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Was muß der ausübende Vertreter wissen?

Aus der Oktober 1911-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Bisweilen hört man die tadelnde Bemerkung, die ausübenden Vertreter der Christian Science besäßen keine genügende Kenntnis von Krankheiten und deren Symptomen. Hierbei wird aber der Umstand völlig übersehen, daß der hier in Frage kommende Beistand rein mentaler Art ist. Neben dem Schwinden der Furcht und der Besserung des Denkens überhaupt bringt die Heilung durch die Christian Science eine idealere, mehr auf das Geistige sich stützende Weltanschauung mit sich. Wenn nun das Denken des Hilfeleistenden ebenfalls auf Krankheit und deren furchterregende Erscheinungsformen gerichtet ist, so befindet er sich auf der gleichen mentalen Stufe wie der Patient und vermag daher dessen geistigen Zustand nicht zu bessern. Angenommen nun, es verwendet jemand, der auf geistigem Wege zu heilen bestrebt ist, Zeit und Mühe auf das Studium der verschiedensten Krankheiten, um sich mit deren Namen und Symptomen, deren Art. Wirkung und wahrscheinlichen Entwicklung ganz vertraut zu machen: wird diese Kenntnis zu seiner und seiner Patienten Beruhigung beitragen? Wird sie ihm wohl bei seinem Bestreben, ein Bewußtsein des Leidens in ein Bewußtsein der Gesundheit zu verwandeln, zustatten kommen? Lehrt uns nicht vielmehr die menschliche Erfahrung, daß ein solches Wissen bereits viel zu verbreitet, die Wahrheit aber, die allein Abhilfe schaffen kann, nicht genügend bekannt ist?

Wenn der Beistand im Sinne der Christian Science gleich andern Heilverfahren in erster Linie dem menschlichen Körper gelten würde, so wäre allerdings eine gründliche Kenntnis desselben unerläßlich. Im Gegensatz zu andern Systemen wendet sich jedoch die Christian Science voll und ganz dem sterblichen oder menschlichen Sinn als dem Übertreter und Leidenden zu und weist die Annahme zurück, daß außer der Kenntnis Gottes — dem Hauptfaktor bei dem Erlösungswerke — eine andre Kenntnis notwendig sei. Welchen Gewinn würde das Studium der Gesetze und Strafen bringen, die der menschliche Sinn seinem Körper gegeben bzw. auferlegt hat, wenn doch die Erlösung beider durch das Aufheben dieser Gesetze bewirkt wird, damit Geist und Körper durch Wahrheit allein regiert werden mögen? Die Ansprüche des materiellen Gesetzes anerkennen hieße für den Anhänger der Christian Science, jener selbsteingesetzten Herrschaft gegenüber die Waffen strecken, denn ein solches Zugeständnis würde sein Vertrauen auf die göttliche Macht vernichten. Das einzige Gesetz, dem er sich allezeit unterwirft, ist das Gesetz Gottes, und dieses Gesetz ist seinem Wesen nach geistig, nicht materiell, erhaltend, nicht zerstörend. Dieses Gesetz der Gesundheit und Heiligkeit verursacht nie Trübsal, Krankheit und Tod, sondern entfaltet die ewige Unverletzlichkeit alles Geschaffenen. Der durch die Christian Science gewonnenen Erkenntnis zufolge regiert dieses Gesetz den Körper ebenso harmonisch wie das Weltall, und die Kenntnis von der Überlegenheit dieses Gesetzes befähigt den Christian Scientisten, ohne Rücksicht auf materielle Verordnungen zu heilen.

Was würde man von einem Bankier denken, der von seinen Angestellten ein Examen über ihre Kenntnis von der Herstellung, Beschaffenheit und dem Aussehen falscher Münzen verlangte? Oder von einem Schuldirektor, der von der Lehrerschaft Vertrautheit mit allen denkbaren Fehlern in der Rechenkunst, Grammatik, Rechtschreibung usw. forderte? Ein jeder weiß, daß der Bankbeamte gerade vermöge seines geübten Blickes für echtes Geld eine Fälschung zu entdecken vermag, während der Lehrer durch seine Kenntnis der richtigen Regeln seiner Aufgabe gewachsen ist. In gleicher Weise ist es die Kenntnis von der Wahrheit im Sinne der Christian Science und nicht die Kenntnis des Irrtums, die den Menschen vom Irrtum befreit. Es könnte jemand die Merkmale des falschen Geldes aufs genaueste kennen, und doch nicht fähig sein, echtes Geld zu erkennen. Ein andrer könnte mit allen von Schulkindern gemachten Fehlern vertraut sein, ohne jedoch ein guter Lehrer zu sein. Ebenso wird die Befähigung zu heilen nicht durch die Kenntnis alles dessen erlernt, was der menschliche Geist in Bezug auf Krankheit glaubt, möge man auch das Neueste auf diesem Gebiete an den Fingern hersagen können. Man muß sich mit der Tatsache selbst befassen und das Augenmerk nicht auf deren Entstellung richten.

Vielen Ärzten ist die Anschauungsweise der Christian Scientisten unverständlich. Dies erklärt sich aus der Verschiedenheit der Standpunkte. Der Arzt geht von materieller Grundlage aus und hält die Materie für den Träger des Geistes. Gesundheit und Krankheit sind für ihn rein physische Zustände, das Ergebnis materieller Vorgänge. Er läßt sich bei der Behandlung durch seine Erfahrung in der Beobachtung von Krankheitserscheinungen, durch die Weisheit des sterblichen Sinnes leiten. Der Christian Scientist hingegen arbeitet von einer geistigen Basis aus, wobei Materie gar nicht in Betracht kommt. Für ihn sind sowohl Gesundheit wie Krankheit Arten des Bewußtseins. Ergebnisse von Gedankenvorstellungen, und er läßt sich von seiner Erkenntnis der Wissenschaft des göttlichen Geistes — der Weisheit Gottes — leiten und befolgt den für richtig erkannten Weg. Es wäre also weder recht noch billig zu erwarten, daß der eine nach der Methode des andern arbeite, da ein und derselbe Mensch unmöglich von zwei entgegengesetzten Standpunkten ausgehen, denken und handeln kann.

Der Christian Science zufolge ist Gesundheit das Bewußtsein geistiger Vollkommenheit. Sie wird durch richtiges oder geistiges Denken erlangt und erhalten, während Krankheit als ein Zustand irrigen Denkens, als eine mentale Störung angesehen wird, die nur durch das richtige Verständnis von der Wahrheit des Seins dauernd geheilt werden kann. „Die Medizin des Christian Scientisten”, schreibt Mrs. Eddy, „ist Geist (Mind), göttliche Wahrheit, die den Menschen frei macht” („Science and Health“, S. 453). Diese „Medizin” ist ein mentales Besserungsmittel, das „das gefangene Denken in Freiheit setzt” (Ibid., S. 114), und dadurch den Körper in den normalen Zustand zurückbringt. Die Erfahrung lehrt, daß ein Bekanntwerden mit Krankheitstheorien Furcht erzeugt und dazu beiträgt, die gefürchteten Zustände herbeizuführen. Das stets auf Krankheit gerichtete Denken gewährt dem „gesunden” Denken keinen Raum, während die Kenntnis, daß Gesundheit von Gott kommt und Seinem Willen entspricht, der Furcht vor Krankheit entgegenwirkt. Das einfache, allen Christian Scientisten bekannte Gebet für Kinder: „Da Gott meine Gesundheit ist, kann ich nicht krank sein”, besitzt mehr Heilkraft als alles, was über Krankheit gelehrt und verbreitet worden ist, als alle in den Arzneibüchern verzeichneten Medikamente.

Krankheit und Leiden bestehen im menschlichen Bewußtsein wegen der Unwissenheit der Menschheit bezüglich der großen Wahrheit, daß Gott, das göttliche Prinzip, und nichts andres das Leben des Menschen und die Quelle seiner Kraft ist. Die Wirksamkeit der erleuchtenden oder heilenden Wahrheit liegt also in ihrer Vollkommenheit. Sie schließt die Möglichkeit jedweden Irrtums aus. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Werke „Rudimental Divine Science“ (S. 25): „Voller Verwunderung und Ehrfurcht sah ich den Grund, weshalb unser großer Meister die von ihm Geheilten nicht über ihre Krankheiten oder deren Symptomen befragte.” Wenn wir als wahre Nachfolger des Meisters so heilen wollen, wie er befahl, müssen wir das Verständnis seines Verfahrens erlangen und dasselbe praktisch ausüben. Hierzu brauchen wir den selben Geist (Mind), der in ihm war. In dem Maße wie wir diesen Geist besitzen, werden wir auch von dem Befragen unsrer Patienten über Namen oder Einzelheiten ihres Leidens absehen, weil wir wissen, daß eine Beschreibung oder ein Zeugnis des Irrtums irgendwelcher Art in den Augen des göttlichen Geistes (Mind) nichts gilt und die Allgegenwart der Wahrheit, des Lebens, der Liebe, des unendlichen Gottes nicht beschränken kann. Ignorieren dürfen wir jedoch die Ansprüche des Übels nicht; vielmehr müssen wir dessen vermeintliche Tätigkeit zum Stillstand bringen und die erneuernde Wahrheit werktätig beweisen, ohne dabei den Irrtum zu befragen, der doch nur ein Fehler ist und als solcher verbessert werden muß.

Die menschliche Krankheitsvorstellung ist ein Zustand mentaler Dunkelheit, und die Arznei dafür ist geistige Erleuchtung. Daher ist der Vertreter der Christian Science ein Licht-Träger. Er trägt das Licht des geistigen Seins in die dunklen Stellen des menschlichen Bewußtseins, und die Schatten der Sünde und Krankheit schwinden dann wie die Schatten der Nacht vor der aufgehenden Sonne. Er hat demnach vor allem geistige Erkenntnis nötig, damit sein Verständnis „geöffnet” werde, wie das der Jünger auf ihrem Gang nach Emmaus. Was braucht der Christian Scientist beim Heilen über die Materie zu wissen, da er doch mit „Kraft aus der Höhe” ausgerüstet ist! Würde unser geistiges Verständnis klarer werden, wenn wir unser Denken mit dem erfüllten, was die Sterblichen über Materie und Krankheit für wahr halten? Wir untersuchen nicht die Dunkelheit, um sie zu verscheuchen; wir schaffen Licht herbei. Wenn dies schon auf materiellem Gebiet gilt, wie viel mehr im Reiche des Mentalen, wo Dunkelheit Unkenntnis Gottes bedeutet, die allem Übel und Leiden zugrunde liegt. Wir vermögen diese Unwissenheit nicht aufzuklären und zu beseitigen, indem wir sie zu ergründen suchen, sondern indem wir das Verständnis von Gott oder Gotteserkenntnis erlangen.

Aus diesen kurzen Darlegungen geht hervor, daß die eigentliche Befähigung zum Amte eines ausübenden Vertreters der Christian Science nach einem geistigen, nicht nach einem materiellen Maßstab bestimmt wird. Mit dem Erweitern unsrer materiellen Kenntnis ist uns nicht geholfen; unser Streben muß sein, mehr vom Geist zu wissen. Eine Kenntnis über die sogenannten materiellen Gesetze, die den Menschen vermeintlich regieren, würde ihm gar nicht zum Vorteil gereichen, da doch seine Aufgabe darin besteht zu wissen, daß der Mensch eben nicht auf diese Art regiert wird. Das Ergründen materieller Erscheinungen trägt dazu bei, den geistigen Sinn zu verdunkeln und ist für einen Christian Scientisten eher schädlich als nutzbringend. Durch sein Außer-acht-lassen medizinischer Theorien und Ansichten setzt er sich manchem Angriff aus, doch weiß er, daß seine Hilfe von Gott kommt, nicht vom Menschen, und daß er nicht durch menschliche Berechnung, sondern allein durch göttliche Weisheit richtig geführt werden kann. Je mehr er von der Allmacht und Allgegenwart Gottes versteht, desto besser ist er für seine Heiltätigkeit ausgerüstet und desto weniger wird er sich bei seiner Tätigkeit von den ihm entgegentretenden physischen Erscheinungen beeinflussen lassen. Ein Vertrautwerden mit Krankheitssymptomen kann nicht nutzbringend sein, wenn man bedenkt, daß dieselben aus dem Denken entfernt werden müssen, um die Allheit Gottes und die Vollkommenheit Seiner Werke zu demonstrieren.

Die dem Irrtum beigelegten Namen oder dessen Erscheinungsformen sinken vor der Wahrheit, die sie berichtigt, zur Bedeutungslosigkeit herab. Für das fundamentale Gesetz der Mathematik bleibt es sich vollkommen gleich, ob der zu verbessernde Fehler lautet: zwei und zwei ist fünf, oder neun mal neun ist achzig. So wird auch das heilende Prinzip der Christian Science nicht davon berührt, ob der Patient glaubt, sein Leiden sei im Kopf oder in den Füßen, trete in dieser oder jener Weise auf, oder trage diesen oder jenen Namen. Die eine unendliche Wahrheit vernichtet jedwede Form des Irrtums, ohne dieselbe zu kennen-wie das Licht die Dunkelheit nicht kennt, die es verscheucht, obgleich Schatten jeder Größe und Gestalt bei seinem Nahen ganz von selbst verschwinden. Im „Christian Science Journal“ vom Februar 1909 schreibt Mrs. Eddy: „Der Satz:, Es gibt keine Materie,‘ ist nicht nur der Hauptsatz der Christian Science, sondern auch die einzige Grundlage, auf der diese Wissenschaft demonstriert werden kann.” Der ausübende Vertreter braucht also vor allen Dingen Gottes- erkenntnis, und seine Befähigung, moralisch und Physisch zu heilen, wird durch den Grad seiner Widerspiegelung des Guten bedingt. Der Grad und die Klarheit dieser Widerspiegelung wird durch das Annehmen des Augenscheins dessen, was unwirklich, d. h. ungeistig ist, nicht erhöht sondern vermindert. Da Gott, die Wahrheit, da Er unendlich ist, so kann es außer dem, was gut, wahr und ewig ist, nichts eigentlich Wissenswertes geben, und was diesem Maßstabe nicht entspricht, wird schließlich als falsch und nutzlos erkannt werden.

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