Am liebsten betrachte ich Sonnenuntergänge ganz still, ohne mich zu bewegen, und sehe der untergehenden Sonne und dem Farbenspiel am Himmel zu.
In letzter Zeit denke ich öfter über dieses Stillsein nach, nicht so sehr beim Sonnenuntergang, sondern in Bezug auf Gebet. Mich inspiriert besonders, wenn es in der Bibel heißt: „Steh still“ und „Seid still“, zum Beispiel: „Steh jetzt still, dass ich dir mitteile, was Gott gesagt hat“ (1. Samuel 9:27); „Steh doch still und bedenke die Wundertaten Gottes!“ (Hiob 37:14) und „Seid still und erkennt, dass ich Gott bin“ (Psalm 46:11).
Diese Stellen weisen uns nicht nur an, still zu sein, sondern versichern uns, dass dies uns helfen kann, Gottes Botschaft zu hören und Seine Wundertaten sowie die rettende, leitende und heilende Macht Gottes zu erleben.
Was bedeutet es, still zu sein? Beziehen sich diese Stellen auf ein körperliches Stillhalten? In gewisser Weise schon, denn wenn wir ständig herumeilen und an Termine und Zeitpläne denken, kann es schwierig sein, innezuhalten und zu beten – unsere ganze Aufmerksamkeit Gott zuzuwenden. Doch ich glaube, dass es bei dieser Anweisung um mehr geht als nur ein körperliches Stillhalten. Es geht darum, unser Denken zu beruhigen.
Für mich ist dieses mentale Stillsein mit viel Demut verbunden. Es bedeutet, dass ich Sorgen, Ärgernisse und Meinungen beiseitelegen und mein Denken der Gegenwart Gottes, des Guten, öffnen muss. Das ist nicht immer einfach. Menschliche Sorgen können aus allen Richtungen kommen und unser Denken beherrschen.
Um diese Flut abzustellen, ist mir dieser Satz aus Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift von Mary Baker Eddy eine große Hilfe: „Die ganze Natur lehrt Gottes Liebe zum Menschen, aber der Mensch kann Gott nicht über alles lieben und alle seine Herzensneigungen auf geistige Dinge richten, während er das Materielle liebt oder mehr darauf vertraut als auf das Geistige“ (S. 326). Gott ist Liebe; wenn wir geistige Dinge über alles lieben, vertrauen wir auf die Liebe. Was könnte natürlicher sein? Ich habe festgestellt, dass der Sturm der Sorgen in meinem Denken besser gestillt wird, je mehr ich Gott liebe und vertraue, und ich kann die mentale Stille finden, die ich brauche, um für mich und andere zu beten.
Wenn wir Gott als die Quelle alles Guten in unserem Leben anerkennen und etwas von Seiner Allheit und Tätigkeit verstehen, finden wir Erlösung von dem menschlichen Impuls, Dinge erzwingen zu wollen. Je besser die Allgegenwart von Gottes Güte verstanden und befolgt wird, desto ruhiger und friedvoller wird unser Denken, und wir erkennen diese Güte in unserem Leben besser und erleben sie selbst.
Christus Jesus sagte: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch“ (Lukas 17:21). Für mich bedeutet das Reich Gottes die Herrschaft erhabener Güte, darunter Vollkommenheit, Vollständigkeit und Fülle. Es ist eine enorme und tröstliche Wahrheit zu verstehen, dass wir nicht außerhalb unserer selbst auf die Suche nach diesen Dingen gehen müssen – sie sind bereits in unserem wahren, geistigen Bewusstsein, denn wir sind Gottes Widerspiegelung. Außerdem befindet sich das Reich Gottes nicht nur in diesem wahren Bewusstsein, sondern es ist wirklich Gottes Wille, dass wir es erleben. Jesus sagte: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ (Lukas 12:32).
Diese Wahrheit beweist die Macht und Verheißung geistig inspirierter Stille. Doch könnten wir auf den Gedanken kommen, dass jemand das uns zustehende Gute an sich reißen kann, wenn wir nur still sind und nichts tun, um etwas Gutes zu bewirken. Der Irrtum des Glaubens, dass rein menschliche Schritte Gutes bewirken, wird durch eine Geschichte in der Bibel von einem Mann demonstriert, der 38 Jahre lang krank war (siehe Johannes 5:1–9). Er wartete mit anderen Invaliden am Ufer eines Teichs, dessen Wasser gelegentlich durch die Berührung eines Engels Heilkräfte erhielt. Das Problem war, dass nur einer – der erste, der das Wasser erreichte – die heilende Kraft des Wassers nutzen konnte. Alle anderen mussten warten, bis der Engel zurückkehrte, und dann erneut versuchen, das Wasser als erster zu erreichen.
Als Jesus den Mann sah, fragte er ihn, ob er gesund werden wolle. Der Mann antwortete, dass er niemanden habe, der ihn zum Wasser bringe, und wenn er ankäme, sei immer schon einer vor ihm dort. Jesus erwiderte nicht etwa: „Dann bringen wir dich jetzt schneller zum Wasser!“ Vielmehr sagte er: „Steh auf, nimm deine Matte und geh weg!“ (Vers 8). Mit anderen Worten, der Mann musste gar nicht in den Teich steigen, um wieder laufen zu können. Gottes Macht, nicht das Wasser, ermöglichte ihm das Laufen. Und genau das tat er, denn er war augenblicklich geheilt.
Diese Geschichte illustriert die Wahrheit, dass Heilung durch die Macht des Geistes, Gottes, bewirkt wird. Jesus demonstrierte, dass die Macht des Heilens im Verständnis der bereits etablierten Gesundheit des Mannes als Kind Gottes lag. Dieses Verständnis legt dauerhaft fest, dass der Christus, die reine Idee von Gott, in jedem Menschen Gesundheit – Vollständigkeit – offenbart.
Die Bibelgeschichte weist auf die Idee hin, dass Güte unendlich und jedermann jederzeit verfügbar ist, da sie geistig ist. Es ist also unnötig, eilig menschliche Schritte zu unternehmen, um diese Güte zu erhalten. Vielmehr brauchen wir geistige Stille des Denkens – die Bekräftigung der immerwährenden, heilenden Macht Gottes im Leben aller Menschen, uns eingeschlossen. Als der Mann auf die Gegenwart des Christus reagierte, fand die Heilung augenblicklich und natürlich statt. Er musste nirgendwo hingehen, um sie zu erleben, oder menschliche Schritte unternehmen, um sie zu bewirken. Und niemand konnte sie ihm nehmen.
Natürlich gibt es einen rechten Weg, aktiv zu sein und Initiative zu zeigen; und wir wollen geistig inspirierte Stille nicht mit Untätigkeit oder Müßiggang verwechseln. Sie haben nichts miteinander zu tun. Mrs. Eddy beschreibt einen stillen, gebeterfüllten Gedanken, der zu wahren und guten Handlungen führt, und zwar: „Die beste geistige Art, auf christus-gleiche Weise das Denken der Menschen zu heben und ihnen die göttliche Wahrheit zu vermitteln, ist beharrende Kraft, Stillesein und Stärke; und wenn wir uns dieses geistige Ideal zu eigen gemacht haben, wird es zum Vorbild für das menschliche Handeln“ (Rückblick und Einblick, S. 93). Still zu sein im Verständnis Gottes bedeutet, geistig aktiv zu sein, denn es ist ein Teil von Gebet.
Als ich in die Grundschule ging, arbeitete mein Vater in der Verwaltung eines kleinen Colleges. Die Atmosphäre am College gefiel ihm, doch seine Tätigkeit gestattete ihm nicht, seine Schreib- und Kommunikationsfähigkeit voll auszunutzen. Und da sie ihm wenig Zeit für die Familie ließ, fing er an, sich nach einer neuen Stelle umzusehen.
Nachdem er mehrere Monate lang landesweit gesucht hatte, bat er einen Praktiker der Christlichen Wissenschaft um Hilfe durch Gebet. Der Praktiker forderte ihn auf, still zu sein – aufzuhören, außerhalb seiner selbst und an anderen Orten nach Erfüllung zu suchen, und einfach die allgegenwärtige Tätigkeit des Christus in seinem Leben anzuerkennen. Wenn er das täte, würde er entsprechend geführt.
Kurz darauf verbrachte mein Vater etwas Zeit ganz still in seinem Büro und betete, bevor er nach Hause fuhr. Als er das Gebäude verließ, begegnete er einem Kollegen und fühlte sich veranlasst, ihn zu fragen, wer im Herbst das Fach Wirtschaftskommunikation unterrichtete. Der Kollege sagte, sie suchten noch jemanden, und fragte, ob mein Vater Interesse hätte. Ja, das hatte er, und kurz darauf trat er die neue Stelle an. Er unterrichtet jetzt seit 35 Jahren an diesem College, weit über das übliche Rentenalter hinaus.
Diese Erfahrung war ein wichtiger Meilenstein für unsere Familie, nicht nur, weil diese Arbeit die Erwartungen meines Vaters in Bezug auf Erfüllung weit übertroffen hat und unsere Familie sowie zahllose Studenten gesegnet wurden, sondern auch, weil sie so klar demonstriert, wie machtvoll Stille beim Beten ist.
Das Reich Gottes – die Fülle des Guten – ist in unserem und jedermanns Leben allgegenwärtig und immer wirksam. Und wir können still sein und das erkennen.
