Eine Olympiamedaille gewinnen, zum Mond fahren oder in einem anderen menschlichen Unterfangen über den normalen Standard hinausgehen. Sind solche Errungenschaften für die meisten von uns unerreichbar? Nicht, wenn man sie von dem Standpunkt betrachtet, unser Potenzial zu realisieren.
Diesen Ausdruck kann man auf zweierlei Weise verstehen. Einerseits bedeutet er, die Möglichkeiten zu erkennen oder sich bewusst zu werden, dass mehr erreichbar ist. Andererseits geht es darum, diese Möglichkeiten umzusetzen und das, was man zunächst als Möglichkeit erkannt hat, auch tatsächlich wirklich zu machen.
Fangen wir mit der ersten Auslegung an und nehmen wir die Leichtathletik als Beispiel. Wo liegt das größte Potenzial? In einem materiellen Körper oder im göttlichen Gemüt, Gott? Das eine ist begrenzt, das andere nicht. Wenn wir nicht weiter denken, als nur die Endlichkeit zu strecken, versuchen wir, mit wenig eine Menge zu schaffen, und das führt zu Mühen und Unsicherheit. Begreifen wir stattdessen, dass wir aus der Unendlichkeit schöpfen, stellen wir fest, dass wir mit der Endlosigkeit in Wirklichkeit sehr wenig tun. Dadurch ist das Ergebnis Mühelosigkeit und Freude. Es deutet auf eine immer größer werdende Erfahrung hin.
Potenzial zeigt zudem Macht an. Dazu lesen wir in der Bibel: „Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden“ (Jesaja 40:29). Daraus erkennen wir völlige Unabhängigkeit von materiellen Limitationen. Gottes Hilfe ist den Mittellosen genauso verfügbar wie denjenigen, die aus gewissen eigenen Mitteln schöpfen können. Der Unendliche versorgt alle gleichermaßen.
Doch wie machen wir uns diese göttliche Macht zunutze? Ist nicht ein sehr tiefes und vollständiges Verständnis der Christlichen Wissenschaft vonnöten, bevor wir solche Dinge selbst erleben können? Ganz und gar nicht. Wenn wir von unserem eigenen menschlichen Verständnis ausgingen, würden wir nur wieder versuchen, die Endlichkeit auszudehnen. Wir würden unser Potenzial begrenzen. Doch unendliches Gemüt ist uns so nah wie unser Denken und versorgt uns gleichermaßen mit göttlicher Weisheit und geistiger Kraft. Und wenn wir menschliche Gedanken, wie begrenzt sie auch sein mögen, fest auf diese unendliche Quelle richten, wird sich unsere Erfahrung entsprechend verbessern.
1961 nahm ich an einem Leichtathletik-Einladungswettbewerb zur Eröffnung einer neuen Sportanlage in Norbiton in der englischen Grafschaft Surrey teil. Zuvor hatte ich Großbritannien in den Weltsportspielen der Studenten 1957, in den Commonwealth Games von 1958 und in den Europaspielen desselben Jahres vertreten, wo ich meine Bestleistung im Weitsprung von 5,84 m erreicht hatte.
Als ich mich für das Ereignis aufwärmte, merkte ich, dass ich Schmerzen im Fuß meines Sprungbeins hatte. Der Fuß schien sehr instabil zu sein und jederzeit abknicken zu können. Es sah nicht so aus, als könnte er die enorme Kraft aushalten, die beim Absprung auf den Fuß übertragen wird, wenn die Vorwärtsbewegung in eine Aufwärtsbewegung verwandelt wird.
Da dachte ich: „Ich weiß nicht, wie dieses Problem verschwinden kann oder was genau die Antwort darauf ist, aber ich weiß, dass es in der Christlichen Wissenschaft eine Möglichkeit gibt, wie es völlig überwunden werden kann.“ Das war nun wirklich keine vollständige Aussage der Christlichen Wissenschaft. Doch sie war wichtig, denn sie erkannte das vorhandene Potenzial an. Es war ein erster Schritt. Ich wusste, dass geistige Macht nicht von den offenkundigen materiellen Beschränkungen abhängig ist. Und so gewann ich den Wettbewerb mit einem Sprung von 5,95 m.
Man hätte meinen sollen, dass das die am wenigsten wahrscheinliche Situation sein würde, in der ich meine Leistungen verbessern könnte. Doch wenn wir am klarsten verstehen, dass die Quelle der Kraft mental ist und nicht materiell, dann ist der Weg frei für die besten Ergebnisse.
Und natürlich ist ein besseres Verständnis hilfreich. Wenn wir daran arbeiten, unser geistiges Verständnis zu erhöhen, unternehmen wir die nötigen menschlichen Schritte, um unser Potenzial auf die zweite Weise zu realisieren, nämlich aus den Möglichkeiten Wirklichkeit zu machen.
Vor den Britischen Meisterschaften 1964 hatte es den Anschein, als sei ich nicht in guter Form. Ich kam kaum über 5,20 m hinaus, und meine Bestleistung der Saison war 5,56 m. Es schien wenig Hoffnung zu bestehen, dass ich die kurz zuvor erhöhte Qualifikationsleistung von 5,64 m überhaupt erreichen würde, um in die Endrunde zu kommen.
Folgende Stelle aus dem Lehrbuch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy half mir sehr: „Gott bringt im Menschen die unendliche Idee zum Ausdruck, die sich unaufhörlich entwickelt, sich erweitert und von einer grenzenlosen Basis aus höher und höher steigt“ (S. 258).
„Sich erweitert“! Das befreite mich von der falschen Verantwortung und dem Gefühl, dass mein persönlicher Einsatz gefordert sei, und gab mir Zuversicht. Ich erkannte, dass meine Sprünge Gottes Eigenschaften zum Ausdruck bringen mussten: die unablässige Aktivität von Leben, die Fehlerlosigkeit der Wahrheit, die perfekte Beurteilung von Gemüt, die harmonische Kontrolle von Prinzip, die fröhliche Freiheit der Seele, die endlose Vielfalt von Geist. Und aus diesem Grund muss meine Aktivität unter der schützenden Fürsorge der Liebe stehen. Kurzum, sie muss die ewige Christus-Macht demonstrieren, die weder versagen noch nachlassen kann.
Mit meinem ersten Sprung der Meisterschaft qualifizierte ich mich für die Endrunde, und mein letzter Sprung erreichte wieder eine Länge von mehr als 5,80 m.
Ich lernte in gewissem Maße, dass der geistige Mensch das Bild und Gleichnis Gottes ist, wie die Bibel ihn beschreibt. Er ist kein beschränktes materielles Wesen, das versucht, ein wenig mehr aus der Materie herauszuquetschen.
Der menschliche Zustand ist hingegen eine relative Situation, in der die Bemühung, ein besseres Verständnis wahrer, absoluter Vollkommenheit zu erlangen, dazu führt, dass wir mehr geistiges Gutes ausdrücken und weniger materielle Beschränkungen erleben. Der Anschein ist Fortschritt, und es ist unser völliges Recht, Fortschritt zu erwarten. Mrs. Eddy schreibt: „... Fortschritt ist das Gesetz Gottes, dessen Gesetz nur das von uns fordert, was wir auch erfüllen können“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 233).
Wir erwarten daher nicht, dass wir gute Ergebnisse bringen, ohne dafür zu trainieren. Doch unser Einsatz verfolgt keine körperlichen Zwecke, sondern ist ein Ausdruck geistiger Eigenschaften wie Beständigkeit und Durchhaltevermögen, der wachsenden Demonstration der Herrschaft über die Materie und des Selbstvertrauens, das damit einhergeht. Dieser Einsatz lohnt sich immer. Wir können einiges von dem Versprechen lernen, das Boas Rut in der Bibel macht: „Der Herr vergelte dir deine Tat, und dein Lohn möge vollkommen sein bei dem Herrn, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um unter seinen Flügeln Zuflucht zu suchen“ (Rut 2:12).
Wie könnte unser Potenzial begrenzt sein? Nur wenn wir die Vorstellung akzeptieren, dass es aus einer materiellen Quelle genährt wird. Diese Vorstellung nimmt viele verschiedene Formen an. Es ist nützlich, sich klar zu machen, dass das unendliche Gemüt und damit der geistige Mensch durch Zufälle, mangelnde Fitness, Wetterbedingungen, Zeitlimits, Gegner, Mannschaftskollegen oder sonstige augenscheinliche Faktoren einer physischen Vererbung oder Umgebung nicht beschränkt werden kann.
Nehmen wir Wetterbedingungen als Beispiel. Am Tag des Wettbewerbs war es windig. Wir hatten Gegenwind, wodurch unsere Laufgeschwindigkeit und die Schrittlänge verringert wurden. Unter diesen Umständen ist es sehr schwierig, weit zu springen oder den Absprungbalken vorschriftsmäßig zu treffen. Es schien vom Zufall abzuhängen, ob man einen guten Sprung schaffte. Die Umstände waren unfair, daher wandte ich meine Gedanken von der menschlichen Situation ab, um die geistige Lösung zu finden.
Mir wurden drei Tatsachen bewusst, die die geistige Wahrheit bestätigten und den materiellen Anschein abstritten: Gott ist die einzige Macht; Seine Macht ist unbeschränkt; nichts konnte sich dieser Macht in den Weg stellen. Ich war mir implizit auch bewusst, dass alle Wettbewerbsteilnehmer nur Gottes Macht zum Ausdruck bringen konnten.
Dann war ich an der Reihe, und hinterher merkte ich, dass der Wind aufgehört hatte. Ich sprang 20 cm weiter, und auch die anderen konnten ihre Entfernung verbessern. Geistige Harmonie ist universal. Und da ich dieses Verständnis erlangt hatte, konnte ich es dann in der folgenden Woche wieder anwenden, als ich nach einem Gewitter auf einer weichen, feuchten Bahn antreten musste. Die ersten Sprünge waren so schlecht, dass es sinnlos schien, überhaupt einen Versuch zu unternehmen. Dann fiel mir ein, dass die Quelle der Macht sich seit der Woche davor nicht verändert hatte, und daher brauchte ich die Limitationen nicht zu akzeptieren. Danach sprang ich ca. 43 cm weiter als vorher.
Mrs. Eddy gibt die Antworten auf alle scheinbaren materiellen Limitationen, wenn sie schreibt: „Gänzlich getrennt von diesem sterblichen Traum, dieser Täuschung und Verblendung des Sinnes, kommt die Christliche Wissenschaft, um den Menschen als Gottes Ebenbild zu offenbaren, als Seine Idee, mit Ihm zugleich bestehend – Gott, der alles gibt, und der Mensch, der alles hat, was Gott gibt“ (Die Erste Kirche Christi, Wissenschaftler, und Verschiedenes, S. 5).
