Seitdem Christian Science der christlichen Welt die Erfüllung des Gebotes Jesu, „Heilet die Kranken,” als unumgänglich notwendig vorgehalten hat, sind zahlreiche Entschuldigunsgründe vorgebracht worden, die die Vernachlässigung dieses wesentlichen Teiles des Christentums verteidigen sollen. Angesichts dieser Thatsache ist es auffallend, daß eine solche Stellungnahme durch das Beispiel und Wort der Führer und Vertreter des Protestantismus keineswegs gerechtfertigt wird. Es ist bekannt, daß Luther mehrere Male durch seine Gebete mit schneller Heilung von schwerer Krankheit belohnt wurde, und durch praktische Beispiele im Leben hat er keinen Zweifel darüber gelassen, wie er über diesen Punkt dachte. In Dr. A. J. Gordons Werk: „The Ministry of Healing“ (Das Amt des Heilens), lesen wir:
„Von Martin Luther" dessen Prosa einem Heere im Kampfe gleicht,‘ erwarten wir, daß, wenn er überhaupt über diesen Gegenstand spricht, er dieses in kräftiger und entschiedener Weise thut. Martin Luther, dessen Gebete siegreiche Schlachten waren, so daß seine Freunde von ihm sagten, er sei, der Mann, der alles von Gott haben kann,‘ wird auf diesem Gebiete, wenn er es überhaupt betritt, in wirksamer Weise auftreten. In neuerer Zeit gehören Luthers Gebete zu den stärksten Zeugen für die Wirksamkeit des Gebetes zur Heilung des Körpers. Wohl sprach er mit Verachtung von den angeblichen Wundern der damaligen Zeit, aber wenn wir uns von Luther dem Streiter, zu Luther dem Pfarrer, wenden, so finden wir einen Mann, der mit der ganzen Kraft seines germanischen Herzens an Heilung durch Gebet glaubte und dafür eintrat.”
In mehreren Fällen, wo er für Kranke betete, trat völlige Genesung ein. Der bemerkenswerteste ist der von Philipp Melanchthon. Seckendorf berichtet darüber folgendes: „Melanchthon war auf einer Reise krank geworden, und ein Bote überbrachte dem Luther die Nachricht. Als derselbe ankam, war Philipp nahe daran, den Geist aufzugeben. Seine Augen waren gebrochen; er hatte sein Bewußtsein fast ganz verloren; seine Sprache hatte versagt, ebenso sein Gehör; er kannte niemanden, und hatte aufgehört, Nahrung zu sich zu nehmen. Dieser Anblick erfüllte Luther mit der größten Bestürzung, und sich zu seinen Mitreisenden wendend, sagte er:, Heiliger Gott, will mir der Teufel dieses Werkzeug rauben?‘ Darauf zum Fenster gewandt, rief er mit tiefer Inbrunst den Herrn an.” Der Bericht fährt fort. „Hierauf ergreift er Philipp bei der Hand, und die Angst seines Herzens und Gewissens wohl kennend, sagt er:, Sei guten Mutes Philipp, du sollst nicht sterben; darum gräme dich nicht und ziehe nicht selber den Tod herbei!‘ Während er diese Worte sprach, beginnt Philipp wieder zu atmen, neue Lebenskraft zeigt sich, und sich allmählich erholend, gewinnt er schließlich seine Gesundheit völlig wieder. In einem Brief an einen Freund sagt er:, Ich wäre ein toter Mann gewesen, wenn ich nicht durch das Kommen Luthers vom wahrhaftigen Tode aufgeweckt wäre!‘ Luther äußert sich in derselben Weise in Briefen an seine Freunde:, Philipp ist in guter Gesundheit nach einer solchen Krankheit, denn sie war schlimmer als ich dachte. Ich fand ihn tot, aber durch ein offenbares Wunder Gottes ist er dem Leben zurückgegeben worden.‘”
Dies ist das Zeugnis des großen Reformators, und wenn nötig, könnte es durch andere bemerkenswerte Beispiele von seiner Macht im Gebete für die Kranken bekräftigt werden. Der Fall des Myconius ist bekannt, der selber darüber schrieb: „Im Jahre 1541 durch das Mandat, Gebet und Brief des hochwürdigen Vaters, Luther, vom Tode auferweckt.”
Luther berichtet über dieses Ereignis: „Myconius, der ehrwürdige Superintendent von Gotha, war in den letzten Stadien der Schwindsucht und hatte schon die Sprache verloren. Luther schrieb ihm, er dürfe nicht sterben: ,Möge Gott mich nicht hören lassen, so lange ich lebe, daß du tot bist, sondern dir gewähren, daß du mich überlebst. Hierum bete ich ernstlich, und mein Gebet wird erhört werden, Amen.‘, Ich war so entsetst,‘ sagte Myconius später, ‚als ich las, was der gute Mann geschrieben hatte, daß es mir schien, als ob ich Christus sagen hörte: ,Lazarus, komm heraus,‘ und seit der Zeit wurde Myconius durch die Macht der Gebete Luthers vor dem Grabe bewahrt, und starb erst nach dessen Tode.” (Luthard: Sittliche Wahrheiten des Christentums, Seite 298.)
Das kühne Löwenherz des Reformators empörte sich gegen die plumpen Wunderwerke des Antichristen; aber das gläubige Herz des Christen nahm die Verheißungen Gottes beim Wort, bestand darauf und bewies sie als wahr, und er gewann, was er für den größten Triumph ansah: nämlich die Schrift thatsächlich bewiesen zu haben, so daß er von einem Bibeltext sagen konnte: „Ich weiß, daß dies wahr ist.”
So sehen wir, daß Luther seinen Nachfolgern ein Beispiel völligen Vertrauens auf Gott, als dem wahren Arzte und Heiler von Krankheit, gesetzt hat, und wir können ohne Bedenken schließen, daß eine abfällige Kritik solchen Vertrauens nicht seine Billigung finden würde. Diese Vorfälle in seinem Leben sind im Licht der Christian Science von Bedeutung, denn sie zeigen, daß er mehr besaß, als was man gewöhnlich unter „Glauben” versteht; seine Gebete waren nicht ein bloßes Anflehen, sie erhoben ihn zu einer geistigen Höhe, von der er zu den Kranken mit Autorität sprach, und ihre Gesundung mit Sicherheit erwartete. Seine an Melanchthon gerichteten Worte „Ziehe nicht selber den Tod herbei,” beweisen, daß ihm der Einfluß des menschlichen Gemütes auf den Körper nicht verborgen war, und er die Notwendigkeit, dasselbe von Furcht und Niedergeschlagenheit zu befreien, erkannte.
Das oben erwähnte Werk des Dr. Gordon enthält zahlreiche Fälle, die diesen Gegenstand illustrieren; einige davon mögen hier Erwähnung finden: Richard Baxter schreibt: „An der einen Mandel im Halse entstand eine Geschwulst, rund wie eine Erbse, zuerst nicht größer; schließlich wuchs sie zu der Größe eines kleinen Knopfes an und war hart wie ein Knochen. Die Furcht, daß es sich als Krebs herausstellen würde, quälte mich mehr als das Ding selber. Ungefähr ein Vierteljahr lang wandte ich verschiedene Arten von Medizin an, aber vergeblich. Zuletzt schlug mir mein Gewissen, weil ich so vieler Fälle, in denen ich durch Gebet Heilung von Krankheit fand, nicht gedacht hatte; und zwar hatte ich lediglich aus Hochmut derselben keine Erwähnung gethan, damit nicht gesagt würde, daß ich mich besonderer Gnade von Gott rühmte. Gerade an diesem Morgen wollte ich über diesen Gegenstand predigen und der Stimme des Gewissens gehorchend, sagte ich:, Wie oft habe ich erfahren, daß das Gebet des Glaubens die Kranken geheilt hat, wenn alle Ärzte sie für tot aufgegeben haben,‘ mit weiteren Anführungen, die hier nicht erwähnt sind. Als ich zur Kirche ging, hatte ich meine Geschwulst wie vorher (denn ich sah sie oft im Spiegel, und fühlte sie beständig). Sobald ich aufhörte zu predigen, fühlte ich, daß sie verschwunden war, und zum Spiegel eilend, konnte ich nicht einmal eine Spur, Narbe oder Zeichen an der Stelle, wo sie sich befunden hatte, entdecken, und ich wußte nicht, was daraus geworden war. Ich bin sicher, daß ich sie weder verschluckte noch ausspie, und es ist unwahrscheinlich, daß sie durch irgend eine natürliche Ursache aufgelöst war, da sie ein Vierteljahr lang hart wie ein Knochen gewesen war trotz aller Lösemittel. Ich möchte dieses besonders erwähnen, denn es ereignete sich genau so, wie ich es hier geschrieben habe. Viele solch wunderbare Gnadenerweisungen sind mir und anderen in Erfüllung von Gebeten zu teil geworden.”
Über Edward Irving enthält das Buch folgendes: „Er war kein Theoretiker. Nicht nur ermahnte er seine Gemeinde beständig, im Glauben an Jesus für Körper und Seele zu leben, sondern er hat uns auch berichtet, wie er sich auf den Herrn warf, als mächtige Krankheit ihn in Fesseln geschlagen hatte; und wie sein Glaube bis aufs äußerste geprüft wurde, bis er mit schwimmendem Haupte, in Schweiß gebadet, sich an der Kanzel festhielt und darauf wartete, daß Gott vor den Augen der Leute sein Wort „Das Gebet des Glaubens soll die Kranken heilen,” erfüllen würde; und wie sein Erlöser zuletzt ihm zu Hilfe kam, die Fesseln der Krankheit löste, und ihn in den Stand setzte, an dem Morgen mit solcher Kraft des Geistes zu sprechen, wie er es selten erfahren hatte.”
Wir können nicht umhin, die kindliche Einfalt und Eingebung dieser Männer zu bewundern, welche den Feind überwanden durch einen Glauben, der noch nicht die Erkenntnis von der Unwirklichkeit der Krankheit erreicht hatte; wir wissen, daß solche Treue und Mut, auf die Arbeit in Christian Science angewandt, von schnellem Fortschritt begleitet sein wird und uns über jedes Hindernis, welches sich uns entgegen zu stellen sucht, hinweg tragen wird; und unbegrenzte Dankbarkeit schulden wir in der That ihr, die den Weg so deutlich gemacht hat, daß der Sieg über Krankheit durch das Gebet wahrer Erkenntnis nicht mehr zu den Ausnahmen gehört.