Wenn man die Aufzeichnungen über das Leben Jesu aufmerksam liest, so fällt es einem auf, wie bestimmt der Meister an die von ihm dargebotenen Mittel zur Beseitigung menschlicher Unvollkommenheiten und Leiden glaubte. Wie ferner ersichtlich ist, war er fest überzeugt, daß seine Worte und Werke bei denjenigen, die ein empfängliches Gemüt haben, denselben Glauben bewirken würden.
Er erklärte: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.” Die Worte „Leben und volle Genüge” umfassen Freiheit, Befriedigung aller unsrer Bedürfnisse, Gelegenheit zur Verwendung unsrer Geistesgaben und Erlangung alles dessen, was wahr, schön und gut ist. Die Lage der Dinge war Jesu durchaus klar. Er erkannte das Unheil, welches dem menschlichen Bewußtsein zufolge die Sünde angerichtet hatte, wußte sich aber im Besitz dessen, was alle Bedürfnisse befriedigen, jedes irdische Problem lösen und das Reich Gottes „auf Erden wie im Himmel” gründen würde.
Der Meister war mit allen Erscheinungsformen menschlicher Sklaverei und menschlichen Elends in Berührung gekommen. Die Blinden, die Lahmen, die Aussätzigen, die mit unnennbaren Krankheiten und Sünden Behafteten — alle drängten sie sich um ihn, so daß ihm kein Grad der Verzweiflung, keine Tiefe des Elends unbekannt blieb. Trotz alledem aber verkündete er der Welt, er habe das Mittel, welches die Menschen von aller Pein befreien und von allen Sünden reinigen werde. Und was war dieses Universalmittel? Einfach die richtige Idee oder der wahre Begriff von Gott, von Seinem Wesen und Seiner Allheit — die Erkenntnis der Wahrheit, von welcher er sagte, sie werde frei machen. Welch ein herrliches Mittel! Allen Menschen bietet es Heilung, Trost und Erlösung. Es ist ein göttlicher Idealismus, ein Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen; es ist die Wahrheit, die allen Irrtum zerstört.
Hätte Jesus den materialistischen Standpunkt eingenommen, auf dem so viele Christen stehen, so hätten seine Verheißungen wohl dahin gelautet, daß die von ihm gelehrte Wahrheit die Menschen wohl von Sünden befreien könne, daß aber viele Krankheiten ungeheilt bleiben müßten, viele Leiden unheilbar sein würden, bis man im Verlauf der Jahrhunderte als Ergebnis von Experimenten auf dem materiellen Gebiete die Mittel entdeckt habe, welche seit Anfang der Welt vom Vater bestimmt gewesen seien. Dieser Anschauung zufolge müßten selbst die Unschuldigen die schrecklichsten Qualen ruhig dahinnehmen und geduldig ertragen, weil sie ja ein Teil des göttlich verordneten Erziehungsplanes sind, der nur Gutes bewirken kann! Hätte Jesus derartiges gelehrt, oder hätte er eine solche Auffassung vom göttlichen Erlösungsplan irgendwie bestätigt, so wären die Anschauungen vieler seiner Nachfolger berechtigt. Wie sehr stehen doch diese Anschauungen im Widerspruch mit den messianischen Verheißungen, mit des Meisters Lehren und Taten und mit den menschlichen Bedürfnissen!
Die Christian Science erklärt, unsres Meisters Bezugnahme auf die Wahrheit als das Mittel gegen alle Leiden der Menschheit sowie seine Anwendung dieser Wahrheit sei dahin zu verstehen, daß jede Disharmonie, einschließlich Sünde, Krankheit und Tod, sowie die materielle Basis solcher Erscheinungen ein Irrtum ist; daß die Erlösung der Menschheit sich aus der Allheit Gottes, des Geistes und Seiner Kundgebungen ergibt (der allumfassenden Wirklichkeit, welche die Möglichkeit eines Gegenteils ausschließt), und daß das Erscheinen Christi das Inkrafttreten des göttlichen Gesetzes im menschlichen Bewußtsein bedeutet, wodurch selbst der Anspruch, daß es irgend etwas gebe, was Gott nicht gleich ist, ausgetrieben wird. Mrs. Eddy schreibt in ihrem Werk „Science and Health“: „Wir können und werden schließlich so weit emporsteigen, daß wir uns in jeder Richtung der Obergewalt der Wahrheit über den Irrtum, des Lebens über den Tod, des Guten über das Böse bedienen werden, und dieses Wachstum wird anhalten, bis wir die Fülle der göttlichen Idee erreicht haben” (S. 406). Dies ist der erhabene und doch äußerst einfache Idealismus, auf den uns die Christian Science hingewiesen hat; dies ist die „Kraft Gottes, die da selig machet”.
 
    
