Die Pharisäer hatten eifrig in der Schrift gesucht. Ihre Kenntnis vom Buchstaben des Gesetzes und der prophetischen Bücher war untadelhaft. Es sei hier darauf hingewiesen, daß sie auch diejenigen Schriften zu den Propheten zählten, die wir als die geschichtlichen Bücher zu bezeichnen pflegen. Sie unterschieden zwischen älteren und neueren Propheten, und ihre Kenntnis umfaßte die geschichtlichen Ereignisse sowie das überlieferte Zeremoniell. Überdies widmeten sie der bildlichen Auslegung des Schrifttextes die größte Sorgfalt, ja sie legten bisweilen darauf mehr Gewicht als auf die eigentliche geschichtliche Bedeutung. Dies tritt besonders klar hervor in den Worten: „Was aber mehr ... zu sagen ist”, die in den historischen Büchern des Alten Testaments immer wiederkehren. Daraus geht hervor, daß die jüdischen Chronikenschreiber mitunter unbedeutende Begebenheiten aus der Regierungszeit der Könige herausgriffen und schriftlich niederlegten — wenn sich nur eine moralische Lehre aus denselben ziehen ließ—, während sie andre Ereignisse, die der gewöhnliche Geschichtsschreiber für äußerst wichtig halten würde, außer acht ließen.
Ein solches Beispiel bietet uns die Erzählung von der Regierung Omris, die mit vier Versen abgetan wird, obgleich sie eine der wichtigsten Perioden in der Geschichte des Volkes Israel bildet. „Kein Historiker”, so schreibt einer der hervorragendsten Gelehrten der Jetztzeit, „hätte es unterlassen, über Omris Eroberung Edoms, die uns durch die Mesa-Inschrift bekannt ist, zu berichten, desgleichen über seine Beziehungen zu Damaskus, von denen wir zufällig durch das im Buche der Könige verzeichnete Gespräch zwischen Ahab und Benhadad erfahren. Hieraus muß man schließen, daß der Verfasser des Buches der Könige nicht so sehr bestrebt war, Geschichtsschreibung in unserm Sinne zu liefern, als eine Darstellung von Jehovas Verfahren mit dem Volke Israel zu geben. Als Quellen benutzte er diejenigen Dokumente, die er für historisch hielt.
Wenn also die Juden beim Suchen in der Schrift trotz der geistigen Lehren, die sie aus dem geschichtlichen Teile des Textes zogen, den Christus nicht finden konnten; wenn die Christenheit, mit dem hinzugekommenen Beweismaterial des Neuen Testaments in Händen und mit den Arbeiten ganzer Generationen der hervorragendsten Gelehrten ausgerüstet, keinen klareren Blick vom ewigen Leben zu erlangen vermochte, als ihn die Juden besaßen; wenn hingegen ein syrischer Zimmermann, von dem die Juden selbst mit Verwunderung sprachen: „Wie kann dieser die Schrift, so er sie doch nicht gelernet hat?” eine handvoll syrischer Landleute aus eben dieser Schrift das Geheimnis des Christus lehren konnte: so handelt es sich hier offenbar nicht um ein verstandesmäßiges Suchen, sondern um ein demutsvolles Forschen im Lichte geistiger Erkenntnis.
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