Der Beweis für die Liebe ist Gehorsam, und wer liebt wird gehorchen. „Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote,” war die einfache, jedoch höchste Probe, auf die Jesus seine Jünger stellte. Gewissenhafter Gehorsam gegen alle seine Gebote würde der überzeugendste Beweis ihrer Liebe und Treue zu dem sein, der so viel für sie und für die Welt getan, solch große Opfer für die sündige und leidende Menschheit gebracht, und dessen lauteres und selbstloses Leben den Weg der Erlösung gezeigt hatte. Seine Lehren wiesen den Weg zu dem geistigen Bewußtsein von Gott und dem Menschen. Dies war seine wahre Natur, und wenn sie ihn liebten, so würden sie danach ringen, das reine und selbstlose Leben zu führen, welches er lebte, und die Menschheit zu segnen wie er sie gesegnet hatte. Ihr Eifer und Ernst würde im Verhältnis zu ihrer Liebe stehen. Wenn dieselbe schwach wäre, so würden auch ihre Bemühungen schwach sein, wenn jedoch stark, so würde ihr Ringen und Streben denselben entsprechen.
Der Meister erklärte, daß nicht nur seine Jünger, sondern die ganze Welt zu allen Zeiten nach demselben Maßstab gerichtet werden sollten. „Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist’s, der mich liebet,” war der aufrichtige Ausspruch dessen, der als Beweis der Liebe nichts Geringeres als Gehorsam annehmen wollte. Ein bloßes Bekennen von seiten seiner Nachfolger genügte nicht. Die Frage lautete nicht: Legt er ein gutes Bekenntnis ab? sondern: Ist er gehorsam? Bestätigt sein Handeln die Wahrheit seiner Worte? Fehlt dieser Beweis, so ist ein bloßes Bekennen bedeutungslos. Sich zu erklären für etwas, was man nicht ist, ist wertlos, schlimmer noch, es macht zum Heuchler. Der Wert des Baumes wird an der Qualität seiner Frucht erkannt, und der Baum, welcher keine Frucht trägt, wird abgehauen. Üppige Belaubung, ja selbst duftende Blüten, haben kein Gewicht, wenn die Zeit der Ernte keine Frucht hervorbringt.
Die Art und Weise, wie ein Mensch seine Arbeit verrichtet, zeigt in allen Lebenslagen deutlich, ob er dieselbe liebt oder ob ein anderes Motiv ihn treibt. Ist er nachlässig und gleichgültig und geneigt, seine Arbeit bei jeder Gelegenheit, wo er der Entdeckung zu entgehen hofft, oberflächlich zu verrichten, so ist dies ein sicheres Zeichen, daß ihn nicht Liebe zu dem, was er unternommen hat, beseelt. Wer dagegen sein Bestes zu tun versucht, ohne sich durch den Gedanken, daß dieser oder jener Fehler nicht entdeckt werden wird, irgendwie beeinflussen zu lassen, der beweist, daß er in dem Bewußtsein, seine Arbeit gut verrichtet zu haben, Freude und Befriedigung findet.
Wer seine Arbeit nicht liebt, wird sie nicht einmal so gut verrichten, als er es zu tun vermöchte, und sie halb liegen lassen, wenn es ihm freisteht. Solch ein Mensch ist niemals wirklich erfolgreich. Er mag wohl Resultate gewisser Art zu stande bringen, aber nichts treibt ihn zur Vollendung seiner Arbeit an. Häufige Bemühungen, die Gutes versprachen, mögen aus seinem Lebenwege liegen, aber man wird nicht von ihm sagen können, daß er wirklichen Erfolg gehabt hat und daß er die auf ihn gesetzten Erwartungen erfüllt hat.
Der nur wird wahren Erfolg haben, welcher seine Arbeit liebt, und seine Liebe und Aufrichtigkeit durch Erfüllen jeder ihm durch seinen Beruf auferlegten Verpflichtung bestätigt. Wo er einen Mangel in seiner Arbeit sieht, da arbeitet er getreulich, bis er ihn entfernt hat. Der Gedanke, daß eine Unvollkommenheit möglicherweise nicht bemerkt werden könnte, beeinflußt ihn nicht im geringsten. Das Maß von Vollkommenheit, welches er sich selber setzt, muß erreicht werden. Es treibt ihn, sein Bestes zu tun, und er ruht nicht eher von seiner Arbeit, als bis er dieselbe anschauen kann mit der ehrlichen und gewissenhaften Überzeugung, daß er sie wohl verrichtet hat. Nicht der materielle Entgelt, welchen er nach Vollendung seiner Arbeit erwartet, ist sein Ziel; nein, sein Streben ist auf das Erreichen eines Ideals gerichtet.
Die Liebe, der Ernst, die Wachsamkeit und der beharrliche Fleiß, welche Erfolg in weltlichen Dingen sichern, sind auch die Eigenschaften, welche das Leben und Wirken des Christen erfolgreich machen. Jesus sagte: „Die Kinder dieser Welt sind klüger denn die Kinder des Lichtes.” Die Kinder dieser Welt streben nach Erfolg. Verschiedenartige Motive treiben sie an, Motive, die oft äußerst selbstsüchtig sind — aber sie haben ein bestimmtes Ziel im Auge und suchen es zu erreichen. Für den Mann, der wirklich im Ernst und fest entschlossen ist, sein Vorhaben durchzusetzen, ist kein Opfer zu groß und keine Arbeit zu mühsam. Scheinbar unüberwindliche Hindernisse verstärken nur sein Streben und befestigen seinen Vorsatz.
Das Leben eines Christen wird gewöhnlich als ein mehr oder weniger negativer Zustand angesehen. Ein sich des Bösen enthalten wird häufig für Charaktergüte gehalten. Der beste Mensch ist der, welcher am wenigsten Böses tut, und er erreicht das Himmelreich, nicht weil er viel Gutes getan hat, sondern weil er keine Strafe für begangenes Unrecht verdient. Solch ein Glaube führt den Menschen dahin, sich als Christ zu bekennen, nur um der ewigen Verdammnis zu entfliehen. Wenn es möglich wäre, der Strafe für Unrechttun zu entgehen, so würde solch ein Mensch sich nicht einmal als Christ bekennen, weil er keinen Beweggrund dazu hätte.
Christian Science lehrt, daß wahres Christentum mehr ist als nur ein des Bösen sich enthalten; es ist Tätigkeit im Guten. Der sterbliche Mensch kann ein Sünder sein, nicht weil er nichts Böses tut, sondern weil er nichts Gutes tut. Diese Tatsache wird durch das Gleichnis von den Pfunden klar beleuchtet. Der Diener, welcher das eine Pfund erhalten hatte, wurde bestraft, weil er nichts Gutes getan hatte, weil er das, was ihm anvertraut war, nicht gebraucht hatte. Sein Ermangeln, Gutes zu tun, wurde ihm als etwas Böses angerechnet, hierfür verdiente er Strafe und er wurde bestraft. Es war keine Entschuldigung, daß er nicht so viele Pfunde als die andern Diener erhalten hatte. Auch genügte es nicht, daß er sein Pfund sicher bewahrt hatte und es seinem Herrn zurück gab. Er hatte es nicht gebraucht; er war nicht ein tätiger Diener gewesen und daher wurde ihm das, was er hatte, auch noch genommen. Dieses Gleichnis lehrt, daß es sowohl Unterlassungssünden als Begehungssünden gibt, und daß der sterbliche Mensch für die einen sowohl wie für die andern büßen muß.
Die heilige Schrift ist voll von Sprüchen wie diese: „Wende dich vom Bösen und thue Gutes.” „Hoffe auf den Herrn und thue Gutes.” „Wer Gutes thut, der ist von Gott.” „Wer da weiß Gutes zu thun, und thut's nicht, dem ist's Sünde.” Diese Erklärungen zeigen deutlich, daß das wahrhaft christliche Leben, welches das Himmelreich gewinnt und es im Innern findet, nicht ein Leben von Untätigkeit, sondern äußerst tätig im Wohltun ist.
Es wird uns erzählt, daß einst ein junger Mann Jesum fragte, was er tun sollte, um das ewige Leben zu ererben. Als ihm die Antwort erteilt wurde, daß er die Gebote halten sollte, erwiderte er stolz, daß er dies von Jugend auf getan hätte. Es heißt weiter, daß, als Jesus ihn ansah, liebte er ihn. Der Meister liebte die Charaktergüte und Reinheit, welche er durch Befolgen des mosaischen Gesetzes gewonnen hatte, aber dies war nicht genug; es fehlte noch etwas, und er sagte zu dem Jüngling: „Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe was du hast, und gieb's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.” Dieser Jüngling hatte seine Liebe zu Gott dadurch gezeigt, daß er sich des Bösen enthielt; jetzt wurde die Anforderung an ihn gestellt, sie durch Gutes tun zu beweisen. Nichts als die Gerechtigkeit des Rechttuns konnte ihn vollkommen des ewigen Lebens würdig machen.
Jesus erklärte, daß er nicht gekommen sei, das Gesetz und die Propheten zu zerstören, sondern das Maß von Segen, das den Menschen durch sie zu teil geworden, bis zum Überfließen zu füllen. Er erschien, um eine höhere Bedeutung von Rechtschaffenheit und ein reineres Motiv für Rechthandeln zu bringen. Paulus sagt: „Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubet, der ist gerecht.”
Das Gesetz Moses’ dient als Verweis für die Sünde, und der erste Schritt des sterblichen Menschen nach dem Guten hin ist ein sich Abwenden von der Sünde, der er nachgeht; aber dieses Abwenden ist nicht das positive Gute, es macht nicht das Himmelreich aus, — die Herrschaft ewiger Harmonie im menschlichen Bewußtsein. Weissagungen weisen auf die geistige Tatsache des Seins hin und offenbaren die Möglichkeit, dieselbe zu erreichen. Der Christus bringt das bewußte Besitzen des Guten, welches die Tätigkeit des göttlichen Geistes zum Ausdruck bringt, und in diesem Werk wird das Gesetz und die Propheten erfüllt. Dann ist der Mensch gut, nicht weil er nichts Böses tut, sondern weil er Gott widerspiegelt.
Der wahre Christ handelt nicht recht, weil er Strafe fürchtet, sondern weil er das Rechte liebt und Unrecht verabscheut. Wenn das sittliche Gesetz unbekannt wäre, so würde hierdurch seine hohe Lebensauffassung nicht im geringsten herabgesetzt. Er würde nicht aufhören, Gutes zu tun; er würde darin fortfahren und daher nichts Böses tun. Das Gesetz ist nicht für den Gerechten gemacht, sondern für die Gesetzlosen und Ungehorsamen. Das „Du sollst nicht” des mosaischen Gesetzes hat keine Schrecken für den, der das Rechte tut, einfach weil es recht ist. Er wird durch ein höheres Motiv als Furcht vor Strafe oder Hoffnung auf zukünftige Belohnung angetrieben. Er liebt das Gute und beweist dies durch Gutes tun. Nur für den, welcher glaubt, daß er im Bösen Genuß findet, sind die Anforderungen des sittlichen Lebens eine Fessel, während sie dem, der das Gute über alles liebt, die größte Freiheit verleihen. Je mehr er liebt, desto mehr tut er und desto größer ist seine Freude am rechttun. Das Christentum erhöht seine Freuden in hundertfältigem Maße.
Die Bergpredigt ist ein Gebot zu handeln. Die Verheißung von Belohnung gilt nicht dem, der nichts Böses tut, sondern dem der Gutes tut. Liebe zu Gott und dem Menschen ist der Text dieser Predigt. Diese Liebe ist tätig. Sie gibt sich selbst für andere und findet größere Seligkeit im Geben als Empfangen. Der menschliche Begriff von Liebe hält sich von den Unwürdigen zurück, aber die Liebe, die aus Gott kommt, wartet nicht darauf, daß sie empfängt ehe sie gibt. Sie spendet, auch wenn sie nichts zurück erhält. Jesus sagte: „Und so ihr liebet, die euch lieben, was Danks habt ihr davon? Denn die Sünder lieben auch ihre Liebhaber. Und wenn ihr euren Wohlthätern wohlthut, was Danks habt ihr davon? Denn die Sünder thun dasselbige auch.” Das Lieben und Wohltun muß sich auch auf die erstrecken, welche hassen und Unrecht tun. Es ist nicht genug, daß wir nicht hassen und nichts Böses begehen, wir müssen lieben und Gutes tun.
Des Christen Liebe zu Gott kommt in seiner Liebe zum Menschen zum Ausdruck. „Wer seinen Bruder nicht liebet den er siehet, wie kann er Gott lieben, den er nicht siehet?” Wer seinen Nächsten liebt, wird ihm wohltun und kein Unrecht zufügen. Er wird ihm helfen, nicht ihn hindern. Er wird es ihm leicht machen, recht zu handeln. Er wird alles zu vermeiden suchen, was einem andern zu einem Stein des Anstoßes werden konnte. Er wird nicht richten noch kritisieren, sondern lieben und loben. Er wird ermutigende Worte sprechen und eine helfende Hand bieten. Seine Güte wird an seinem Tun erkannt werden. Werke mehr als Worte werden seine Liebe zu Gott und den Menschen beweisen.
Der Grund, weshalb die Menschen nicht erfolgreicher im Gutes tun sind, liegt vielleicht darin, daß es an dem herzlichen und aufrichtigen Eingehen auf die Anforderungen des Christentums fehlt. Wenn der Ruf zum Handeln kommt, so zeigt sich nur zu oft ein Suchen nach genügenden Gründen zum Nichthandeln. Wohl ist der Wunsch da, zu handeln und Bereitwilligkeit, zuweilen zu handeln, aber die Zukunft scheint bessere Gelegenheit als die Gegenwart zu bieten.
Wenn im menschlichen Herzen eine echte Liebe zum Christentum wohnt, so ist die Gegenwart die rechte zum Gutes tun. Das „Jetzt” ist immer die Zeit für das, was der Mensch wirklich liebt. Die Neigung zu vernachlässigen und aufzuschieben, deutet immer auf einen Mangel an Liebe. Was das Denken belebt und die Liebe zum Guten stärkt, erleichtert das Gelingen im Rechthandeln. Erfolg wächst mit dem Wachsen der Liebe. Erfolg ist die Frucht von Gehorsam und Gehorsam ist die Frucht der Liebe.
Es fragt sich, ob der welcher nicht liebt wirklich gehorchen kann. Wohl mag er den Buchstaben des Gesetzes beobachten aus Furcht vor Strafe, aber wenn er das Gute nicht liebt, so wird er nicht tätig im Gutes tun sein. Er würde schwerlich für einen erfolgreichen Verkünder eines Evangeliums des Handelns angesehen werden.
Das Gesetz des unbegrenzten Fortschrittes verlangt nicht nur, daß der Mensch vom Bösen abläßt, sondern auch daß er all das Gute tut, was im Bereich seiner Kräfte liegt. Das Abkehren vom Bösen ist nur der erste Schritt zum Reich der Harmonie. Es ist das Tun des Guten, welches Frieden, Freude und Befriedigung bringt, es ist das Tun des Guten, was den Menschen befreit von der Herrschaft der Sünde und ihn des Himmelreiches würdig macht.
Wie betätigen wir als Christian Scientisten unsere Liebe für unsere Fahrerin, die Entdeckerin und Begründerin der Christian Science? Begnügen wir uns mit Versicherung von Liebe und Treue, oder tun wir das, was ihrem Herzen die größte Freude bereitet? Leben wir Christian Science? Lieben wir einander? Heilen wir die Kranken, die Sünder? Bringen wir Trost den Traurigen? Verleugnen wir uns selbst, tragen wir unser Kreuz, und folgen wir der Christusidee? Achten wir auf ihren weisen Rat und gehorchen wir bereitwillig, wenn sie den Weg zur Harmonie und Erfolg zeigt? Wenn wir dies tun, so sind wir treue Christian Scientisten, und Taten mehr als Worte bezeugen unsere Liebe für sie, welche die Wissenschaft des Christentums, als Erlöserin von Sünde und Krankheit, enthüllt hat.
