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In der Welt, nicht mit der Welt

Aus der Dezember 1912-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Nirgends können wir unsre Seligkeit besser ausarbeiten, als da, wo wir uns gerade befinden, keine Zeit ist günstiger als die gegenwärtige, denn unser Bewußtsein ist der einzige Ort, wo uns Gott als unser Erlöser erreichbar ist. Wir mögen uns einreden, es sei in einer andern Umgebung und unter andern Leuten leichter gut zu sein, doch hat uns nicht die Wahrheit diesen Gedanken eingegeben; denn wenn wir die Sache genau und ehrlich ins Auge fassen, werden wir zu der Überzeugung gelangen, daß kein Augenblick geeigneter ist dem Übel zu entsagen, als der jetzige. Wer es bis morgen aufschiebt, oder wer auf eine gelegenere Zeit wartet, gibt die Ansprüche des Bösen zu, und dessen Vernichtung wird mit jedem dahineilenden Augenblick schwieriger. Inmitten unsrer größten Schwierigkeiten, in den dunkelsten Stunden, in Gegenwart scheinbarer Weltlichkeit und Sinnlichkeit müssen wir anfangen Gott zu erkennen und uns bewußt zu werden, daß das sogenannte Böse uns nicht von Ihm trennen kann.

Jesu betete nicht, daß seine Nachfolger von der Welt genommen, sondern daß sie von dem Übel bewahrt werden möchten. Die Christlichen Wissenschafter haben es also nicht nötig, Heimat, Freunde, Beschäftigung oder den Schauplatz ihrer Tätigkeit zu verlassen, um ihrem Ideal treu zu bleiben. Sie brauchen nicht Asketen zu werden, ehe sie Gott in rechter Weise dienen können. Es wird nicht von ihnen verlangt, daß sie, um den größtmöglichen geistigen Fortschritt zu machen, sich in eine Kammer einschließen, die Gesellschaft von Freunden meiden und in selbstzufriedener Abgeschlossenheit leben sollen. Sie haben gelernt, daß Unkraut und Weizen durch Fortschritt getrennt werden (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 72), und daß man sie nicht mit den Wurzeln ausreißen darf, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob Wachstum und Entwicklung einen solchen Schritt rechtfertigen.

Es heißt die Christliche Wissenschaft mißverstehen, wenn man annimmt, sie verlange ein Verleugnen der relativ guten und angenehmen Dinge in der menschlichen Erfahrung, und dieses Verleugnen habe an und für sich Wert. Die Liebe zu materiellen Dingen nimmt naturgemäß in dem Maße ab, wie man das geistig Gute erkennen lernt. Aber ohne diesen geistigen Fortschritt wird Selbstverleugnung leicht zur Bußübung und bedeutet dann nicht mehr ein Dahintenlassen der Dinge, denen man entwachsen ist. Wir müssen die Dinge sowohl von dem relativen als von dem absoluten Standpunkt aus betrachten, weil wir sonst zu sehr den Buchstaben der Christlichen Wissenschaft betonen und diejenigen abstoßen, denen wir andernfalls Segen bringen könnten.

Solange der menschliche Begriff vom Dasein besteht, darf man seine Stellung in demselben nicht unberücksichtigt lassen noch sich seiner Pflicht entziehen, indem man die absolute Tatsache geltend macht, daß der Mensch geistig ist. Denn wer an echter Geistigkeit gewonnen hat, wird seine Arbeit in dieser Welt viel besser verrichten. Viele Dinge, die wir jetzt vom menschlichen Standpunkte aus für normal und richtig halten, werden wir ohne Zweifel dahinten lassen, wenn wir weiter vorgeschritten sind. Ehe wir jedoch diesen Fortschritt gemacht haben, müssen wir notwendigerweise mit menschlichen Zuständen rechnen. Nicht Willenskraft, nicht blinder Eifer, sondern die Umwandlung des Denkens und die Vergeistigung der Zuneigungen bringt Fortschritt und scheidet das Sinnliche und Unwirkliche aus.

Wahres geistiges Verständnis führt nicht zu törichten Experimenten oder exzentrischem Verfahren. Wer wirklich Fortschritte gemacht hat, legt nicht nur ein höheres Verständnis und eine größere Demut an den Tag, sondern er beweist sich auch in den gegenwärtigen Verhältnissen als ein brauchbarer Mensch. Die törichten Dinge, die zuweilen im Namen der Christlichen Wissenschaft geäußert werden, wenn auch in der besten Absicht, entspringen einem Mangel an Erfahrung in der Anwendung des Prinzips der Christlichen Wissenschaft, einer Unwissenheit hinsichtlich der großen Entfernung zwischen dem gegenwärtigen Zustand der menschlichen Annahme und der Vollkommenheit, die das Endziel des Christlichen Wissenschafters ist.

Jesus wußte recht wohl, wie unmöglich es ist, einen Sterblichen aus seinem sterblichen Begriff von der Welt herauszuführen, ehe seine Natur geistig umgewandelt ist und er den geistigen Begriff vom Sein erlangt hat — mit andern Worten, ehe er die Wiedergeburt erfahren hat. Zugleich aber wußte Jesus, daß es möglich ist, selbst in einer materiellen Umgebung sich von dem bösen Denken und Handeln der Welt frei zu halten. Man kann sich nicht zwingen, gut, liebevoll und christusähnlich zu sein, hingegen kann man in der richtigen Reihenfolge jeden Schritt aufwärts tun. Nur insoweit wir die wahre Natur des Menschen als die göttliche Idee oder Wiederspiegelung erkennen und die Wahrheit des Seins in gewissem Maße durch individuelle Demonstration uns zu eigen gemacht haben, können wir die materielle Welt verlassen. Diese geistige Wiedergeburt kann vor sich gehen, während man sich den als normal angesehenen Sitten und Bräuchen der Menschheit anpaßt.

Die Christlichen Wissenschafter halten unentwegt an der Wahrheit fest, daß der Mensch geistig und vollkommen ist, behaupten aber nicht, daß sie diese Wahrheit in ihrer Erfahrung bereits vollständig verwirklicht haben. Ihr hohes Ideal hilft ihnen jedoch dazu, mehr und mehr den Zustand des göttlichen Seins zu erkennen. Volles Bewußtsein wird nicht in einem Augenblick erreicht. Obgleich die Christlichen Wissenschafter die materielle Welt mit ihren Angelegenheiten als einen vorübergehenden Bewußtseinszustand betrachten, fühlen sie sich doch nicht frei von den Pflichten, die dieser Bewußtseinszustand mit sich bringt. Wenn wir gute Christliche Wissenschafter sind, sind wir viel bessere Bürger, Lehrer, Geschäftsleute, Handwerker und Taglöhner, als wir früher waren. Unsre Kenntnis von der Christlichen Wissenschaft und unsre Ausübung derselben macht uns zu besseren Freunden und Ratgebern, besseren Ehemännern und Ehefrauen, besseren Eltern und Kindern.

Der Geschäftsmann, der ein Christlicher Wissenschafter geworden ist, gibt aus diesem Grunde sein Geschäft nicht auf, falls es ehrenhaft und gesetzmäßig ist, sondern er beweist die Möglichkeit, ein Geschäft zu betreiben und dabei ehrlich und im höchsten Sinn ein Christ zu sein. Und so verhält es sich in all den verschiedenen Berufszweigen, in denen man sich zurzeit, da man sich der Christlichen Wissenschaft zuwendet, befinden mag. Lug und Trug führen nicht zum Erfolg im Geschäft, noch bilden Klatscherei, Verleumdung oder gedankenloses Geplauder eine gute Atmosphäre im gesellschaftlichen Umgang. Die Christliche Wissenschaft befähigt ihre Anhänger, sich das Geschäft und die Gesellschaft zur Förderung dienstbar zu machen, anstatt sich in den Ruhestand zu begeben. Mrs. Eddy sagt von Jesus, der Christus, die geistige Idee, habe ihn „zu einem ehrlichen Menschen, einem guten Zimmerman, einem guten Menschen” gemacht, bevor sie ihn zu dem „Verherrlichten” gemacht habe („Miscellaneous Writings“, S. 166). Nicht anders verhält es sich mit den übrigen Menschen.

Das Geistige und das Materielle sind zwei entgegengesetzte Gedankenzustände. Niemand kann nach eignem Belieben von dem einen Zustand zu dem andern übergehen, denn der Übergang vom niedreren zum höheren kann nur durch besseres Denken stattfinden. Der Einsiedler früherer Tage, der sich von der Welt zurückzog, ihren Freuden entsagte, seine Pflichten den Mitmenschen gegenüber mied und seinen Leib durch Fasten und Geißeln kasteite, erlangte dadurch keinen höheren Grad der geistigen Gesinnung und war um nichts fähiger, in den Himmel einzugehen. Die Wiedergeburt muß mit dem Denken beginnen. In dem Maße, wie sich das Denken zu höheren Ebenen erhebt, fallen die gröberen Elemente der menschlichen Annahme von selber weg. Als Christliche Wissenschafter ist es unsre Pflicht, unser geistiges Licht gerade in unsrer jetzigen Umgebung so leuchten zu lassen, daß durch unser Beispiel andre sehen mögen, wie man den Übeln dieser Welt entrinnen kann.

Wenn man die sogenannten guten Dinge des materiellen Daseins um ihrer selbst willen sucht, so ist das natürlich nicht christlich-wissenschaftlich. Der Christliche Wissenschafter weiß, daß der Wert irdischer Dinge nur ein relativer und vorübergehender ist. Hingegen vermag niemand das Beste in dieser Übergangs-Erfahrung mehr zu würdigen, als diejenigen, die danach streben, sich von der Welt unbefleckt zu erhalten. Wir müssen ein gutes menschliches Leben führen, ehe wir das göttliche Leben erreichen können. Man mag über geistige Dinge recht schön reden können, doch nur dadurch, daß man Güte und Liebe durch die Tat zum Ausdruck bringt, beweist man seinen Fortschritt. Ein jeder kann Gott am besten da dienen, wo seine Pflichten zurzeit liegen. Dieser Gottesdienst besteht nicht zum geringsten Teil darin, daß man seine zeitweilige sogenannte materielle Arbeit treu verrichtet und die gegenwärtigen Zustände nach Vermögen bessern hilft. Wenn wir unser Werk vollendet haben, werden wir, wie der Meister, die Welt überwunden haben.

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