Der Mensch in Christian Science.
Wenn wir uns nun nach der Erklärung des Wesens Gottes zu der Frage: Was ist der Mensch? wenden, so finden wir, daß nach allgemein gängiger Anschauung der Mensch zwei Naturen hat — eine geistige, in Gottes Ebenbild geschaffen, und eine materielle, das gerade Gegenteil der ersteren; aber keine Philosophie ist jemals im stande gewesen diese Widersprüche zu vereinigen. Niemand hat bewiesen, wie Gott uns zwei Naturen hat verleihen können, die eine Seiner eigenen gleich und die andere das gerade Gegenteil davon. Ferner, wenn der Mensch zwei verschiedene Naturen hätte, so wäre er nicht individuell; und der Begriff der Individualität, das Grundelement und Ausgangspunkt des Bewußtseins wäre damit umgestoßen. Die heilige Schrift allein löst diese Schwierigkeit, indem sie „dem Fleische” jede Existenzberechtigung abspricht. Wir sollen „den alten Menschen, der durch Lüste im Irrtum sich verderbet” ablegen und „den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit” anziehen, denn nach der Schrift, können wir nur durch geistigen Sinn zu den wahren Tatsachen des Seins gelangen. Diese beiden entgegengesetzten Naturen: „das Fleisch.” welches „wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch” gelüstet, stellen zwei einander entgegengesetzte Bewußtseinszustände dar, von denen der eine wirklich und der andere unwirklich sein muß; denn diese Bewußtseinszustände sind zwei feindliche Zeugen, deren Zeugnis einander widersprechen. Wenn das eine wahr ist, so ist das andere notwendigerweise falsch. Wenn der materielle Sinn die Wahrheit spricht, so ist der Mensch sterblich; wenn wir dem geistigen Sinn Glauben schenken, so ist er unsterblich. Welches von beiden sollen wir glauben? Nach der Bibel zeigen uns die physischen Sinne nichts vom Leben, denn „fleischlich gesinnet sein ist der Tod, und geistlich gesinnet sein ist Leben und Friede.” Sie zeigen uns nichts von unvergänglicher, wirklicher Substanz: „Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.” Sie sagen uns nichts von wirklicher Intelligenz, von dem göttlichen Geiste, denn: „der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Thorheit.” Wenn sie uns also nichts von Leben, Substanz und Intelligenz mitteilen können, was für einen Wert hat dann ihr Zeugnis? Liegt es nicht auf der Hand, daß, wenn wir das Wesen des Menschen erforschen wollen, wir nach seinem Ursprung im Geist und nicht in der Materie nachforschen müssen? Wenn der Mensch seine Natur als geistig und nicht materiell erkennt und weiß, so wird er befriedigt sein; denn er wird in Gottes Ebenbild erwachen; er wird sein Einssein mit seinem göttlichen Prinzip und sein Erbteil als Gottes Kind gefunden haben.
Christus Jesus als Autorität.
Es gibt nur einen Menschen, von dem wir wissen, daß er das Problem des Seins gelöst hat, nämlich Jesus Christus, und in seinem Leben und Werk finden wir das einzige Beispiel, welches den Sterblichen zeigt, wie sie leben müssen, um mit dem göttlichen Prinzip in Einklang zu kommen. Es liegt auf der Hand, daß von einem materiellen Standpunkt aus Jesu ganzes Lebenswerk unerklärlich und nicht glaubhaft ist. Es besteht von Anfang bis zu Ende in einem konsequenten Durchbrechen von dem, was wir als materielle Gesetze angesehen haben, einem Beweisen der Macht des Geistes. Seine Worte hatten für das Volk, ja sogar für seine Jünger nur wenig Bedeutung, weil sie versuchten, dieselben auf ihrer eigenen materiellen Denkstufe zu verstehen. Wenn er ihnen sagt, sie müßten sein Fleisch essen und sein Blut trinken, so meint er offenbar damit, daß sie den geistigen Blick, den er besaß, gewinnen, oder sonst ihn und seine Worte verwerfen müßten. Den Schlüssel zu seiner ganzen Philosophie gibt er seinen Jüngern, wenn er sagt: „Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch [die Materie] ist nichts nütze.” Jesus wird verstanden, seine Werke wiederholt werden und sein Reich — Gottes Reich — wird kommen, in dem Verhältnis, in welchem seine durchaus geistige Philosophie verstanden und angewandt werden wird. Auf Jesu Leben und Lehre als Beispiel und Voraussetzung, und auf die Betätigung dieser Lehre durch die Tatbeweise der Gegenwart fußend, wiederholt Christian Science einfach mit besonderem Nachdruck die Lehre der heiligen Schrift, daß Gott die eine ursprüngliche, unmittelbare und allein gültige Ursache ist, und daß diese Ursache unendlicher Geist und unendlich gut ist. Die ganze Lehre von Christian Science bis zu ihren äußersten Schlußfolgerungen geht einfach darauf hinaus zu zeigen, was das Wesen dieser einen unendlichen Ursache ist, und wie wir durch das geistig wissenschaftliche Gesetz von Ursache und Wirkung beweisen können, daß dieses unendliche Gute die einzige herrschende Macht ist.
Mit kurzen Worten: Christian Science erklärt, daß das Christentum Wissenschaft ist; daß die Gedankenmacht, welche sie offenbart, die Macht Gottes, nicht menschlicher Wille oder Suggestion ist; und daß die Schöpfung nur der Ausdruck von Gottes Gedanken und daher ihrem wahren Wesen nach völlig geistig und vollkommen ist. Hieraus folgt, daß die Materie und das Böse nicht Ausdrücke von Gottes Gedanken sind, daß sie keinen Platz in Seiner Schöpfung haben, und daher weiter keine Macht oder Wirklichkeit besitzen, als was ihnen von der falschen menschlichen Anschauung zugeschrieben wird. Diese materielle Anschauung durch geistige Erkenntnis in die rechten Bahnen zu leiten und dieselbe mit ihren Wirkungen in der Form von Sünde, Krankheit und Tod zu vernichten, ist die Aufgabe, welche den Christian Scientisten gestellt worden ist.
Gerechtigkeit.
Diese Lehre ist christlich, weil sie alle Gerechtigkeit erfüllt, alles Wesentliche des historischen Christentums erhält und alle Ideale neu kräftigt und belebt. Sie ist wissenschaftlich als Offenbarung eines Prinzips, welches vernunftgemäß begriffen und nach bestimmten Gesetzen praktisch bewiesen werden kann. Wir wollen die praktische Anwendung von Christian Science ein wenig eingehender betrachten, um zu sehen, wie dies alles notwendig richtig sein muß.
Wir wissen, daß der offenbare Zweck aller Religion die Begründung des Rechtes, der „Gerechtigkeit” ist; dies ist das allgemein anerkannte Ziel des Christentums; es war der Inhalt der Botschaft jedes alten Propheten, und der Inbegriff der Lehre Jesu. Wir fragen daher, was ist Gerechtigkeit und wie ist sie zu erlangen?
Gerechtigkeit bedeutet das Herrschen des Rechts. Die Gerechtigkeit, welche Jesus forderte, welche die der Schriftgelehrten und Pharisäer übertreffen muß, um das Reich Gottes zu schauen, bedeutet viel mehr als ein bloß äußerlich korrekter Lebenswandel. Die „Gerechtigkeit Gottes” kann nicht weniger bedeuten als ein rechtes Verhältnis zu Gott, zum Menschen und zur Schöpfung; und dies kann nur dann erreicht werden, wenn wir das Gesetz verstehen, welches das Verhältnis des Menschen zu Gott und Seiner Schöpfung beherrscht. Denn Gerechtigkeit oder Recht bedeutet ein im Einklang stehen mit den wirklichen Bedingungen des Seins; während Ungerechtigkeit das Fehlen dieses Einklangs ist.
Wir wollen dies an einem Beispiel veranschaulichen. In einer der ersten Vermessungen wurde die Grenzlinie eines Bezirks im Staate New York falsch aufgenommen, weil der Feldmesser beim Aufsuchen der Nord-Südlinie einen Fehler machte. Eine Nord-Südlinie ist jedoch etwas Festes, Unabänderliches, bei Messungen etwas definitiv Wirkliches; d. h. sie ist auf jedem Punkte der Erde eine gerade Linie, deren Verlängerung durch die Pole hindurchgehen würde, und die kürzeste Verbindungslinie derselben darstellt. Hieran kann nichts geändert werden, selbst wenn jeder Mensch glaubte, daß irgend eine andere Linie die richtige Nord-Südlinie wäre; die wahre Linie bleibt eine unveränderliche Tatsache. Dem Feldmesser gelang es nicht, mit derselben in Einklang zu kommen, seine Arbeit war daher unrichtig. Sein Fehler war der Anlaß zu Grenzstreitigkeiten und Schwierigkeiten, welche jahrelang dauerten und schließlich nur durch besondere Gesetzgebung beigelegt wurden. Der Feldmesser war in seinem eigenen Beruf im Unrecht, weil er die seiner Arbeit zu Grunde liegenden Bedingungen der Wirklichkeit nicht erfüllte. Um recht zu arbeiten, muß der Feldmesser erst die Nord-Südlinie richtig auffinden und festlegen, und dann nach den Regeln der Mathematik seine Linien. Winkel und Entfernungen messen; auf die Weise gewinnt er das Richtige, das Recht, auf diesem Gebiete praktischer Geschäfte.
Der Musiker weiß, daß die Musik bestimmten Gesetzen der Melodie, der Harmonie, des Taktes und des Ausdrucks unterworfen ist. Wenn er diese Gesetze versteht und ihren Anforderungen genügt, so gewinnt er das Recht, das Rechte, im Reich der Musik. Gleicherweise liegen allen menschlichen Zuständen und Erfahrungen die ursprünglichen geistigen Gesetze des Seins zu Grunde, die wirklichen Bedingungen, welche in Gottes Weltall herrschen; und diese Bedingungen existieren in der Natur der Dinge; nicht als Resultat der Bestimmung einer persönlichen Gottheit, sondern als Ausdruck eines alles beherrschenden, göttlichen Prinzips. Die geistigen Gesetze des Seins sind das, was sie sind, weil sie ein Ausdruck des göttlichen Wesens sind; gerade wie die Farbengesetze das sind, was sie sind, weil das Licht das ist, was es ist. Sie stehen hoch über allen Ansprüchen und vermeintlichen Eigenschaften der Materie, setzen dieselben außer Kraft und drücken die Natur Gottes, des Geistes, allein aus. Diesen Gesetzen sich fügen, ihre Anforderung verstehen und denselben gerecht werden, heißt die Gerechtigkeit, das Recht, des Reiches Gottes erfüllen.
Gerechtigkeit bedeutet also in jeder möglichen Anwendung des Wortes ein sich Anpassen an ein Prinzip und Gesetz, welche nicht nur geglaubt, sondern verstanden werden müssen; und die göttliche Gerechtigkeit, auf welche die Welt wartet, für welche die Heiligen Gottes arbeiten und welche Jesus lehrte, wird dadurch gewonnen, daß man das göttliche Prinzip des Seins und das Gesetz, durch welches dasselbe ausgedrückt wird, erkennt. Dieses eine vollkommene, alles einschließende Prinzip kann nur der unendliche Geist, Gott, sein; und Sein Gesetz kann nur die Macht unwandelbarer Liebe offenbaren. Was auch immer das Christentum richtig auslegt, wird die folgenden beiden Dinge tun: es wird das Wesen des göttlichen Prinzips so klar hinstellen, daß die Menschen nicht nur glauben, sondern auch verstehen, und so in jeder Einzelheit des Lebens Gottes Anforderungen genügen werden; und zweitens wird es durch die praktischen Tatbeweise, welche Wesen und Wirken des göttlichen Prinzips zeigen, zu der Vernichtung alles Bösen, ob Sünde, Krankheit oder Tod, führen. Was auch immer dieses vollbringen wird, ist Christentum, was hierzu nicht im stande ist, genügt den Anforderungen des Christentums nicht.
Diesen letzten Gedanken wollen wir noch einmal in anderer Form als Voraussetzung aufstellen. Gerechtigkeit fordert zweierlei: (1) ein Prinzip und ein Gesetz, welche nicht nur geglaubt, sondern verstanden werden, mit anderen Worten eine Wissenschaft; und (2) daß die logische und notwendige Anwendung dieser Wissenschaft schließlich in der Beseitigung alles Irrtums, der Sünde, der Krankheit und des Todes enden muß. Eine Lehre, welche diesen Anforderungen nicht genügt, gibt die Lehre Christi nicht wieder. Eine solche, welche dieselben erfüllt, ist die Lehre Christi; und Christian Science tut dies. Sie steht durchweg auf dem Standpunkt, daß alle Macht und alles wirkliche Dasein Gott angehören; und umgekehrt, daß die Materie und das Böse machtlos und unwirklich sind. Keine Stellung, die weniger radikal und entscheidend ist als diese, kann uns einen Weg zeigen, auf dem wir der scheinbaren Macht des Fleisches und der Sünde entrinnen, und die Forderung Jesu an seine Nachfolger vollkommen zu sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, erfüllen können.
Die einzige wissenschaftlich gültige Probe dieser einfachen, aber radikalen Lehre ist die praktische Erfahrung. Christian Science hat ihren Weg so weit gewonnen und sich die Treue zahlreicher Anhänger gesichert durch schlagende Beweise davon, daß die Erkenntnis Gottes und Seines Gesetzes die Machtlosigkeit und Unwirklichkeit aller Ansprüche der Materie und des Bösen an den Tag legt. Und auf ihre Macht, diese Tatsache in beständig fortschreitendem Maße, durch Heilung von Krankheit und Zerstörung der Sünde zu beweisen, gründet sie ihre Hoffnung und Zuversicht auf universelle Anerkennung und Annahme seitens der Menschheit.
Sünde und Erlösung.
Man könnte nun vielleicht fürchten, daß diese Lehre von Christian Science der Sünde unter dem Vorwande, daß sie unwirklich sei, freieren Spielraum einräumen würde. Diese Besorgnis entbehrt jedoch jeder Begründung, denn keine Lehre verfolgt mit solch unerbittlicher Beharrlichkeit und Wirksamkeit jedes Laster, Fehler und Unvollkommenheit, bis alles, was dem göttlichen Ebenbilde ungleich ist, zerstört ist. Schon eine geringe Erkenntnis und Erfahrung in Christian Science zeigt, wie in jedem Falle, wo man dem Bösen nachgibt, sichere und schnelle Strafe folgt. Wissentlich einer Versuchung nachzugeben, bedeutet unser Bewußtsein dem hypnotischen Bann, in welchem das Böse wirklich erscheint, zu unterwerfen, unsere Aufgabe verwickelter und schwieriger machen und uns mit neuen Fesseln in unserem Ringen nach der Freiheit in Christus belasten.
Christian Science erweckt nicht nur jedes Verlangen nach Freiheit in der Gerechtigkeit, im Recht tun zu suchen, sondern gibt auch der Hoffnung, daß wir schon in der Gegenwart Vollkommenheit erlangen können, neues Leben. Das, was wir zu überwinden haben, sehen und fühlen wir nicht mehr als eine furchtbare, geheimnisvolle Macht, sondern nur als einen falschen menschlichen Begriff, den wir als Trug bekämpfen und überwinden können. Wer Christian Science annimmt, hat keine Entschuldigung mehr, den Angriffen des Bösen nachzugeben; er hat keine Gelegenheit mehr zu sagen: „Das Weib ... gab mir ... und ich aß”; oder „die Schlange betrog mich also, daß ich aß”; er kann nur noch die Torheit, einem Truge zu glauben und nachzugeben, welche sichere Strafe nach sich zieht, offen bekennen.
Mrs. Eddy sagt über diesen Punkt in Science and Health, S. 339: „Dem Übeltäter wird durch die Lehre der Wissenschaft, daß das Böse die Unwirklichkeit des Seins ist, nicht mehr Freiheit und Ermutigung zum Übel tun gewährt; denn der Sünder macht aus der Sünde eine Wirklichkeit — er macht das wirklich, was unwirklich ist — und häufet sich, selber ‚Zorn auf den Tag des Zornes.‘ Er schließt sich einer Verschwörung gegen sich selber an, gegen sein Erwachen von dem Bann des furchtbaren Truges, durch den er getäuscht worden ist. Nur wer die Sünde bereut und alles Böse aufgibt, kann die Unwirklichkeit des Bösen völlig begreifen.” In ihrer „Message to The Mother Church in 1901,“ S. 21, sagt sie: „Glauben die Christian Scientisten, daß das Böse existiert? Wir antworten, Ja und Nein! Ja, insofern als wir wissen, daß das Böse als falscher Anspruch, als Scheinwesen, als Trug im Gedanken existiert; und Nein, daß es etwas ist, was genießen, leiden, oder wirklich sein kann. Unser Glaube unterscheidet sich von dem der orthodoxen Lehre nur insofern, als wir an der Tatsache festhalten, daß das Böse nicht genug Wirklichkeit besitzt, um uns entweder durch seine Lockungen und Reize eine Neigung zu ihm erwecken und uns so den Weg zur Heiligkeit verlegen zu können. Wir betrachten das Böse als eine Lüge, einen Trug, als gerade so unwirklich wie die Luftspiegelung, welche den Wanderer vom rechten Wege ablockt.”
Die Wege in Christian Science und im Christentum sind dieselben geblieben; das einzige Mittel, wodurch wir Sicherheit und Freiheit erlangen können, ist aufrichtige Reue, welche darin besteht, daß wir „den alten Menschen mit seinen Werken” völlig abtun, und „den neuen ..., der da erneuert wird zu der Erkenntnis nach dem Ebenbilde des, der ihn geschaffen hat” anziehen. Ein Ideal ist uns gegeben worden, dessen unerbittliche Forderung ist, nach Vollkommenheit zu ringen, bis wir es bewiesen haben, daß das Gute die einzige Macht ist, und daß Liebe und Leben eins sind.
Die Orthodoxie.
In der christlichen Lehre finden wir vier grundlegende Sätze, welche den ganzen Inhalt des orthodoxen Christentums enthalten: Erstens, Gott ist das Wesen, von dem wir völlig abhängig, dem wir sittlich verantwortlich sind, nach dem unser höchstes Streben geht; zweitens, die Bibel enthält die Offenbarung von Gottes Wort: drittens, Christus Jesus ist der alleinige Mittler — der Wegweiser — zwischen Gott und den Menschen; und viertens, die Notwendigkeit einer gründlichen Umkehr — einer Reue, eines sich Abwendens von allem Bösen und eines christlichen Lebenswandels. Diese grundlegenden Wahrheiten finden wir in Christian Science wieder und zwar mit solchem Nachdruck verkündet und hervorgehoben, daß jeder Christian Scientist erfährt, wie sie sich beständig mit erneuter Macht in sein Denken und Leben einprägen. Diese Wahrheiten sind die Mittel gewesen, durch welche die Menschheit bis zu dem Grade gebessert und erlöst worden ist, bis zu welchem dies während der ganzen Geschichte des Christentums zu stande gebracht worden ist. Christian Science wirkt daher in genau derselben Richtung wie jede andere echt christliche Bemühung, die Welt zu erlösen und die Gerechtigkeit Gottes an den Tag zu bringen. Sie begründet aufs neue das geistige Heilen, ein Element des Christentums, welches fast verloren war, durch die wissenschaftlichen Beweise der Tatsache, daß es die natürliche Wirkung des Christuslebens ist, uns von Krankheit sowohl wie von Sünde zu heilen.
Christian Science ist zugleich die konservativste und die radikalste aller christlichen Gemeinschaften; konservativ insofern als sie ihr Lehrgebäude ausschließlich auf dem Lebensideal, welches in Jesu Charakter und Lehre zu finden ist, aufbaut; radikal insofern, als sie zeigt, wie dieses Ideal in der Gegenwart verwirklicht werden kann und nicht ein Traum in nebelhafter Ferne zu bleiben braucht. Sie kommt nicht um zu zerstören, sondern zu erfüllen. In den Worten der Entdeckerin: „Mit der Entfaltung geistigen Lebens im Lauf der Zeitalter wird man sehen, daß Christian Science sich in keinem andern Punkte von den übrigen christlichen Gemeinschaften unterscheiden wird als durch vermehrtes Wachstum des geistigen Lebens” (Miscellaneous Writings, S. 21). Christian Science will keinen einzigen Altar niederreißen, noch irgend einen Schrein zerstören. Vielmehr baut sie die niedergerissenen Altäre wieder auf, und aus dem inneren Tempel des Bewußtseins holt sie wieder das Buch des Gesetzes hervor, welches verloren und vergessen war.
Die neu-alte Offenbarung.
Schließlich ist Christian Science nicht eine neue Wahrheit, sondern nur eine neue Offenbarung, eine weitere Entfaltung der Wahrheit, welche einmal offenbart, aber teilweise wieder verloren gegangen war. In dem Gedicht „The Lost Chord“ (Der verlorene Accord) erzählt uns die Verfasserin wie sie, in einer Stunde von Unzufriedenheit und müssiger, zielloser Träumerei an der Orgel sitzend,
... einen Accord anschlug,
Der wie ein großes Amen erklang,
Und das purpurne Zwielicht durchfloß
Wie der Schluß von Engelsgesang.
Und Frieden unendlich stille
Berührte das fiebernde Herz;
Wie Liebe des Hasses Toben,
So stillte er Kummer und Schmerz;
Er schien ein harmonisches Echo
Zu des Lebens Not und Streit
Erfüllt’ alles Bangen und Fragen
Mit dem Frieden der Ewigkeit;
Nur langsam verhallt’ er in Schweigen
Als wäre der Abschied ihm leid.
Die Erinnerung an den Accord verharrte bei ihr als Freude, jedoch mit Wehmut gemischt; so viel sie auch versuchte seine unvergleichliche Harmonie zurückzurufen, es gelang ihr nicht. Weshalb? Sie hatte denselben gehört und geschützt, aber nicht verstanden. Seine überirdische Schönheit hatte den musikalischen Sinn erfüllt, aber seine Zusammensetzung war ihr unbekannt.
So war einst der volle Accord der Harmonie des Lebens durch den Christus angeschlagen worden. Das menschliche Bewußtsein hörte die Töne und klang sie wieder in Leben und Charakteren, deren Macht und Schönheit wie ein Zauber in der Welt wirkte. Aber sie wurden gehört und wiedergeklungen, wie der natürliche unausgebildete Musiker Töne hervorbringt, — sie wurden nicht in ihrer Wissenschaft verstanden und so ging ein Teil der ersten Macht und Schönheit des Accordes verloren. Aber seine Widerklänge waren niemals ganz in der Welt erstorben, und in einer Stunde höchster Not hörte die für die Töne des Geistes empfängliche Natur einer Frau aufs neue die göttlichen Harmonien, fühlte die Gegenwart des Christus und wurde geheilt. Von der Stunde an ist es ihr Lebenszweck gewesen, diese Harmonie der Welt in einer solchen Weise zu geben, daß sie verstanden werden und niemals wieder verloren gehen könne. Mit keinem anderen Führer als der Bibel und der Lehre des Trösters, hat diese Frau ihr Werk vollbracht, und die Welt kennt sie heute als Mary Baker Eddy, die Entdeckerin und Begründerin von Christian Science. Sie hat diese Wissenschaft der Welt gegeben in dem Buch „Science and Health with Key to the Scriptures“ und denen, welche auf das Wiederkommen Christi und den Trost Israels warten, wird ein gründliches Studium desselben ernstlich empfohlen; denn sie werden alle, wie schon viele andere, darin geistiges Licht und Liebe finden, und diese sind die Zeugen des Immanuel — Gott mit uns.
Solange die Larve der Sünde und die Qual der Krankheit die Menschenrasse so schwer zu plagen scheint, gibt es vollauf Gelegenheit für jeden Prediger, Arzt, Krankenpfleger und Christian Scientisten, für jeden Menschenfreund, zu wirken, jeder mit dem Lichte, das er hat, in harmonischer Einheit und liebevoller Güte, für die Erhebung der Menschheit und ihre Befreiung von der altersgrauen Knechtschaft der Unheiligkeit und Dummheit. —
Copyright, 1905, by Mary Baker G. Eddy.
Verlagsrecht im Jahre 1905 von Mary Baker G. Eddy.
