Dualismus ist die Folge der Beschränkung und wird mit dem Erscheinen der Einheit und Unendlichkeit der Wahrheit verschwinden. Wir wissen z. B., daß mit dem Verschwinden des Tageslichtes eine Erscheinung, die wir Finsternis nennen, dessen Stelle vertritt. Im Moment des Entziehens scheint das Licht mit der entgegengesetzten Finsternis in Verbindung zu stehen, aber wenn sogenanntes materielles Licht uns in unserem höchsten Sinn von dessen Fülle und Vollkommenheit gegenwärtig ist, erscheint keine Verbindung. Wenn materielles Licht in unserem Sinn unendlich wäre, dann könnte keine Finsternis erscheinen, und freilich keine augenscheinliche Verbindung mit einem Gegensatz entstehen. In Quantität bleibt das Licht unverändert. Die Undurchsichtigkeit der Materie allein bringt scheinbare Finsternis hervor. Mit dem Verschwinden der Undurchsichtigkeit der Materie wird die Finsternis auch verschwinden.
So wie das Licht, so scheint das Gute zu erscheinen und zu verschwinden; und wenn das Gute abwesend zu sein scheint, scheint dessen Gegensatz, Übel genannt, gegenwärtig zu sein, und vice-versa. Dem Denken des Guten als unendlich, und deshalb allgegenwärtig, könnte kein Sinn einer gegenwärtigen Existenz des Übels erscheinen; aber wenn in diesem Denken das Gute anfangen könnte zu verschwinden, würde das Übel anfangen zu erscheinen, und das Gute und das Übel würden somit in scheinbare Verbindung treten, und diese scheinbare Verbindung würde fortdauern, bis das Denken des Guten als unendlich und allgegenwärtig wieder erschien, gerade wie ein Verhältnis des Lichtes und der Finsternis. Das Denken kann das Gute nicht begrenzen, außer daß es einen Glauben an Übel annimmt, und dann wird die Natur und Eigenschaft des Guten in diesem Denken verändert und verdreht erscheinen, so daß es einen Glauben an einen sich ewig verändernden und deshalb ungewissen, unbeständigen und unerklärlichen Sinn des Guten hegt, und außerdem auch einen Glauben an das, was es Übel nennt, das ebenfalls in Grad und Form sich ewig ändert.
Ferner kann das Gesicht nur durch einen Glauben an Blindheit begrenzt werden. Indem ein Sterblicher den Sinn des Verlustes seines Gesichtes annimmt, tritt der Sinn der Blindheit auf, und mit der Abnahme des Gesichtsinnes nimmt die scheinbare Blindheit zu. Je mehr also sein Sinn des Sehens begrenzt wird oder abnimmt, desto unvollkommener wird er Gegenstände sehen und erkennen. Er ist nicht im stande, die Vollkommenheit der Schönheit weder in der Natur noch der Kunst zu unterscheiden, sondern seine Wahrnehmung des Schönen ist weniger schön und weniger vollkommen, als die einer besseren Sehkraft. Auch wird er nicht die Unvollkommenheiten und Entstellungen entdecken, die eine bessere Sehkraft wahrnimmt.
Wer kann verneinen, daß Geist und Materie in Natur und Eigenschaft einander entgegengesetzt sind? Wenn nicht, was ist denn der Gegensatz der Materie, und was ist der Gegensatz des Geistes? Denn im menschlichen Denken scheint alles ein Gegenteil zu haben. Indem Paulus von Geist und Fleisch, welches Materie ist, redete, erklärte er, daß sie „wider einander“ seien. Zu gleicher Zeit gab er die Natur eines jeden genau an und bewies daß sie Gegensätze sind. (S. Galater, 5. Kapitel.)
Jesus drückte denselben Gedanken gar oft und in verschiedener Weise aus.
Was ist also die Materie? Sie ist einfach das, was dem menschlichen Bewußtsein erscheint, wenn Geist oder Gott diesem Bewußtsein abwesend oder weit entfernt sind.
Offenbar ist es, daß wenn Geist oder das Gute unendlich ist, keine entgegengesetzte Natur oder kein entgegengesetzter Charakter existieren kann. Das Denken, welches Geist und dessen Natur als beschränkt annimmt, muß sich natürlicherweise die Erscheinung und Erfahrung der Materie und des Übels als Gott entgegengesetzt vorstellen.
In der Wahrheit kann keine Form weniger rein und vollkommen sein als eine andere. Dieses ist in der Mathematik erläutert, worin man sieht, daß eine richtige Regel oder ein korrektes Problem nicht reiner, vollkommener oder absoluter als ein anderes sein kann. Der Glaube, daß Geist begrenzt sein kann, muß immer den Glauben an seinen Gegensatz, Materie, einschließen, und diese beiden werden sich in diesem begrenzten Glauben dem Anscheine nach vereinigen. Das begrenzte und deshalb begrenzende Denken verfehlt, die Schönheit und Vollkommenheit des Geistes und dessen ewige und unveränderliche Schöpfung gewahr zu werden, und verfehlt auch, die Unwirklichkeit der Materie und des Übels samt deren davon unzertrennlichen Fehler und Mißgestalten gewahr zu werden. Dieses Denken ist blind, nicht nur gegen die Natur und den Charakter des absoluten einzigen Geistes, sondern auch des scheinbaren, doch unwirklichen Gegensatzes.
Wie die Finsternis das Licht und die Schönheit der nur im Lichte bemerkbaren Gegenstände verbirgt, so verdunkelt das Übel das Gute und alles dem Guten angehörige, das allein im Guten bemerkbar ist. Die alles verdrehende und umkehrende Natur der Beschränkung, die auf jeder Stufe und jedem Beiweg des sterblichen Geistes ist, wird in Christian Science (Christlicher Wissenschaft) bloßgestellt, wie es „Science and Health“ uns offenbart.
Diese Wissenschaft beweist (demonstriert), daß alle Dissonanz, Krankheit und Mißgeschick, Folgen eines begrenzten Sinnes von Gott — die Einheit, Unendlichkeit und Vollkommenheit des Guten — sind, und daß sie allein dieses Unglück in dem menschlichen Bewußtsein, wo es nur scheinbar wirklich ist, aufzuheben vermag.
Je deutlicher die Erkenntnis der unveränderlichen und unsterblichen Tatsache im menschlichen Bewußtsein auftaucht und es sich zeigt, daß Ursache und Erfolg in unzerstörbarem Verhältnis zu einander stehen, desto klarer und gewisser wird das Faktum hervortreten, daß die einzige Intelligenz, die wir Gott nennen, Geist ist, und daß die wahre Intelligenz völlig und nicht nur teilweise gut ist. Dann wird die Allgegenwart des Geistes anerkannt werden, und die entgegengesetzte Materie oder der Fehler ewig abwesend bleiben; dann wird auch der geistige Mensch, das Bild und Ebenbild Gottes, der die Natur und die Eigenschaften des Geistes oder des unveränderlichen Guten besitzt, erscheinen. Dann wird Dualismus gänzlich unbekannt sein, und nichts wird sich zeigen, was dem göttlichen Charakter unähnlich ist. Durch beschränkte Auffassung des Christus scheint er zu kommen und zu verschwinden. Wenn es einmal anerkannt ist, daß Christus die einzige, allgemeine unendliche Offenbarung (Bekanntmachung) Gottes ist, und daß er deshalb allgegenwärtig sein muß, dann werden wir „ihm gleich sein,“ seine Natur und feine Eigenschaften besitzen. Denn besitzt nicht die Rebe dieselbe Natur und Wesenheit, labt sie sich nicht an derselben Quelle und trägt sie nicht dieselbe Frucht als der Weinstock?
Dann wird die traurige Wehklage: „Sie haben meinen Herrn weggenommen; und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben“ nicht mehr ertönen.