Von meiner frühsten Kindheit an war ich kränklich und schwächlich; ich glaubte fest, daß ich alle Leiden meiner Vorfahren väterlicher- wie mütterlicherseits ererbt hätte. Viele von ihnen waren der Schwindsucht, jener gefürchteten Krankheit erlegen, und man hatte mich gelehrt, daß ich auch notwendigerweise ein Opfer derselben werden würde. Die Atmosphäre meiner Heimat war durchaus religiös; als ich noch sehr jung war, wurde ich Mitglied einer orthodoxen Kirch und war in dieser in philantropischen Werken tätig. Man lehrte mich, daß Gott uns Krankheit und andere Leiden zu unserer Disziplin und Besserung schicke und daß wir geduldig sein müssen und alles in Fügung unter Gottes Willen ertragen mit der Hoffnung auf bessere Umstände in der andern Welt. Ich konnte diese Lehre nicht annehmen, denn sie schien mir unvernünftig.
Von einer leidenschaftlichen Liebe für Litteratur und Kunst getrieben, hatte ich während der vielen Jahre meiner Erziehung in Hochschulen und Kunstschulen verschiedener Städte viel mit schwacher Gesundheit zu kämpfen; später widmete ich mich der Kunst als Landschafts- und dann als Portraitmalerin. Meine Familie glaubte, daß ich meine Kräfte überanstrengte und wünschte, daß ich diesen Beruf aufgeben solle, doch sagte ich, daß ich lieber sterben würde als meine Kunst aufgeben. Viele Jahre lang wurde mein Medizinschrank regelmäßig mit frischen Heilmitteln gefüllt, und mit den Vögeln flüchtete ich mich nach dem sonnigen Süden, bis das kalte Wetter im Norden vorüber war. Auf der Durchreise durch Atlanta, Ga., einer Station auf halbem Wege nach Florida, hörte ich zuerst von Christian Science, doch war ich damals noch nicht bereit, sie anzunehmen. Später in New York wurde mir etwas unter dem Namen Wissenschaft angeraten; doch war dies nicht Christian Science, sondern eine falsche Mischung. Ich entdeckte den Irrtum, fürchtete mich davor und weigerte mich es zu prüfen. Zwei Jahre später ließ ich mich in Atlanta nieder. Ich hatte mein Studio in einem großen Geschäftsgebäude und hatte die Aufsicht über das Studio und die Kunstvorträge in einem Seminar für junge Damen. In der schönen Stadt wandte ich mich ernstlich der Christian Science zu. Im täglichen Verkehr mit Christian Scientisten fand ich Gelegenheit das Leben derselben zu beobachten und dies überzeugte mich, daß sie ein Geheimnis besäßen, das ich zu wissen wünschte. Sie schienen so verschieden von allen andern Christen zu sein, die ich gekannt hatte.
Meine schlechte Gesundheit war jedoch nicht der direkte Grund, daß ich mich an Christian Science wandte, denn ich war so sehr an Kränklichkeit gewöhnt. Ich glaube, ich suchte nach einem Beweis, ob ein sich als Christ bekennender Mensch seinem Glauben wirklich treu sei. Pekuniäre Angelegenheiten beunruhigten mich und es bemächtigte sich meiner eine allgemeine Gleichgültigkeit und Teilnahmlosigkeit in den Angelegenheiten des Lebens. Es war als ob ich von einer Mauer von Zweifel eingehemmt worden sei, ohne eine Öffnung finden zu können. Ich sprach von diesen Zuständen zu einer lieben Freundin, einer Scientisten, und sie antwortete mir, daß Christian Science mir in allem Hilfe bringen würde, und sie lud mich ein am nächsten Tage ihre Kirche zu besuchen. Voll Eifer und Ungeduld konnte ich kaum die Zeit des Gottesdienstes erwarten. Bisher hatte ich nur einige Predigten gehört von einem Scientisten, der später Mitglied des Lektoren-Kollegiums der Christian Science Kirche wurde. Er brachte häufig Bibelstellen in den Predigten an, wie z. B. Habakuk, 1: 13: „Deine Augen sind rein, daß du Übels nicht sehen magst, und dem Jammer kannst du nicht zusehen.” Obgleich ich wußte, daß dies in der Bibel ist, erregte es mich jedes Mal sehr, daß ich fast alles andere, was er sagte, abwies, denn meiner Meinung nach mußte Gott, wenn er doch alles wußte, auch das Böse wissen. Ich hatte noch nicht gelernt, daß das Böse unwirklich ist, daher unerkennbar.
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