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Demut bringt Freude

Aus der Dezember 1903-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Voriges Jahr erschien in der „Royal Academy,“ London, England, ein Bild mit dem Titel: „Die Freude und der Tagelöhner.“ Nur zwei Figuren waren dargestellt. Die eine — ein liebliches, blühendes Kind, gerade an der Schwelle verständigen Mädchenalters — saß singend auf einem grünen Hügel; die andere — ein gekrümmter, runzeliger, alter Mann — hatte momentan sein Graben eingestellt, stützte sich auf seinen Spaten, und hörte dem Liede zu.

In einer Ecke des Bildes las man folgendes:

„Freude ist Dein
O nimm sie heim, und räum in Deinem Herzen ein,
Ein Kämmerlein für sie allein.
Dann ruht sie bei Dir nieder,
Singt ihre schönsten Lieder,
Ob Du im Acker säest, ob Du im
frühen Morgenrot Dein Werk beginnst.
Wie schön ist doch die Freude.
Sie ist des Herzens höchstes Dankgebet.“

Die Künstlerin, eine treue Schülerin der Christian Science (d. h. der Christlichen Wissenschaft) erreichte mit ihrer Hoffnungsbotschaft die Herzen mancher unter den Tausenden, die während der Londoner „Saison“ die Royal Academy besuchten. Viele, die schon lange in den Furchen des Materialismus Glück gesucht, hielten vor diesem Bild an, dessen Sinn zu fassen, und der Same der Wahrheit fiel nicht immer auf steinigen Boden. Die ganze Welt möchte gern die „Freude heimnehmen,“ aber bis Mrs. Eddy durch Christian Science uns die wahre zeigte, hatten wir alle nur die falsche Münze mit heim genommen. Und wir hatten diese falschen Freuden gepflegt und ihr Wachstum erwartet und gehofft, daß sie uns in finsteren Tagen ihr Lied singen und uns trösten sollten. Und dann, wenn die Furchen lang waren, und die Sonne heiß, und das Unkraut tief eingewurzelt schien, hatten sie kein Lied für uns, sondern weinten mit oder verspotteten uns. Und als diese falschen Freuden uns eine nach der andern im Stiche ließen, fingen wir an, an der Existenz irgend einer wahren Freude zu zweifeln, und arbeiteten niedergeschlagen, ja, manchmal sogar ganz hoffnungslos fort. „Nun, über eine Nacht des Irrtums tagt die Morgenröte und leuchtet der leitende Wahrheitsstern“ (Science and Health, Vorrede). In dem Licht der Christian Science sehen wir ein, wie es möglich ist, hier und jetzt die wahre Freude zu suchen und zu finden; die Freude, die die müde Welt so lange gesucht. Aber es führt nur eine Pforte zur Freude, und derjenige, der sie. suchen möchte, muß den ersten Schritt in der rechten Richtung tun, sonst sucht er ein täuschendes Irrlicht und wird nie die wahre Freude finden.

Der erste bedeutsame Schritt ist die Demut. So wichtig ist dieser Schritt, daß Mrs. Eddy in „Miscellaneous Writings,“ Seite 356, die Demut „den Genius der Christian Science“ nennt.

Der sterbliche Mensch ist endlich. Das Endliche muß sich ewig in Demut vor dem Unendlichen verhalten. Stolz und Selbstverehrung können so unmöglich vor dem Unendlichen verweilen, wie die Finsternis vor dem Licht. Sogar der kleinste Begriff der unendlichen Gegenwart, noch ungebildet und noch nicht wörtlich ausgedrückt, ja, vielleicht durch das dichteste materielle Denken hindurch filtrierend, wird in gewissem Maße den endlichen sterblichen Sinn veranlassen, sich zu demütigen und zu erliegen. Also muß totale Ermangelung an Demut ein totales Unbewußtsein der Gegenwart Gottes anzeigen; einen so hohen Stolz, ein so hartnäckiges falsches Selbst, einen so geistlosen Traum der Materie, daß er die Stimme der Wahrheit, die ewig spricht: „Wache auf, der du schläfst,“ ausschließt.

David sagt im 8ten Psalm: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest, und des Menschen Kind, daß du dich sein annimmst?“ Der Psalmist hatte in Demut eine Idee der Allmacht und Allgegenwart erhalten, und natürlicherweise folgte Demütigung des materiellen Selbst.

Und also, der sterbliche Geist (Sinn) in seinem traurigen oder heiteren materialistischen Traum versunken reibt sich doch von Zeit zu Zeit die Augen und erblickt, „wie durch einen Spiegel in einem dunklen Wort,“ einen Strahl des Unendlichen. Es mag der erste Anblick eines erstaunlichen Naturwerks, eines mächtigen Bergesgipfels in Schnee und Einsamkeit gekrönt sein, eines rauschenden Wasserfalls, oder einer weit hinaus rauschenden See, oder vielleicht die wundervollen Farben des Herbstlaubes, oder eine sich öffnende Blume, oder die Myriaden-Herrlichkeiten eines Sommer-Sonnenuntergangs, oder vielleicht nur ein stilles Wort der Wahrheit in Liebe ausgedrückt, welches den sterblichen Sinn in seinem halberwachten Moment findet, und von der Gegenwart des Unendlichen flüstert. Und der endliche Sinn, indem er in diesem Augenblick einen Schimmer des Unendlichen gewahr wird, sinkt in Demut vor der Gegenwart des allmächtigen Geistes nieder. Stolz, Eigenwille, Selbstgerechtigkeit, Selbstverteidigung, versinken alle in ihre ursprüngliche Nichtigkeit, und der sterbliche Geist (Sinn) seines scheinbaren Harnisches entkleidet, ruft in Demut aus: „Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest?“

Doch dieser Demütigung des sterblichen Sinnes vor dem ewiggegenwärtigen Unendlichen, muß die Demut gewissermaßen vorhergegangen sein. Hätte der sterbliche Geist den Bergesgipfel nur von dem Standpunkt des Kletterers angesehen, oder die knospende Blume vom Standpunkt der Botanik, oder den prachtvollen Sonnenuntergang mit dem Auge des Wetterkundigen, so würde er die tieferen Deutungen, welche von Gott reden, gänzlich vermißt haben. Selbstweisheit kennt keinen Gott als sich selbst. In „Science and Health,“ Seite 240, lesen wir: „Die Natur drückt Naturgesetze und himmlische Liebe aus, aber das menschliche Denken legt sie falsch aus. Nördliche Regionen, heitere Tropenländer, riesenhafte Gebirge, geflügelter Wind, mächtige Wellen, grüne Täler, herrliche Blumen und prachtvoller Himmel — deuten alle die unsichtbare Intelligenz über ihnen an. Die Blumen sind Boten, Sinnbilder der Gottheit. Sonnen und Planeten dienen zu großen Lehren. Die Sterne verherrlichen die Nacht, und das Laub wendet sich von selbst gegen das Licht.“

Das Erwachen des sterblichen Geistes (Sinnes) aus dem Traum der Materie ist immer ein Zustand der Demut. Sonst fährt der Traum fort, und das scheinbare Erwachen ist nur eine verschiedene Erscheinung seines verwirrten Blendwerks (Illusion). Also nur, wenn der sterbliche Geist (Sinn) so zu sagen menschlich demütig ist, wird materielles Denken eine Zeitlang bei Seite gelegt, Mund und Sinn schweigen, daß er der Gegenwart des Unendlichen gewahr wird; und einmal seiner gewahr, empfindet er mit der Anerkennung des Alles-in-Allem, eine menschliche Ehrfurcht, tiefer als einfache Demut, und das erste Erwachen von „Sinn zu Seele“ tritt hervor.

Also erläutert es folgenden Lehrsatz: Demut oder Selbstherabwürdigung erzeugt eine Empfindung des Unendlichen, und die Gegenwart des Unendlichen erzeugt Demut.

Dieses lautet wie ein kreisförmiger Lehrsatz und das ist er auch: aber der Kreis könnte mit dem Rad geistigen Fortschrittes verglichen werden, der einmal in Bewegung gesetzt, sicher den engen Pfad, der zu Gott führt, dahinrollt. In „Science and Health,“ Seite 240, sagt Mrs. Eddy: „Geist ist ununterbrochene Bewegung. Sein Symbol ist der Zirkel.“

Was ist also „Demut“ von dem Standpunkt der Christian Science? Demut ist Selbstentsagung, Selbstverleugnung. Jesus lehrte, daß Selbstverleugnung ein für die Jüngerschaft förderlicher Geisteszustand ist. Selbstverleugnung heißt erstens: das Erwachen des sterblichen Geistes; zweitens: Reue; und drittens: Reform. Jesus sagte von dem verlorenen Sohne: „Und da schlug er in sich und sprach: . . . Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt in dem Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr wert, daß ich dein Sohn heiße, mache mich zu einem deiner Tagelöhner.“ Endlich, nachdem der sterbliche Geist so lange vergebens versucht hat, sich an den Trebern des materiellen Sinnes zu sättigen, erwacht er in Demut und Verlangen nach der wahren Nahrung „nähre das verhungerte Gemüt“ (Science and Health, Seite 17) — und dann fährt die Parabel fort: „Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater.“ Der erste Reformschritt war getan, und wir wissen, wie der Vater ihn empfing.

Echte Demut zeigt sich nicht notwendigerweise in Traurigkeit, Tränen und Seufzern, niedergeschlagenen Augen und Trauerkleid. Wahr ist es, daß die Menschheit immer noch der Buße, der Geißel und des Klosters bedarf; aber deren wahre Bedeutung drückt die Buße der Sühne, die Geißel der Reform, und das Kloster des inneren Bewußtseins aus, worin das stille Gebet sich zum Vater erhebt, der in das Verborgne siehet, und dir's öffentlich vergelten wird.

Echte Demut ist das Verlangen, Gottes Willen zu tun und offenbart sich, indem wir das Licht der Wahrheit durch unser Bewußtsein hindurch strahlen lassen, „jeden dunklen Schatten mit einem Lichtstrahl sanft und klar beleuchtend.“ Liebreiche Heiterkeit ist ein Kennzeichen des Christian Scientisten (des Christlichen Wissenschafters). Eine liebreiche Tat der Wahrheit und Hoffnung, ein Lächeln, ein Händedruck vollbringt oft viel, die Bürden des sterblichen Geistes (Sinnes) zu erleichtern und seine Schatten zu vertreiben.

Mrs. Eddy sagt in „Science and Health,“ Seite 367: „Das zärtliche Wort und die christliche Aufmunterung eines Kranken, mitleidige Geduld mit seiner Furcht und deren Entfernung sind besser als Hekatombe überschwenglicher Theorien, stereotypischer, geborgter Phrasen, und klägliche Erörterungen, welche nur so viele Parodien von der wahren Christian Science sind, die nur göttliche Liebe ausstrahlt.“ Es bedarf kaum der Hinzufügung, daß wahre Demut nicht durch „Uriah Heep,“ d. i. ‚Dienstfertigkeit‘ — nur ein anderes Wort für Heuchelei, die ihre eigenen selbstsüchtigen Zwecke vor Augen hat — ausgedrückt ist.

Sich demütig vor dem lieben Gott verhalten, heißt tapfer dem Irrtum die Spitze bieten. In anderen Worten: niemand kann wahre Demut gegen den lieben Gott ausdrücken ohne den Irrtum, wo er sich auch zeigen mag, Lügen zu strafen. Als Jesus Lazarum erweckte, sprach er Worte, die den Anwesenden keinen Zweifel lassen konnten, daß er nur der Vermittler des göttlichen Lebens, welches den Toten erwecken sollte, war. Demütig vor der Kundgebung der Allmacht des Vaters, urteilte er jedoch so streng und unzweifelhaft über die Irrtümer der Pharisäer, daß seit Jahrhunderten der Name Pharisäer ein Synonym für niederträchtige Heuchelei ist.

Weltklugheit schließt oft wahre Demut aus. Der Stolz erworbenen materialistischen Wissens baut oft eine hohe Mauer um Menschen, daß „das still sanfte Sausen“ niemals gehört wird. In „Science and Health,“ Seite 324, sagt Mrs. Eddy: „Bereitwilligkeit wie ein kleines Kind zu werden, das Alte für das Neue zu verlassen, macht das Denken empfänglich für die vorgeschrittene Idee.“ Bis diese Bereitwilligkeit sich zeigt, fehlt die Demut, und die Mauer der Selbstklugheit kann nicht zerstört werden.

Jesus sagte: „Wer nun sich selbst erniedriget wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“ Eigenwille (Eigensinn) ist wirklich Selbstvergötterung. Bis Eigenwille vernichtet ist, ist Demut vor dem lieben Gott unausgedrückt. Der, welcher ehrgeizig andere leiten möchte, bedarf eines Führers. Der, welcher folgt, ist der beste Führer.

Demut erzeugt Folgsamkeit. Es gibt nur eine Wahrheit, einen Weg, der zur Erkenntnis führt, und Christus hat diesen Weg gezeigt. In diesem Zeitalter hat: „das Verlangen gut und treu zu sein“ einer einzigen lieben, geduldigen Christin, „das Licht wieder hervorgebracht.“ Durch dieses Licht „erkennen wir Christum, die Wahrheit wieder an dem Ufer der Zeit“ (Science and Health, Seite 35). Und wir fangen an, gewahr zu werden, daß „die Nacht fast vergangen ist,“ und daß „des Morgens die Freude erscheint.“ Es ist also nicht befremdlich, daß wir als Schüler der Christian Science unserer Führerin Gehorsam leisten. Nicht anbetend, nicht in sklavenhafter Verehrung, jedoch mit dankerfülltem Herzen bestreben wir uns, ihre Wünsche zu erfüllen und ihrem Rat zu folgen; denn wir wissen, daß sie in wahrer Demut in bezug auf sich selbst schreibt, sie sei „noch eine bereitwillige Jüngerin an der Himmelspforte, und warte auf den Geist Christi“ (Science and Health, Vorrede, Seite IX).

Demut ist die Leiter zur Liebe. Wenn das Selbst vernichtet ist, kann der Irrtum uns nicht länger die Tatsache verbergen, daß die zwei großen Gebote — und es gibt nur zwei — auf dem Gesetz der Liebe, Liebe zu Gott und Liebe für unsere Mitmenschen, beruhen. Die Vaterschaft Gottes und die Brüderschaft der Menschen werden erst dann erscheinen, wenn die Demut uns über allen Selbstdünkel in die reine Atmosphäre des Geistes erhoben hat, wo das Licht der Liebe erwärmt und verschönert.

Demut bringt Freude. Niemand kann den Vater, der die Liebe ist, kennen, und traurig, unglücklich und verzagend bleiben. Den lieben Gott kennen, heißt Vernichtung des Selbst, und das Selbst kann nur durch Demut vernichtet werden. Dem Christian Scientisten ist die Freude, welche die Selbsterniedrigung hervorbringt, keineswegs eine zeitweilige, aufregende Ekstase, die die sterblichen Sinne in einem falschen Glauben an vergebene Sünden berauscht; kein einfältiger Traum der Selbstgerechtigkeit. Sie ist eine Freude, tief genug, den Abgrund des Irrtums auszuforschen und dessen Nichtigkeit zu kennen; sie ist weit genug, vom Menschen zum lieben Gott zu reichen, und die Menschheit mit dem Mantel der Nächstenliebe zu bedecken; sie ist in ungünstiger Umgebung ruhig, sie ist „der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft,“ sie ist ein Vorschmack der absoluten Freude, welche mit dem Tagen des ewigen Morgens erscheint. Wahrlich, durch Demut können wir alle „die Freude heimnehmen.“ In dem zweiten Kapitel des Evangeliums des Lukas lesen wir, wie die Hirten des Nachts ihre Herden hüteten und sich zuerst vor ihren himmlischen Herolden fürchteten; aber der Engel sprach: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude.“ Dann, nachdem ihre Furcht vernichtet war, waren sie im stande, die Verkündigung und den Lobgesang zu hören: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Mrs. Eddy sagt in „Science and Health,“ Seite 410: „Christlich-wissenschaftliche Praxis beginnt mit dem Christus-Grundton der Harmonie, ‚Fürchtet euch nicht!‘“ Furcht schließt unvermeidlich Harmonie aus.

Jahrhunderte lang war dieser Grundton, welcher auf den Feldern von Judäa ertönte, verloren gegangen und der Gesang so leise gehört, daß nur sehr wenige seinen Rythmus aufgefangen hatten. Jetzt gibt unsere Führern in diesem Jahrhundert wieder den Grundton in keinem ungewissen Laut an: „Fürchtet euch nicht!“ Und indem wir durch Demut, durch Stolzvernichtung und Eigenwillen-Vernichtung seine Bedeutung fassen, wird der Rythmus der himmlischen Heerscharen uns klar, und wir erkennen, daß ebenso wie „Dieses Erscheinen . . . . seine unvergängliche Anordnung ist, die ewig unter der Menschheit bleibt“ (Science and Health, Seite 150), so wird der Freudengesang in unseren Herzen, in unserer Arbeit, durch unser ganzes Leben sich verbreiten, und wenn wir treu sind, wird er Tag für Tag kräftiger und klarer ertönen, bis seine Harmonie für immer und ewig die Mißtöne des materiellen Sinnes ausgeglichen hat.


Wer von hochherzigen Gedanken begleitet ist, ist nie allein.—

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