Als ich Ende der 1960er Jahre ein Jahr lang für den Christian Science Monitor über die Auswirkungen des Vietnamkrieges berichtete, betete ich täglich darum zu hören, was der Christus, „... die göttliche Botschaft von Gott an die Menschen, ... zum menschlichen Bewusstsein spricht“ (Mary Baker Eddy, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, S. 332). Ich bat darum, dass er mir die wahre Natur des Menschen in Gottes friedvollem Reich übermitteln möge. Trotz der klaren Anzeichen von Krieg und Gewalt weigerte ich mich, die Schlussfolgerung zu akzeptieren, dass der Mensch einem unweigerlichen Kain-Komplex unterliegt, der ihn dazu zwingt, seinen Bruder umzubringen.
Im Mai 1970 konnte ich dann die von der Christlichen Wissenschaft dargelegte gegenteilige, radikale Prämisse der natürlichen Unschuld des von Gott geschaffenen Menschen selbst testen. Eine Woche, nachdem der Landkrieg in Vietnam auch das benachbarte Kambodscha erfasst hatte, besuchten zwei andere amerikanische Journalisten und ich einige Dörfer und wurden dort von Aufständischen gefangen genommen. Eine Gruppe aus Vietcong und Roten Khmer trat hinter Bäumen hervor, richtete Gewehre auf uns und befahl uns, mit erhobenen Händen aus dem Fahrzeug auszusteigen. Wir waren am Rande des sogenannten Papageienschnabels, der rasch zu einem heftigen Kampfgebiet wurde.
Zu dem Zeitpunkt waren die Roten Khmer eine neue, unbekannte Gruppe von Guerillas; erst später, nachdem sie mehr als ein Viertel der ethnischen kambodschanischen Bevölkerung ermordet hatten, erhielten sie ihren Ruf als Urheber der „Killing Fields“. Und in dieser anfänglichen Zeit des Kambodschakrieges folgte der Umgang mit gefangenen westlichen Journalisten noch keinem festen Muster.
Von Anfang an hörte ich in Gedanken diese beruhigende Zeile aus einem Lied: „Auf sturmbewegter Meeresflut / seh’ Christus ich“ (Mary Baker Eddy, Liederbuch der Christlichen Wissenschaft, Nr. 253). Ich spürte seine Gegenwart und wusste, dass ich auf heiligem Land stand. Ich bekräftigte, dass der Mensch nie ein Vertreter, Opfer oder Zeuge des Bösen sein kann.
Ja, ich hatte große Angst. Doch im tiefsten Innern nahm ich die von Engeln übermittelten Wahrheitsgedanken auf, die mit einer mir neuen Beständigkeit und Spontaneität in mein Bewusstsein einflossen. Ich musste mir nicht vornehmen, über die aggressiven Bedrohungen X, Y oder Z zu beten, um dann die geistigen gegenteiligen Tatsachen zu erhalten, die sie widerlegten. Ich war einfach dankbar für die Ideen, die mir von selbst zuflossen. Zu meiner Überraschung setzte die Angst meine geistige Empfänglichkeit in keiner Weise außer Gefecht. Sie war völlig irrelevant.
Einerseits war es leicht zu beten, weil die einzige Alternative war, erschossen zu werden. Doch es war mehr. Ich wählte bewusst das Leben. Wenn ich um das Verständnis der Wahrheit über das Gute in Gott und dem Menschen gebetet habe, das ich als Christliche Wissenschaftlerin behaupte, und dem mehr vertrauen will, so dachte ich, dann muss es ganz natürlich sein, diese Wahrheit in meinem Leben zum Ausdruck zu bringen. Wenn diese Wahrheit wirklich korrekt ist, dann wird sie uns alle beschützen – auf beiden Seiten dieser Gewehre. Ein universaler Vater-Mutter-Gott muss ausnahmslos alle Seine Kinder beschützen. Er erhält mein Leben und das Leben meiner Kollegen, der Kidnapper und der Dorfbewohner. Und in gleicher Weise schützt Er unsere Wachen vor einem Verrat an ihrer eigenen höheren Natur.
Ich erkannte ferner, dass es mir egal ist, was mir in einer von Gewalt und Schicksal beherrschten Welt passiert, wenn diese Prämissen nicht stimmen.
In den ersten zwei oder drei Stunden unserer Gefangennahme ging es recht informell zu. Wir drei Journalisten erkannten sehr klar, dass wir uns von unseren Wachen nicht entmenschlichen lassen durften, und nahmen jede Gelegenheit wahr, mit ihnen zu sprechen – ich auf Französisch und einer meiner Kollegen auf Vietnamesisch. Und als wir in der Hitze des Tages um Wasser baten, bekamen wir welches. Doch unsere Behandlung änderte sich abrupt, als Hardliner das Kommando über uns übernahmen und jede Fraternisierung verboten. Ich musste an diese Verheißung in Jesaja (60:18) denken: „Man soll in deinem Land von keinem Frevel mehr hören noch von Schaden oder Verderben in deinen Grenzen; sondern deine Mauern sollen Heil und deine Tore Lob genannt werden.“ Daher, so machte ich mir klar, kann diese Erfahrung nur zum Lobe Gottes dienen. Ich kann nicht durch den Gedanken getäuscht werden, dass Gewalt ansteckend ist oder einem Herdentrieb unterliegt. Ich kann weder Feinde sehen noch als solcher erscheinen.
Einerseits war es leicht zu beten, weil die einzige Alternative war, erschossen zu werden. Doch es war mehr. Ich wählte bewusst das Leben.
Wir liefen immer tiefer in das von Aufständischen gehaltene Gebiet hinein und ich wusste plötzlich, dass ich besonders intensiv an der Wahrheit festhalten musste. Ich folgte dieser Intuition, und in einer Unterhaltung mit den Wachen erfuhren wir einige Wochen später, dass uns die feindliche Fraktion in diesem Moment hatte erschießen wollen. Dieses Ausräumen der Lebensbedrohung war der erste von vier konkreten Fällen in den vierzig Tagen vor unserer Freilassung, wo spezifische Gebete erhört wurden. Der zweite war mein Schutz vor Vergewaltigung und das gleichzeitige Ende der Misshandlung meiner beiden Kollegen. Der dritte war das Ende meiner Furcht und der vierte unsere Freilassung, ohne dass jemand zu Schaden kam.
Statt sofort hingerichtet zu werden, wurden wir in ein Dorf gebracht und dort auf eine Weise präsentiert, die uns den Eindruck vermittelte, dass man kurzen Prozess mit uns machen wolle. Doch dann wurde das Spektakel unterbrochen und wir wurden auf die Ladefläche eines Militärlastwagens geordert, von nervösen Wachen mit Gewehren bedroht und in einem neuen Dorf vorgeführt. Die dortigen Kambodschaner sprangen auf den Lastwagen und schrien uns wütend an. Ich hatte großes Mitgefühl mit ihnen und begriff etwas von dem, was Jesus sah, als er „in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen [sah], der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige sterbliche Mensch erscheint“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 476–477).
Im nächsten Dorf wurden uns fest die Augen verbunden und wir wurden einem Spießrutenlauf ausgesetzt. (Die Atmosphäre war äußerst feindselig, aber wir wurden nur von wenigen getreten oder geschlagen.) Dann konnte ich hören, dass einige Männer von hinten auf uns zuliefen, meine beiden Kollegen packten und unter viel erbostem Schreien mit ihnen fortliefen.
Ich wurde in ein Gebäude gebracht, wo die Dorfbewohner in Wellen kamen und mich anschrien. Ein Mann riss mir die Sandalen von den Füßen und schleuderte sie quer durchs Zimmer. Während einer Pause bat ich um etwas zu trinken und erhielt Wasser. Und dann hatte ich die Intuition, mir die Augenbinde abzunehmen, obwohl das in einem solchen Fall eigentlich unklug erscheinen muss. Doch niemand hinderte mich daran. Es wurde dunkel. Kurz darauf war ich mit einer Wache allein. Der Mann zog mir die Ringe von den Fingern und machte Anstalten, mich zu vergewaltigen. Sonst war niemand da.
Bis dahin hatte ich nur still gebetet, doch jetzt sagte ich zu dem Mann, obwohl wir nicht dieselbe Sprache sprachen: „Du bist mein Bruder.“ Und dann: „Du hast alles, was du brauchst, denn du bist Gottes Sohn.“ Er zögerte, sprach das Wort „Gott“ aus, setzte mir behutsam die Ringe wieder auf und ließ von mir ab.
Ich war tief beeindruckt und dankbar für die Macht und Gegenwart Gottes; Er ist „der große Ich bin; der All-Wissende, All-Sehende, All-Wirkende, All-Weise, All-Liebende und Ewige; Prinzip; Gemüt; Seele; Geist; Leben; Wahrheit; Liebe; alle Substanz; Intelligenz“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 587).
Nach weiteren 15 Minuten kam jemand ganz ruhig herein. Er reichte mir meine Sandalen und ich wurde in ein anderes Gebäude geführt, wo meine Kollegen saßen, weiterhin mit verbundenen Augen, aber unverletzt. Das war wichtig, denn eine ernstliche Verletzung wäre ein starker Anreiz gewesen, die Gewalt zu verbergen, indem man uns umbrachte, statt freizulassen. Meine Freunde waren an ein Motorrad gebunden und gezwungen worden, mit verbundenen Augen hinterherzulaufen, was ihnen gelungen war, ohne hinzufallen. Dann hatte ein Aufständischer den jüngeren der beiden auf den Kopf geschlagen. Doch zur selben Zeit wie mein Erlebnis mit der Wache war ein neuer, höherrangiger Offizier hereingekommen, hatte der Gewalt Einhalt geboten und den Befehl gegeben, meine Kollegen in das Gebäude zu bringen, in dem wir wieder zusammentrafen. Nach meiner Ankunft durften auch sie die Augenbinden abnehmen, und zum ersten Mal an jenem Tag erhielten wir etwas zu essen und konnten uns in einem Eimer Wasser ein wenig waschen. Von da an wurden wir körperlich anständig behandelt.
Der dritte Fall, wo mein Gebet erhört wurde, war das Ende der Furcht. Das Gefühl von Terror verschwand. Während unserer ersten Woche in Kambodscha wurden wir von einem Vietnamesen vernommen, der mehrmals per Motorrad zu den Häusern in dem Dorf fuhr, wo wir bei Tageslicht eingesperrt waren. Er erklärte uns streng, dass wir gut behandelt werden würden, wenn sich herausstellte, dass wir Journalisten seien, doch wenn sie feststellten, dass wir Spione seien, würden wir wie Spione behandelt, was offenbar eine Hinrichtung bedeutete. (Das sagte uns, dass die Entscheidung über unsere Behandlung von den unerfahrenen örtlichen Aufständischen an die politische Hierarchie weitergegeben worden war, die noch nicht entschieden hatte, was mit uns und den anderen ausländischen Journalisten geschehen solle, die die Guerillas in dem erst eine Woche dauernden Kambodschakrieg gefangen genommen hatten.)
Immer wenn ich das Motorrad näherkommen hörte, hatte ich plötzlich starkes Herzklopfen. Das störte mich nicht weiter, denn ich hatte bereits am ersten Tag festgestellt, dass Terror irrelevant war. Und dennoch verbrachte ich jeden Morgen eine Stunde ganz allein mit Gott – jeder von uns durfte vor Sonnenaufgang vor die Tür treten, um zur Toilette zu gehen, und meine Kollegen schliefen daraufhin weiter –, und am Ende unserer ersten Woche in Kambodscha fragte ich mich in dieser wertvollen Stunde, wovor ich denn genau Angst hatte. Ich kann keine Angst davor haben, mein Leben in der Materie zu verlieren, argumentierte ich, da es kein Leben in der Materie gibt. Ich dachte weiter, dass Boten nur gute und friedvolle Nachrichten überbringen konnten: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die Frieden verkünden, gute Nachricht bringen, Heil verkünden“ (Jesaja 52:7). Und folgende Worte werden Johannes zugeschrieben: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollendete Liebe treibt die Furcht aus“ (1. Johannes 4:18).
An jenem Tag hatte ich zu meiner Überraschung keine der Furchtsymptome, als ich das Motorrad hörte. Diesmal war ausnahmsweise ich die Dolmetscherin, und zwar auf Französisch. Und selbst als der Vietnamese uns vorwarf, spezielle Spionagekameras zu haben, hatte ich keine Angst, sondern antwortete nur, dass das Unsinn sei. Ich war sehr glücklich über diese Auflösung der Furcht. Wie sich herausstellte, war dies das letzte Mal, dass wir streng vernommen wurden.
Der vierte konkrete Fall von erhörtem Gebet geschah nach mehr als vier Wochen der Gefangenschaft. Wir hatten uns an eine Routine des Dorflebens gewöhnt, die durch mehrere Fluchten bei Tag und Nacht unterbrochen war – zu Fuß oder per Auto –, um unmittelbar bevorstehenden Angriffen der Südvietnamesen oder Amerikaner zu entkommen. Doch wir wurden nicht noch einmal direkt mit dem Tod bedroht, und als Journalisten wussten wir die einzigartige Chance zu schätzen, das Dorfleben in einem Rebellengebiet aus nächster Nähe beobachten zu können.
Aber es passierte nichts; unser Status blieb ungeklärt. Als ich eines Morgens darüber nachdachte, erkannte ich, dass der Mensch nie in der Luft hängt, sondern immer für Lösung und Demonstration steht. Liebe inspiriert nicht nur in jedem Stadium, sondern „erleuchtet, bestimmt und führt den Weg“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 454). Am selben Tag fragten uns die Wachen als erstes Anzeichen, dass wir freigelassen werden würden: „Wenn wir euch freilassen, wohin wollt ihr gehen?“
Eine Woche später wurden wir mitten in der Nacht auf Motorrädern zur Hauptstraße zwischen Saigon und Phnom Penh gebracht, wo wir am Morgen zurück nach Saigon trampen konnten. Unsere Wachen – besorgt über die Neigung von übernervösen Kämpfern, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen – sorgten dafür, dass wir weiße Tücher hatten, mit denen wir wenn nötig winken konnten. Ich fuhr in jener Nacht die ca. 100 km durch den Papageienschnabel mit der frohen Gewissheit: „Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit“ (Ps. 121:8).
Wir waren die ersten ausländischen Journalisten, die in Kambodscha freigelassen worden waren, und es folgte eine Reihe von Freisetzungen anderer festgehaltener Kollegen, die ihre erste Begegnung mit den Aufständischen überlebt hatten. Es wurde kein Lösegeld gezahlt. (Erst in späteren Jahren wurde Lösegeld eine übliche Forderung in Kriegsgebieten.) Wir wurden auch nicht in einer Militäraktion der amerikanischen Kommandos gerettet, obwohl wir später erfuhren, dass eine solche Aktion kurzzeitig als Training für die Befreiung amerikanischer Kriegsgefangener geplant und dann wieder verworfen worden war. Das war mir wichtig; eine Befreiung, die auf einer oder beiden Seiten Menschenleben forderte, hätte die Universalität meiner Gebete verletzt. Ich wollte nicht auf Kosten eines anderen Menschenlebens befreit werden.
Meine Freiheit wurde mir durch das völlige Fehlen eines anschließenden Traumas bestätigt. Ich litt weder an Alpträumen noch an Schlaflosigkeit und musste nie die Bedrohungen erneut durchmachen, außer, um ihre Machtlosigkeit zu demonstrieren und Gott zu loben.
Ja, ich wollte mehr demonstrieren. Insbesondere sehnte ich mich danach, alle zu heilen, die in den Dörfern der Heilung bedurften, so wie Paulus dies nach dem Schiffbruch auf der Insel Malta getan hatte. Doch ich bin dankbar für das, was ich an Demonstrationen der göttlichen Gesetze miterlebt habe, und für die universale Verheißung dieser Demonstration für die „Heilung der Völker“ (Offenbarung 22:2) – der ganzen Menschheit. Ich kann ehrlich sagen, dass meine Erfahrung in Kambodscha nicht die Tortur eines Gefängnisses war, sondern die geistige Vertiefung eines Heiligtums.
Durch diese ganze Erfahrung wurden mehrere Stellen in der Bibel und aus Wissenschaft und Gesundheit besonders lebendig für mich, vor allem diese: „Die einsame Abgeschlossenheit des Grabes gab Jesus eine Zuflucht vor seinen Feinden, einen Ort, an dem er die große Aufgabe des Seins lösen konnte. Seine dreitägige Arbeit im Grab drückte der Zeit das Siegel der Ewigkeit auf. Er bewies, dass Leben todlos und dass Liebe der Meister über Hass ist.“ Und: „Der Gabriel Seiner Gegenwart kennt keinen Streit. Für die unendliche, immer-gegenwärtige Liebe ist alles Liebe, und es gibt keinen Irrtum, keine Sünde, keine Krankheit und keinen Tod. Gegen Liebe kämpft der Drache nicht lange, denn er wird vom göttlichen Prinzip getötet. Wahrheit und Liebe setzen sich gegen den Drachen durch, weil der Drache nicht gegen sie ankämpfen kann. So endet der Konflikt zwischen Fleisch und Geist“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 44 und 567).
Wie Mary Baker Eddy einst schrieb: „Wir leben in einem Zeitalter des göttlichen, kühnen Unternehmens der Liebe, Alles-in-allem zu sein“ (Die Erste Kirche Christi, Wissenschaftler, und Verschiedenes, S. 158).
