Trotz all der Freude, die die Weihnachtstage mit sich bringen, kommen die meisten aufmerksamen Menschen früher oder später zu der Einsicht, daß das in dieser Zeit übliche Geschenkegeben in der Regel nicht rechter Art ist. Nur zu oft gleichen die Gaben einer Blume ohne Duft, einem Sonnenuntergang, dem die herrlichen Farbentöne fehlen. Die Form ist gefällig, aber sie hat kein warm pulsierendes Herz. Der Grund liegt darin, daß selbstsüchtige Berechnung vielfach der Anlaß zum Geben ist. Dem Geben fehlt der selbsttätige Trieb. Es mag Wohlwollen zum Ausdruck bringen, ist aber nicht frei und natürlich. Wenn hingegen eine Gabe ein liebevolles und vielleicht aufopferndes Bemühen, dem Bedürfnis eines andern entgegenzukommen, zum Ausdruck bringt, so wird die gute Absicht erkannt und macht einen unauslöschlichen Eindruck. Geben wir aber nur, weil es der 25. Dezember ist und an diesem Tage Geschenke von uns erwartet werden, oder weil wir glauben, uns durch Geschenke einer Verpflichtung gegen andre entledigen zu müssen, so ist das Geben ohne Wärme und Leben. Unsre Feier trägt dann mehr einen heidnischen als einen christlichen Charakter.
Der Geist des wahren Christfestes ist der Geist der Liebe, und Liebe besteht ewig. Von dem Altar ihres reinen Herzens steigt der Weihrauch immerwährend empor. Wir können nicht umhin, die Zeit eines menschlichen Ereignisses anzugeben; aber die höhere Art der Weihnachtsfeier besteht darin, daß man des Erscheinens der göttlichen Wahrheit gedenkt, deren Strahlenglanz jeden Morgen und jeden Abend des Jahres erleuchtet. Anstatt sich den bestehenden Sitten und Bräuchen blindlings unterzuordnen, sollte es einem zur Gewohnheit werden, bei jeder Gelegenheit das Richtige zu reden und zu tun — andern Gutes mitzuteilen, wo es erforderlich ist.
Wenn wir zu Weihnachten ein Geschenk erhalten, so sagen wir wohl: „Das war recht schön von ihm”, möge uns auch der Geschmack des Gebers sehr sonderbar vorkommen. Gibt uns hingegen im Laufe einer mühe- und sorgenvollen Woche jemand einen Beweis seiner Anerkennung unsrer Bemühung, unsre schwere Last mutig zu tragen, dann sagen wir: „Wie lieb war das doch von ihm”, und durch die Tränen der Dankbarkeit hindurch erscheint uns der Himmel auf Tage hinaus viel klarer.
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