Im Handbuch der Mutterkirche empfiehlt Mary Baker Eddy, „... dass jedes Mitglied dieser Kirche danach strebt, durch seine oder ihre Praxis zu demonstrieren, dass die Christliche Wissenschaft die Kranken schnell und vollständig heilt, und so beweist, dass diese Wissenschaft alles das ist, was wir für sie in Anspruch nehmen“ (S. 92).
Das regt zum Nachdenken an. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur an Mitglieder, die hauptberuflich in der öffentlichen Praxis tätig sind, sondern an „jedes Mitglied“ – also auch alle, deren sonstiger Alltag Heilung umfasst. Alle sollen schnell und vollständig heilen, um die Wissenschaft zu beweisen.
Die „hauptberufliche“ Praxis der Christlichen Wissenschaft ist jedoch eine geweihte und heilige Berufung. Sie macht Freude und lohnt sich. Und sie erfordert Mut, Demut, Disziplin, sorgfältige Selbstprüfung – und jede Menge geistige Liebe. Sie ist eine ganz besondere Berufung. Welchen Wert maß Mrs. Eddy ihr bei? Sie sagte: „Die Ausbildung eines metaphysischen [Praktikers] ist die schwierigste Aufgabe, der ich mich je unterzogen habe“ (Christliches Heilen, S. 14). Das sollte uns nicht abschrecken, aber es erregt auf jeden Fall unsere Aufmerksamkeit!
Und was ist diese „öffentliche“ Praxis?
Es ist einerseits wahr, dass jeder ein Heiler sein kann – selbst ein kleines Kind zum Beispiel. Doch sich der Welt als hauptberuflicher christlicher Heiler zu präsentieren und bereit zu sein, auf die Bedürfnisse der Menschheit einzugehen, ist etwas ganz anderes. Gleichbleibendes, verlässliches Heilen ist mehr als die einmalige Wirkung der unschuldigen Liebe eines Kindes. Und es ist auch nicht die Wirkung eines menschlichen Wunsches zu helfen, so tief empfunden dieser Wunsch auch sein mag. Vielmehr ist es das natürliche Ergebnis von geistigem Verständnis – von einem immer tiefergehenden Verständnis von Gott, von Seinem Christus (der geistigen Idee der Sohnschaft) und vom Heiligen Geist (der göttlichen Wissenschaft, dem Gesetz Gottes, des Guten). Dieses Gesetz Gottes, dieser Auftrag des göttlichen Prinzips, ist die dynamische Manifestation von Leben, Wahrheit und Liebe; es arbeitet beständig, um die Harmonie des Menschen und des Universums aufrechtzuerhalten. Diese Wissenschaft erklärt dem Menschen, der ein wahrer christlicher Heiler sein möchte, Jesu Worte und Werke.
Mrs. Eddy fasst die Praxis in einer bekannten Aussage kurz zusammen: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Erlöser Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken“ (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 476–477).
Das praktische Ergebnis des Gebets, das wir als Heilung bezeichnen, ist somit erlangt, wenn wir das sehen, was Jesus sah – nämlich „Gottes eigenes Gleichnis“, Seinen reinen Selbstausdruck –, wenn wir die Einheit, die Geschlossenheit von Gott und Mensch, Gemüt und Idee, Prinzip und seiner Manifestation, sehen. Mit anderen Worten, es bedeutet, so gesinnt zu sein – das Gemüt zu haben –, wie Christus Jesus (siehe Philipper 2:5). Doch was bedeutet das? Was ist dieses Gemüt?
Hiob betrachtete Gott als Gemüt, als er schrieb: „Er ist der Eine; wer will ihm wehren?“ (Hiob 23:13). Jesus wusste, dass Gott, das göttliche Gemüt, seine Quelle, sein Schöpfer, sein Vater und Ego, die Ursache jedes Gedankens und jeder Tat war. Er sagte: „Ich [tue] nichts von mir selber ..., sondern, wie mich mein Vater gelehrt hat, so rede ich“ (Johannes 8:28). Jesus wandte sich beständig an das eine Gemüt um Unterweisung und Weisheit. Er setzte die Reinheit dieses Gemüts unermüdlich um.
Da Gott, das göttliche Gemüt, Alles ist, gibt es nichts als Seine Allheit. Es gibt weder Verwirrung noch Missverständnisse in diesem Gemüt oder in Jesus, der sich seiner Einheit mit Gemüt – mit Gott – absolut bewusst war. Wenn wir so gesinnt sind, wie Christus Jesus auch war, sehen wir, dass Gott Seine eigene Schöpfung zärtlich versorgt, Seine geliebten Söhne und Töchter hier und jetzt – „auf Erden wie im Himmel“ – segnet und beschützt (Matthäus 6:10). Und diese klare Sicht, die durch die göttliche Wissenschaft, das Gesetz Gottes, ans Licht gebracht wird, führt unweigerlich zu Heilung.
Es erfordert eine Menge Demut und Mut, den reinigenden Prozess zu durchlaufen, der erforderlich ist, um das Gemüt Christi zu haben – die Selbstverleugnung und ehrliche Selbstprüfung der geistigen Wiedergeburt. Man könnte dieses anhaltende Projekt die „Entselbstung des Selbst“ nennen.
Im Lukasevangelium (siehe 7:36–50) gibt es einen bemerkenswerten Bericht von einem solchen Vorgang oder besser gesagt davon, wie man sein wahres Selbst durch Selbstaufopferung findet. Eine bekannte Sünderin ging zu Jesus, als er bei Simon dem Pharisäer zu Gast war. Es ist eindeutig, dass sie Jesu Reinheit und ihren eigenen Bedarf an Erneuerung spürte. Sie wusch Jesus mit ihren Tränen die Füße, und diese Handlung symbolisierte vielleicht ihre Offenheit für die göttliche Macht, die ihre Gedanken reinwusch. Jesus spürte ihre wiedererstehende Reinheit. Ihre Liebe war ehrlich und tiefempfunden. Sie war kein kurzes Aufflackern von Emotionen. Er sagte ihr, sie solle in Frieden hingehen, denn ihr Glaube – ihre Liebe und ihr Verständnis – habe sie gerettet. Wir könnten sogar sagen: ihr Glaube hatte sie heilig gemacht.
Die heilende Praxis ermutigt uns, jeden Tag aufs Neue wie diese Frau erneuert und wiedergeboren zu werden. Für die Frau bedeutete diese Wiedergeburt, ihre angeborene Reinheit, ihre Einheit mit dem göttlichen Geist, der ewigen Liebe, zu finden. Sie legte eine Sache ab und zog eine andere an, wie Paulus dies im Epheserbrief beschreibt (4:22–24). Das bedeutet, dass sie ein falsches Selbstverständnis ablegte und ein besseres Verständnis von ihrem wahren, reinen und vollkommenen Selbst anzog. Es ist das Erleben der dynamischen Handlung des vorerwähnten Heiligen Geistes, das die Schlacke verbrennt, damit das reine Gold geistigen Denkens und Lebens durchscheinen kann. Durch diesen Reinigungsprozess kommen wir dem „Gemüt Christi“ näher. Dieser reinigende Prozess versetzt den Praktiker in die Lage, das zu sehen, was Jesus sah, und den Kranken und den Unrechttäter zu heilen.
Wer ist also unser erster und täglicher Patient – ob wir erst in die Praxis eintreten oder bereits seit Jahren als Praktiker im Herold inserieren? Wir!
Was stellt sich der Praxis in den Weg?
Es gibt viele praktische Gesichtspunkte bei dem Weg in die öffentliche Praxis, aber keiner ist so wichtig wie zu lernen, wie man sich und seine Praxis täglich verteidigt.
Die Allheit der Liebe zu erkennen, erweitert die Grenzen meines Denkens. Diese Erkenntnis zerstört das Konzept einer böswilligen Macht. Sie wandelt die Art und Weise, wie der sterbliche Glaube das Leben gemodelt hat, von Grund auf um.
Gott ist gut und Gott ist Alles. In Wahrheit kann sich nichts der göttlichen Liebe und ihrer Allgegenwart und überragenden Macht in den Weg stellen. Doch der angebliche hypnotische Glaube an ein Leben und Gemüt in der Materie, an eine von Gott, Geist, getrennte Macht, muss gehandhabt werden. Mrs. Eddy nennt diesen angeblichen Glauben eine „aggressive mentale Suggestion“. Sie ist aggressiv, denn sie ist störend, bedrängt, manipuliert und dominiert. Sie ist mental, denn wir erfahren sie im Denken. Doch sie ist nur eine Suggestion, denn sie entsteht nicht in unserem Denken, sondern gibt sich als solches aus, zum Beispiel so: „Ich habe Angst. Ich bin der Praxis nicht gewachsen. Ich weiß nicht, wie man betet, ich habe keine Zeit zu beten, und außerdem will ich nicht beten.“
Wo kommen diese Suggestionen her? Hier ein paar mögliche Beispiele: die individuelle und kollektive Fixierung auf die Materie als Wirklichkeit; das, was als die erdrückende Dunkelheit des Bösen erscheint, das das Licht der Wahrheit hasst; die Unwissenheit und Selbstzufriedenheit der körperlichen Sinne; eigensinniger Widerstand gegen die Christliche Wissenschaft und Mary Baker Eddy. Doch wenn wir Mrs. Eddys Auflage gehorsam sind, uns täglich gegen aggressive mentale Suggestion zu verteidigen (siehe Kirchenhandbuch, S. 42), können diese falschen, lügnerischen Suggestionen uns nie einreden, dass wir von Gott, dem göttlichen Gemüt, getrennt oder weniger als Sein vollkommener Selbstausdruck seien.
Als Teil meines eigenen täglichen Gebets kann ich mich eines zunehmend besseren Verständnisses von Gott als unendliche Liebe erfreuen, die allen Raum erfüllt. Für mich ist das der Ort, an dem ich beginne, die Nichtsheit des Bösen zu erkennen und das Böse entsprechend als falsche Behauptung zu handhaben. Die Allheit der Liebe zu erkennen, erweitert die Grenzen meines Denkens. Diese Erkenntnis zerstört das Konzept einer böswilligen Macht. Sie wandelt die Art und Weise, wie der sterbliche Glaube das Leben gemodelt hat, von Grund auf um.
Ich strebe danach, ein besseres Verständnis von der göttlichen Liebe als Synonym für Gott zu erlangen, eins, das weit darüber hinausgeht, Ihn nur als liebevoll, freundlich, gnädig, sanft und gütig zu beschreiben, obwohl Er das natürlich alles ist. Doch Gott ist sehr viel mehr! Gott ist Liebe – die Liebe selbst, das göttliche Prinzip. Gott ist das absolute Gute, das erhabene Gute, das alleinige und einzige Gute, das keinen Platz für sonst etwas anderes zulässt. Wenn ich ein besseres, klareres Verständnis davon erlange, kann ich sehen, dass die Liebe von nichts Bösem weiß. Die Liebe könnte nicht das geringste Element des Bösen erschaffen oder auch nur erdenken. Die Liebe ist ihr eigenes selbstbewusstes Sein. Gott, Liebe, kennt sich selbst. Und in diesem Wissen kann es nur Vollkommenheit geben.
Ich habe festgestellt, dass aggressive mentale Suggestion versucht, uns durch menschlichen Willen, Sinnlichkeit, Bosheit und all die Grundelemente bzw. Charakteristika des sterblichen Gemüts zu beeinflussen oder durch sie zu agieren. Sie nutzt das aus bzw. belästigt uns mit dem, was man „unbewachte“ Kanäle nennen könnte, genau wie Wasser durch unabgedichtete Ritzen in einer Mauer dringt. Mit anderen Worten: wir sind dem tierischen Magnetismus eher ausgesetzt, wenn wir es versäumen, uns gegen falsche Eigenschaften wie Wut, Ungeduld, Neid, Egoismus, Apathie, Unehrlichkeit oder Stolz „abzudichten“. Doch auch hier stelle ich fest, dass Liebe, Gott, das Gegenmittel gegen diese niedere, animalische Natur ist, und zwar, weil Liebe, die Alles ist, ihre eigene Allheit kennt und alles, was ihr entgegensteht, offenlegt, bloßstellt und zerstört. Wenn wir lieben, sind wir ganz natürlich mit der göttlichen Liebe verbunden, der einzigen Quelle jeder Liebe, und das ist unser bester Schutz. Wenn wir nicht lieben, geben wir diese Verbindung und den dazugehörigen Schutz auf.
In dem Maße, wie die Wahrheit der Allheit von Liebe mein Denken durchströmt, kann ich geistig erkennen, dass es keine echte Realität in Bösem oder Widerstand geben kann, denn wenn Gott auch nur die geringste Kenntnis vom Bösen hätte, würde Er sich selbst zerstören. Das Böse ist selbstzerstörerisch. Es tötet sich selbst, denn es offenbart seine eigene Nichtsheit. Diese Erkenntnis fungiert wie eine Rüstung, die uns völlig vor dem lügnerischen Glauben von Bösem, oder Irrtum, beschützt.
Die Christliche Wissenschaft erbringt den wissenschaftlichen Beweis, dass die Allheit und Güte Gottes – und die aktive Demonstration dieser Allheit und Güte hier und jetzt – den Glauben an das Böse zerstört. Sie erbringt den wissenschaftlichen Beweis, dass das Wissen von der Wirklichkeit des Guten die Unwirklichkeit des Bösen entlarvt und bloßstellt. Das ist die Grundlage für die Handhabung von tierischem Magnetismus, und diese Handhabung ist unverzichtbar!
Was erfordert die Praxis von uns
Liebe, Hingabe, Liebe, Durchhaltevermögen, Liebe, Demut, Liebe, gewissenhaftes Studium der Bibel und der Schriften von Mrs. Eddy, Liebe, geistiges Lauschen, Liebe.
In Wirklichkeit gibt es keine „nebenberuflichen Heiler“. Ja, es gibt Leute, die bereit und willens sind zu heilen, wenn sie in ihrem bereits vollen Alltag darum gebeten werden. Und es gibt andere, die ihr ganzes Leben der öffentlichen Praxis des Heilens widmen. Doch jede christlich-wissenschaftliche Behandlung erfordert Hingabe und Liebe in „Vollzeit“. Sie erfordert kostbare Augenblicke der Erkenntnis geistiger Tatsachen, wie sie in der Bibel und im Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft dargelegt werden. Sie erfordert von uns, dass wir uns von dem Geschwätz des verzerrten körperlichen Sinnes über den vollkommenen Gott und Seinen vollkommenen Selbstausdruck, den Mann und die Frau in der Wissenschaft, abwenden.
Das Selbst zu entselbsten erfordert vom Heiler, dass er nach und nach alle Eigenschaften ablegt, die das Christus-Bewusstsein verzerren. Denn dieses ist fähig, Jesu Befehl zu gehorchen: „Heilt die Kranken, reinigt die Aussätzigen, weckt die Toten auf, treibt die Dämonen aus“ (Matthäus 10:8). „Glückselig sind, die reinen Herzens sind“, sagte Jesus, „denn sie werden Gott schauen“ (Matthäus 5:8). Wenn wir in der Lage sind, Gott klarer zu erkennen, zeigt sich diese Erkenntnis in Heilung. Für mich hat sich das vor und nach Eintreten in die öffentliche Praxis christlich-wissenschaftlichen Heilens bewahrheitet.
