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Der Buchstabe und der Geist

Aus der Juni 1910-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Christian Science lehrt, daß die Menschheit den Geist sowohl wie den Buchstaben erlangen muß, um die Segnungen des Evangeliums im vollsten Maße genießen zu können. Es hat bis jetzt noch niemand behauptet, daß alle Segnungen des Evangeliums bereits verwirklicht worden seien, oder daß es je einen Menschen gegeben habe, der auf der Höhe der geistigen Erkenntnis angekommen sei und alles getan habe, was getan werden kann. Die Segnungen der Erlösung sind bis jetzt bei weitem nicht alle zur Verwirklichung gekommen. Es ist einem jeden Sterblichen möglich, noch mehr von dem von Gott verliehenen Guten zu erlangen, das ihn bereits bis zu einem gewissen Grade über die Disharmonie der Erde emporgehoben hat. Niemand sollte da stehen bleiben wollen, wo er sich befindet, da es doch in dem Bereich eines jeden Menschen liegt, einen höheren, mehr harmonischen Begriff vom Dasein zu erlangen.

Sowohl der Buchstabe als auch der Geist des Evangeliums ist bei dem gegenwärtigen Stand unsrer Entwickelung nötig. Allerdings ist der Geist notwendiger als der Buchstabe; Christian Science zeigt jedoch, daß der ernste Sucher nach Wahrheit den Geist in höherem Maße erlangt, wenn ihm der Buchstabe in der rechten Weise dargelegt wird und er ihn richtig erfaßt. Der Glaube, welcher volle Erlösung bringt und „den ganzen Menschen” herstellt, ist kein blinder Glaube, sondern ein erleuchtetes geistiges Verständnis. Das größte Hindernis zum geistigen Wachstum und zur geistigen Entwickelung liegt wohl in der Tatsache, daß die Menschheit dazu angehalten wurde, zu vieles auf Treu und Glauben anzunehmen. Gar manches, was der menschlichen Vernunft durchaus unerklärlich schien, wurde als Lehre der Bibel hingestellt, und der Zweifler erhielt die Antwort, es sei nicht seine Sache, das Wie und Warum zu ergründen, sondern er müsse einfach gehorchen. Viele Christen haben dies ernstlich versucht, obschon sie sich bewußt waren, daß sie im Finstern tappten. Der ernstliche Wunsch gehorsam zu sein, und das sehnliche Verlangen nach Wahrheit und Gerechtigkeit hat vielen treuen Erdenpilgern ein reiches Maß des Geistes gebracht, den die Welt weder empfangen noch verstehen kann.

Mrs. Eddy schreibt in ihrem Werk „Science and Health“ (S. 283): „Das göttliche Prinzip oder Leben kann nur dann durch hohes Alter praktisch demonstriert werden, wie die Patriarchen es taten, wenn dessen Wissenschaft genau dargelegt wird”. In diesem „Key to the Scriptures“ (Schlüssel zur Heiligen Schrift) hat sie den Buchstaben des Evangeliums klar dargelegt. Sie hat uns in möglichst einfachen Worten eine bestimmte Idee von dem Wesen Gottes gegeben. Ferner verdanken wir ihr eine beweisbare Idee von dem Menschen und dem Weltall, von der wissenschaftlichen Beziehung des Schöpfers zu Seiner Schöpfung. In diesem Buche sind bestimmte Regeln angegeben, nach welchen die Wahrheit des Seins, wie sie in der Christian Science erkannt wird, auf alle menschlichen Angelegenheiten angewandt werden kann, wodurch die Irrtümer des sterblichen Wahns berichtigt werden und der Mensch in den Stand gesetzt wird, den durch diese Irrtümer verursachten Leiden zu entfliehen. Bis zu einem gewissen Grade kann man die Lehren unsres Textbuches „Science and Health“ verstandesmäßig erfassen. Wer aber denkt, dieses Buch könne in der Weise studiert und verstanden werden, wie etwa ein Buch über Mathematik oder irgendeinen andern materiellen Gegenstand, hat auch nicht den geringsten Begriff von der echten Christian Science. Der Buchstabe dieser Science oder Wissenschaft ist unentbehrlich; wenn sich aber das Denken nicht über den Buchstaben erhebt, um den Geist zu erfassen, wird die heilende Macht der Wahrheit nur in geringem Maße oder gar nicht verwirklicht. Schon seit der Veröffentlichung von „Science and Health“ hat Mrs. Eddy ihre Schüler vor der irrigen Meinung gewarnt, daß man mit dem Buchstaben der Christian Science ihre Früchte zur Anschauung bringen könne. Auf Seite 113 des Textbuches schreibt sie: „Der wichtige Teil, das Herz und die Seele der Christian Science ist Liebe. Ohne diese ist der Buchstabe bloß der tote Körper der Science — ohne Pulsschlag, kalt, leblos.”

Der Meister erklärte: „Der Geist ist’s, der da lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze.” Paulus sagte: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist machet lebendig.” Der Apostel meinte nicht, daß der Buchstabe nutzlos sei, sondern er wollte es den ersten Christen recht einprägen, daß man vor allem nach dem Geist streben müsse. Diejenigen, denen der Geist zuteil worden war, hatten in gewissem Maße das Verständnis erlangt, daß Gott des Menschen Leben ist, während diejenigen, die wohl den Buchstaben, aber nicht den Geist hatten, tot waren, weil sie den belebenden Einfluß des Geistes nicht erfahren hatten. Sie waren noch in den Banden der verschiedenen Arten des Übels. Der Meister kam nicht, um das Gesetz aufzulösen, sondern um es zu erfüllen. Er lehrte, daß die Frömmigkeit, welche auf der verstandesmäßigen Beobachtung gewisser Kirchenbräuche und religiöser Zeremonien beruht, nicht genügend sei. In der Bergpredigt sagte er: „Es sei denn eure Gerechtigkeit besser denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.” Wenn das Gesetz genügt hätte, wäre das Evangelium überflüssig gewesen; wenn uns der Buchstabe allein helfen könnte, hätten wir den Geist nicht nötig. In der Geschichte menschlicher Erfahrungen ging das Gesetz dem Evangelium voraus; ebenso erlangt das individuelle Bewußtsein den Buchstaben vor dem Geist.

Wer bei Buchstaben stehen bleibt und denkt, er habe alles Nötige erreicht, begeht einen großen Fehler. Der Buchstabe der Christian Science kann weder Krankheit noch Sünde heilen. Das bloße Nachsprechen des Buchstabens dieser Wissenschaft, in Gedanken oder mit Worten, kann die erlösende Macht der Wahrheit nicht zur Anschauung bringen. Das wahre Gebet ist Sache des Herzens und nicht Sache des Verstandes. Paulus sagte: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.” Es mag jemand den Buchstaben der Christian Science recht fließend reden können; hat er aber den Geist nicht, so kann er die heilende Macht der göttlichen Liebe nicht zur Anschauung bringen. Der Buchstabe der Christian Science ist vernunftgemäß, logisch und konsequent; er bahnt den Weg zu einer Ausgießung des Geistes in reicherem Maße. Wenn jedoch der Schüler das, was er gelernt hat, nicht im täglichen Leben zur Anwendung bringt, kann er nicht „angetan” werden „mit Kraft aus der Höhe”, und es ist ihm dann nicht möglich, diese Wissenschaft zu beweisen. Wahres Gebet ist das wirksame Mittel gegen Krankheit, Sünde und jegliche Disharmonie auf Erden — das einzige Mittel, auf welches Jesus in seiner Lehre und durch sein Vorbild hinwies. Die Gebete der Leute wurden nicht erhört, weil sie nicht aufrichtig waren. Zu denen, die sich von ihm belehren lassen wollten, sagte er: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhöret, wenn sie viele Worte machen.” Die Heiden sind diejenigen, die den wahren Gott nicht kennen, d. h. die nicht den wahren Begriff von Gott haben. Es gibt Leute, die den Geist der Christian Science nicht erlangt haben und die diesen Mangel dadurch ersetzen wollen, daß sie den Buchstaben beharrlich wiederholen. Dieses Verfahren ist jedoch nicht das Verfahren der Christian Science. Ein Schüler dieser Wissenschaft, der „Science and Health“ in der rechten Weise gelesen hat, wird sich nicht durch diese falsche Auffassung irreleiten lassen, sondern wird einsehen, was nötig ist, um das göttliche Prinzip alles wahren Heilens zu verwirklichen. Der Buchstabe und Vernunftgründe heilen nicht; Gott ist der einzige Heiler. Der Mensch hat nichts weiter zu tun als sich selbst sowie diejenigen, denen er Helfen will, mit Gott in Harmonie zu bringen. In dem Maße wie dies geschieht, werden sterbliche Wahnbegriffe wie Sünde und Krankheit zerstört. Jesus sagte: „Der Vater aber, der in mir wohnet, derselbige tut die Werke.” Das Heilen in der Christian Science ist nichts Geringeres als das Werk des Geistes.

Die Regeln, welche in einem Lehrbuch über Mathematik angegeben sind, sollen dem Schüler zur Unterweisung dienen. Wenn er dieselben befolgt, wird er das seinem Problem zugrundeliegende Zahlengesetz erkennen. Das wörtliche Nachsprechen einer Regel verhilft nicht zur Lösung des Problems. Der Schüler mag den Buchstaben genau befolgen, jeden vorgeschriebenen Schritt tun und die Lösung finden, soweit die Zahlen in Betracht kommen; wenn er aber das der Regel zugrundeliegende Gesetz nicht erkennt, kann man, streng genommen, nicht sagen, daß er das Problem gelöst habe. Die Lösung ist für ihn weiter nichts als das Resultat seines Gehorsams gegen den Buchstaben, den er nicht versteht. Ebenso verhält es sich in der Christian Science. Nicht der Buchstabe, sondern der Geist löst die Probleme des Lebens. Der Buchstabe zeigt uns nur den Weg; er ist bestenfalls ein Mittel zum Zweck. Niemand sollte in den Fehler verfallen zu denken, er habe das Ziel erreicht, wenn er sich nichts weiter als den Buchstaben angeeignet hat.

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