Eine der verbreitetsten irrigen Anschauungen in bezug auf die Christliche Wissenschaft, eine Anschauung, die angesichts der zahlreichen Demonstrationen der von der Christlichen Wissenschaft gelehrten Wahrheit fast unbegreiflich erscheint, ist die, daß diese Lehre bloß ein mentales Heilsystem sei, bei dessen Ausübung der Vertreter seine Gedanken auf den Patienten „konzentriere”. Diese Annahme beruht auf einem Glauben an Suggestion oder an die Einwirkung eines sterblichen Gemüts auf ein andres, wobei Gott, das göttliche Gemüt, das Prinzip des Menschen, völlig außer acht gelassen wird. Nun gibt es viele Leute, die sich der schädlichen Folgen, von denen die Ausübung dieser sogenannten „Kunst” begleitet ist, bewußt worden sind, und da sie meinen, die Christliche Wissenschaft sei auch eine Art Suggestion, verdammen sie diese Lehre. Hieraus erklärt sich zum großen Teil der Widerstand, den die Christliche Wissenschaft erfahren hat.
Es ist daher von großer Wichtigkeit, dem Forschenden klar zu machen, daß die Christliche Wissenschaft, das neu-alte Evangelium, die heilende und erlösende Botschaft, das größte Geschenk an die heutige Menschheit, mit der Ausübung von Hypnotismus oder Suggestion nichts gemein hat. In ihrer Botschaft von 1901 (S. 20) erklärt Mrs. Eddy den Standpunkt der Christlichen Wissenschafter bestimmt und klar, wenn sie sagt: „Christliche Wissenschafter sind keine Hypnotiseure, sie heilen weder durch das sterbliche Gemüt, noch durch blinden Glauben. Sie haben Glauben, haben aber zugleich Wissenschaft, Verständnis und Werke. Sie sind nicht die addenda, die et cetera oder neue Auflage des alten Irrtums, sondern sie sind, was sie sind, nämlich Schüler einer demonstrierbaren Wissenschaft, die den Zeitaltern vorangeht.”
Der hier hervorgehobene Unterschied wird jedoch so wenig verstanden, daß man sehr oft Leute sagen hört, sie hätten von jeher an die Herrschaft des Gemüts über die Materie geglaubt. Damit vermeinen sie der Christlichen Wissenschaft das Wort zu reden, beweisen aber tatsächlich eine sehr oberflächliche Kenntnis von der Sache, denn sie sehen den Unterschied nicht, den die Christliche Wissenschaft macht zwischen dem göttlichen Gemüt, Gott, und dem irrigen Glauben an ein von Gott getrenntes Gemüt, an eine von ihm getrennte Intelligenz, welche vermeintlich von dem eignen Willen oder einer stärkeren Mentalität beherrscht wird. Die Christliche Wissenschaft lehrt, daß der Mensch das unveräußerliche Recht hat, sich selbst zu regieren; daß er sich nicht selbst regiert, wenn er seinen eignen Willen zur Geltung bringt, sondern nur dann, „wenn er sich von seinem Schöpfer, der göttlichen Wahrheit und Liebe, richtig leiten und regieren läßt” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 106). Dies ist eine Unabhängigkeitserklärung, die keine Herrschaft einer menschlichen Mentalität über eine andre zuläßt.
Wissenschaft und Gesundheit sowie die andern Schriften Mrs. Eddys erklären uns deutlich, daß das göttliche Gemüt, von dem Christus Jesus beherrscht wurde, die einzige Macht ist, und daß dieses Gemüt das Prinzip und die Grundlage des christlich-wissenschaftlichen Heilens bildet. Durch die Demonstration dieser göttlichen Macht, die immer im Recht ist und den menschlichen Bedürfnissen stets entgegenkommt, werden heute wie zur Zeit Jesu die Kranken geheilt und die Sünder bekehrt. Hier wiederum ist die Unterscheidungslinie scharf gezogen. Niemals rechnete sich der Meister das Heilen der Kranken zum eignen Verdienst an, sondern er erklärte, er sei nur das Werkzeug zur Ausführung des Willens Gottes. „Ich kann nichts von mir selber tun”, sagte er; und ebensowenig kann der Christliche Wissenschafter die Kranken heilen und die Sünder umwandeln, es sei denn, das göttliche Gemüt, durch dessen Allmacht und Allgegenwart Irrtum jeder Art und jeden Grades völlig vernichtet werden muß, wirke in ihm. Die menschliche Willenskraft brüstet sich mit ihrer Herrschaft über den Willen eines andern, ohne daran zu denken, oder ohne zu wissen, daß sie sich dadurch zum Usurpator dessen stempelt, was der Menschheit von jeher teuer war, nämlich ihr Erbteil der Freiheit. Mag auch das, was menschliche Willenskraft erbaut, noch so schön erscheinen: es ist ohne Bestand, denn es beruht auf einem falschen Anspruch auf Stellung und Macht. Wie die Frucht des Sodom-Nachtschattens bei der Berührung in Staub zerfällt, so ist auch menschliche Willenskraft samt ihren sogenannten Heilungen vergänglicher Art.
Die Christliche Wissenschaft gründet ihre Demonstrationen auf die Allmacht des unendlichen Gemüts, in dessen Gegenwart das Böse keinen Aufenthaltsort findet. Sie erklärt, daß der Mensch, das Bildnis und Gleichnis Gottes, vollkommen ist, wie Gott vollkommen ist. Wenn sich der Christliche Wissenschafter fest an die Wahrheit hält, daß Gott die einzige Macht ist, und wenn er allein den von Gott erschaffenen vollkommenen Menschen anerkennt, dann spricht er „als einer, der Gewalt hat” (Zürcher Bibel), und Krankheit und Sünde, Irrtümer jeder Art weichen der Obergewalt des unsterblichen Gemüts. Da der Christliche Wissenschafter diese Demonstration wiederholt und wiederholt gemacht hat und ihm und andern dadurch dauernder Segen zuteil worden ist, so kann er mit Geduld auf die Wirkung des Sauerteigs warten. Er weiß, daß diese Wirkung fortdauern wird, bis jeder irrige Begriff, jede falsche Annahme weggeräumt ist und die Menschheit zwischen dem Wahren und dem Falschen zu unterscheiden vermag.