten unsere eigene mentale Umgebung selbst und erleben sie entsprechend. Ich muss inzwischen manchmal das Lachen unterdrücken, wenn ein Mensch sich vor mir aufbläst und sich, wie mir scheint, richtig anstrengt, um unangenehm oder böse zu werden oder wenn jemand einfach nur unangemessen laut wird. Ich muss mich dann zuweilen anstrengen, dass ich mich nicht zur Seite beuge, um hinter diese falsche Vorstellung zu schauen. Das könnte ja, gerade in einer solchen Situation, einen sehr unerwünschten Effekt haben.

Noch einen letzten Aspekt falscher Vorstellungen möchte ich ansprechen. Mir ist wiederholt aufgefallen, dass sich andere Menschen ganz offensichtlich von mir eine Vor-Stellung gemacht haben. Ich bemerke das daran, dass ein ganz bestimmtes Verhalten von mir erwartet wird, das ich im Moment gar nicht an den Tag legen will. Auch hier hilft es mir immer, gedanklich zur Seite zu treten und zu prüfen, was jetzt gerade richtig ist. Manchmal sehe ich dann, dass die anderen sich an einer Vorstellung „abarbeiten”, hinter der ich gar nicht (mehr) stehe. Leider ist auch in diesen Fällen das Lachen meistens nicht angebracht – schade. Aber, Spaß beiseite, dieses wachsame Auge hat mir schon oft dazu verholfen, dass ich auf meinem eigenen Weg geblieben bin und mich nicht durch die Erwartung anderer davon habe abbringen lassen.

Wenn wir also wachsam sind und die inszenierten Darstellungen „durch-schauen“, dann können uns falsche Vorstellungen nicht täuschen. Dann sehen wir uns und unseren Nächsten als das, was wir wirklich sind: das unverfälschte und vollkommene Bild und Gleichnis Gottes.

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