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Das Vergnügen, in Berlin U-Bahn zu fahren

Aus der Juni 2012-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Längere Zeit war es für mich überhaupt kein Vergnügen, in Berlin mit der U-Bahn zu fahren. Es gab so viele traurige, müde und unzufriedene Gesichter auf den Bahnsteigen und in der Bahn. Hinzu kamen die vielen verwahrlosten, armselig gekleideten Gestalten, die versuchten, über den Verkauf einer Obdachlosenzeitung oder durch das Spielen von Musik den anderen Fahrgästen eine Spende zu entlocken. Aber es gab auch andere, die durch ihren schlechten Geruch auf sich aufmerksam machten.

Ich habe dann versucht, mich durch Lesen in der Bahn von diesem Bild abzulenken.

Doch nachdem ich einen Artikel im Herold zum Thema Dankbarkeit gelesen hatte, in dem die Autorin Margot Ruck herausstellte, dass das Gute nicht selbstverständlich, sondern der Ausdruck Gottes sei, dachte ich über mein Denken und Verhalten in der U-Bahn neu nach. Mary Baker Eddy stellt auf Seite 3 des Lehrbuchs die Frage: „Sind wir wirklich dankbar für das schon empfangene Gute?“ Und ich fragte mich weiter: ‚Oder nehmen wir das viele Gute um uns herum als Selbstverständlichkeit hin und stören uns nur an dem Schlechten? In meinem Fall führten diese Gedanken dazu, dass ich mir bewusst wurde, was für eine bequeme Einrichtung diese U-Bahn doch ist. In Berlin fährt sie zu bestimmten Tageszeiten im 3-Minuten-Takt, was bedeutet, dass man nie lange warten muss. Die Fahrer sind immer sehr diszipliniert im Umgang mit der Zeit. Sie weisen die Passagiere immer wieder deutlich darauf hin, dass es schnell weitergehen soll und sie somit die Türen frei machen sollen. Nie habe ich es erlebt, dass sie sich in private Gespräche verlieren und sich somit die Weiterfahrt unnötig verzögert hätte (wie in manchen anderen Ländern). Bis auf wenige Ausnahmen sind die Bahnen auch immer fahrbereit und funktionsfähig. Kommt es mal zu Bauarbeiten auf der Strecke, werden zuverlässige Schienenersatzfahrzeuge eingesetzt. Ist es nicht fantastisch, dass es den lngenieuren gelungen ist, die Schienen unterirdisch zu verlegen, dass die Bahn nicht mit dem oberirdischen Verkehr ins Gehege kommt und es zu Wartezeiten im Stau kommen kann? Ich merkte, wie eine immer größere Dankbarkeit den Raum in mir ausfüllte und sich dieses Bewusstsein sehr gut anfühlte. Und so hörte ich nicht auf mit meinen Beobachtungen. Egal, wie unfreundlich die Menschen, die ein- und ausstiegen, auch dreinguckten, mit dem Platz-Machen klappte es immer, egal wie voll der Bahnsteig oder die Bahn auch war. Vielleicht waren die Menschen doch nicht so schlecht, wie sie auf den ersten Blick aussahen? Ich begann sie mir — unaufdringlich — näher anzusehen. Dabei erinnerte ich mich an eine eigene Aussage aus früherer Zeit, als ich behauptet hatte, dass wir Menschen alle miteinander verbunden sind und als eine große Familie Ausdruck von Gott sind.

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