Die Lehren der Christian Science werden gar oft falsch aufgefaßt. So wird zum Beispiel angenommen, die Christian Science lehre, daß der Mensch keinen Körper habe. Viele Kritiker haben dies behauptet und viele Anfänger haben sich darüber Sorgen gemacht, bis sie die Wahrheit erkannten und sich überzeugt hatten, daß die Christian Science nichts derartiges lehrt. Die Christian Science ist keine Lehre der Vernichtung. Sie zerstört nichts, was in Wirklichkeit existiert. Sie könnte dies nicht, selbst wenn sie wollte. Die göttliche Metaphysik nimmt dem Menschen nichts, was zu seinem wahren Sein gehört. Im Gegenteil: unser Textbuch erklärt: „Das Bewußtsein erbaut einen besseren Körper, wenn der Glaube an die Materie überwunden ist” („Science and Health“, S. 425). Es muß betont werden, daß Körper und Materie in Wirklichkeit nicht identisch, nicht gleichbedeutend sind, und daß die eine Bezeichnung nicht die andre andeutet.
Die Christian Science vernichtet nur falsche Annahmen. Wenn eine falsche Annahme verschwunden ist, so bleibt nichts zu verneinen übrig. Die Wahrheit ist sich nur dessen bewußt, was wahr ist. Sie kann den Irrtum in keiner andern Weise verneinen und braucht ihn in keiner andern Weise zu verneinen, als durch ihre Gegenwart. Während wir die Harmonie des Seins affirmieren, pflegen wir allerdings zugleich den Irrtum zu verneinen; es geschieht dies jedoch nur deshalb, weil unserm Bewußtsein immer noch etwas innezuwohnen scheint, was verneint werden muß.
Man kann also die Christian Science mit Bestimmtheit eine Religion der Affirmation nennen. Sie affirmiert, daß alles Gute wahrhaft existiert, und zwar schon jetzt und hier. Sie affirmiert die Wahrheit über Gott, den Menschen und das Weltall, über Geist und Körper, über Gesetz und Herrschaft. Sie erklärt, daß Gott alles Wahre an unserm Sein gemacht hat und daß es deshalb gut sein muß; daß alles, was Gott nicht gemacht hat, nicht wirklich ist und keine wahre Existenz hat. Des Menschen Individualität und Identität ist des Menschen wahres Sein; deshalb ist es unmöglich, ihn seiner gottverliehenen Individualität und Identität zu berauben. Die Christian Science ist nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Wenn man richtig verstehen will, woraus der Mensch besteht, so muß man die wahre Bedeutung des Wortes Substanz kennen lernen. Die materiellen Sinne lassen nur ihren eignen Begriff von Substanz gelten, nämlich Materie. Sie können sich unmöglich eine Idee als substanziell denken; es scheint ihnen dies unbegreiflich, ungreifbar, ja höchst töricht. Wenn der Mensch in irgendeiner Weise erwähnt wird, so stellen sich die materiellen Sinne gleich eine materielle Figur vor von etwa so und so viel Pfund Gewicht, und suchen dann von diesem Standpunkte aus eine Behauptung zu widerlegen, die durchaus keinen Bezug hat auf Materie.
Zu den Grundprinzipien der Christian Science gehört die Erklärung, daß unendlicher Geist (Mind) besteht. Es ist die Aufgabe des Geistes, zu denken, geistige Tätigkeit zu entwickeln. Ein Geist, der nicht denkt, der nicht aktiv ist, sondern sich in einem Zustande des Schlafes oder der Stockung befindet, ist kein Geist. Nur die Fähigkeit des Denkens charakterisiert den Menschen. Wir sprechen von Geist, und gleich denken wir an die Tätigkeit des Geistes, an Bewußtsein. Wir können also sagen, daß der unendliche Geist sich ausdrücken muß und daß sein Ausdruck oder seine Verkörperung aus Ideen besteht, die ihm natürlicherweise gleich sein müssen. („Science and Health“, SS. 302, 477.) Diese Lehre vom Geist und Seinen Kundgebungen stützt sich auf den geistigen Bericht von der Schöpfung im ersten Kapitel des 1. Buches Mose: „Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei.” Wenn der sterbliche Mensch samt seinem kranken und begrenzten materiellen Körper das Ebenbild Gottes ist, dann muß Gott als dessen Schöpfer die allgemeinen Umrisse des materiellen Körpers haben und einem solchen ähnlich sehen — ein Gedanke, der zu anstößig ist, um auch nur ein weiteres Wort zu verdienen.
Organisation und Materie gehen Hand in Hand. Wenn wir an den einen Begriff denken, so taucht gleich der andre in unserm Bewußtsein auf. Geist denken wir uns nicht als organisiert oder in Umrissen erscheinend, denn Organisation bedeutet Begrenzung, und die grundlegende Erklärung der Christian Science ist, daß Geist, Gott, unendlich ist, ohne Grenzen und ohne Organisation. Der materielle Körper mit seiner komplizierten Organisation kann uns also keine richtige Idee geben von der Widerspiegelung des unendlichen Geistes. Der materielle Körper ist ein falscher Begriff vom Sein, eine materielle, verkehrte Auffassung einer geistigen Wirklichkeit. Wenn diese Anschauung geändert ist, wird die Wahrheit über den Menschen offenbar werden. Die Sterblichen glauben an eine aus organisierter Materie zusammengesetzte Welt, die mit Persönlichkeiten bevölkert ist. Die Christian Science offenbart eine mit geistigen Ideen bevölkerte Welt. Wenn wir „Individualität” an Stelle von „Persönlichkeit” setzen, so erreichen wir eine wissenschaftliche Grundlage und fangen an, uns annähernd einen Begriff vom Menschen zu machen. Unsre Führerin sagt: „Den materiellen Begriff vom Sein in wissenschaftlicher Weise unpersönlich zu machen, anstatt sich an Persönlichkeit anzuklammern, ist die Aufgabe unsrer Zeit” („Miscellaneous Writings“, S. 310). Paulus drückt den gleichen Gedanken aus, wenn er uns ermahnt: „Verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes”.
Die Hoffnung der Unsterblichkeit, welche in jedem Bewußtsein schlummert, wäre eitel, wenn sie keine festere Grundlage hätte als die Materie. In der vernunftgemäßen und beweisbaren Lehre der Christian Science über des Menschen Individualität und Unsterblichkeit finden wir eine trostreiche und untrügliche Hoffnung. Die Annahme, daß Materie unsre Wesenheit bilde, daß materielle Organisation nötig sei, um die Funktionen des Seins weiter zu führen, daß der Mensch körperlich und begrenzt sei, ist an aller menschlichen Disharmonie und allen körperlichen Leiden schuld. Die Christian Science zeigt uns die Einfachheit der Existenz und die Unverletzlichkeit der Individualität des Menschen, wobei sie sich auf die Erklärung stützt, daß der Mensch nicht von Gott getrennt sein kann, „denn in ihm leben, weben und sind” wir.