Skip to main content Skip to search Skip to header Skip to footer

Unsre Leser

Aus der Juli 1912-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Die Frage, in welcher Weise die Leser in den Christian Science Kirchen die Bibellektionen vortragen sollen, ist von wesentlicher Bedeutung für das Wachstum unsrer Sache. Es liegt in der Natur des menschlichen Geistes, sich Geltung verschaffen zu wollen. Wenn diese Anmaßung mit dem Buchstaben der Christian Science angetan einherschreitet, muß sie sorgfältig gemieden werden, ganz besonders von denen, die das Vorrecht genießen, in den Christian Kirchen zu lesen.

Die Neigung, das eigne Ich zur Geltung zu bringen, wird von dem neuen Leser nicht immer bemerkt. Wenn er sie nicht gewahr wird und sie nicht überwindet, so wird sein Studium und Lesen der Lektion gar zu leicht mühevoll und gezwungen. Er fragt sich wohl manches Mal, warum sein Lesen nicht in ihm selbst und in seinen Zuhörern die Beruhigung und den Frieden hervorruft, der seinem Gefühl nach die natürliche Folge sein sollte. Denkt er aber ernstlich nach, so wird es ihm klar werden, warum diese erwünschten Folgen ausbleiben. Wenn der Leser unter dem Einfluß des Eigenwillens steht oder von ungebändigten Impulsen beherrscht wird, so überträgt er gar zu leicht seinen Gemütszustand auf andre, und die Folge ist, daß die, die ihn hören, mehr oder weniger von derselben Stimmung erfaßt werden. So kann durch den Einfluß des Lesers Eigenwille sich breit machen, und derselbe verdrängt dann das reine Christentum, das nötig ist, um die reformatorische Arbeit zu vollführen, derentwegen die Gottesdienste eingerichtet sind. Ernstes Studium, Wachstum, Demut und sorgfältige Selbstprüfung ist nötig, um die eigenwilligen Triebe der sterblichen Gesinnung aufzudecken und zu besiegen. Der Eigenwille kann nicht zum Frieden, zur Heilung, ja nicht einmal zum Verständnis des in Frage kommenden Gegenstandes führen.

Der Eigenwille erscheint in einer seiner schleichendsten Formen, wenn er den Leser zu der Annahme verleitet, daß sein Erfolg als Leser und der Erfolg der Gottesdienste von seiner speziellen Auffassung der Lektion abhänge. Von dem Wunsch erfüllt, seine Auffassung klar zu machen, kommt es bei ihm leicht zu einer unstatthaften Betonung gewisser Wörter und Sätze. Es ist zwar wahr, daß der Erfolg der Gottesdienste zum großen Teil von dem mentalen und geistigen Zustand des Lesers und von der Art und Weise, wie er die Lektion liest, abhängt; aber ein Leser, der derartig betont, daß er durch sein Lesen die Gemeinde sozusagen zwingt, seine persönliche Auffassung anzunehmen, begeht einen großen Fehler. Der Gedanke des Hörers wird dadurch von der unpersönlichen Betrachtung des behandelten Themas abgezogen und richtet sich auf den speziellen Gedanken, den der Leser zu übermitteln sucht. Das hindert gar leicht den Hörer daran, durch eignes Forschen so viel von der Wahrheit zu erfassen, wie die Entwicklungsstufe, auf der er steht, es zuläßt. In fast jeder größeren Gemeinde wird es Leute geben, deren Temperament sich Äußerlichkeiten zuneigt, bevor es genügend durch die Wahrheit geläutert ist. Aber das, was die Sinne anspricht, mag man es auch noch so fein unter dem Buchstaben verbergen, wird nicht zur geistigen Entwicklung der Zuhörer beitragen, noch wird es den müden Wanderer trösten, der zur Versammlung gekommen ist, um die heilende Quelle der Wahrheit zu finden.

Die Tatsache, daß beim Vortragen der Lektion kein aufdringliches Betonen stattfinden sollte, und daß die Persönlichkeit sich nicht hervortun darf, wurde vor einiger Zeit einem Scientisten sehr klar, als er sich nach dem Gottesdienst mit vier Personen unterhielt und dabei entdeckte, daß ein jeder einen verschiedenen Eindruck von der Lektion empfangen hatte, obschon alle diese Eindrücke gleich erbauend und hilfreich waren. Das Lesen war ruhig und gelassen gewesen, ohne jede Aufdringlichkeit, aber eindrucksvoll und von geistigem Verständnis durchdrungen. Es war der Art, daß man über der Betrachtung der Bibellektion den Leser ganz vergaß. Daß dieselbe Lektion auf vier verschiedene Leute eine verschiedene, aber in jedem Fall eine belehrende und anregende Wirkung hatte, zeigt sehr nachdrücklich, daß es jedem Zuhörer überlassen werden sollte, diejenigen Wahrheiten aus dem gegebenen Thema zu sammeln, die er gerade braucht. Auf diese Weise wird der Gottesdienst den größten Segen stiften; er wird viel mehr Gutes wirken, als wenn er die persönliche Ansicht eines Menschen zum Ausdruck bringt.

Ist der Leser gefaßt und besonnen und ist seine Auffassung verständnisvoll, so wird sich Kraft und Friede in seiner Erscheinung ausprägen und er wird Vertrauen und Respekt einflößen. Sein ruhiges, verständliches, von aller aufdringlichen und dogmatischen Betonung freies Lesen wird dann im Geiste des Zuhörers eine betrachtende, analysierende Gedankentätigkeit anregen, durch die dessen Geist die Wahrheit assimiliert. Das ist doch sicher der Zweck unsrer Gottesdienste. Wenn wir darauf hindeuten, daß eine ungebührliche Betonung unrichtig ist, so ist damit nicht gesagt, der Leser solle seine Auffassung der Lektion aufgeben oder er solle nicht nach tief geistigem Verständnis des Gegenstandes streben. Zu vermeiden hat der Leser jedoch eine Betonung, die dem Zuhörer fortwährend seine eigne Auffassung aufnötigt, statt es der Wahrheit zu überlassen, dasjenige in dem Gedanken des Zuhörers zu entwickeln, was er am besten zu verstehen imstande ist. Da auf unsrer jetzigen geistigen Entwicklungsstufe niemand fähig ist alles, was eine Lektion enthält, zu verstehen, so ist es besser, wenn durch das Lesen der Einzelne dazu geführt wird, sich aus der Lektion diejenigen Brocken Wahrheit, die er verdauen kann, selbst auszusuchen.

Es war gewiß nicht überflüssig, daß Mrs. Eddy in Bezug auf die Leser vorschrieb, sie müßten sich „von der Welt unbefleckt — vom Übel unberührt — halten, damit die geistige Atmosphäre, die von ihnen ausgeht, Gesundheit und Frömmigkeit befördert — ja das geistige Verlangen, das der ganzen Welt so Not tut” (Kirchenhandbuch, Art. III, Abschn. 1). Es ist klar, daß, wenn die in diesem Paragraphen ausgestellten Forderungen erfüllt werden, der Eigenwille weder den Leser noch den Zuhörer täuschen kann. In demselben Paragraphen sagt Mrs. Eddy, das Gedeihen der Christian Science hänge zum großen Teil von dem Lesen der Lektionspredigten ab, und an andrer Stelle erklärt sie, während unsrer Versammlungen sollten Heilungen stattfinden. Dies darf man erwarten, da der Gottesdienst der Gemeinde in gewissen Grade das bieten sollte, was der ausübende Vertreter dem Einzelnen bietet.

Nehmen wir an, zum ausübenden Vertreter kommt ein Hilfesuchender, der irgendeinem mesmerischen Gedanken zum Opfer gefallen ist, welcher im Körper als Physische Störung Ausdruck gefunden hat. Der Heiler versucht die Gedanken des Patienten von seinen Leiden abzuziehen und sie emporzuheben zur Betrachtung des vollkommenen Menschen. Während die Erläuterung stattfindet, wird das Interesse des Patienten wach und er vertieft sich in eine neue Geistesrichtung. Die Wahrheit dringt in sein Bewußtsein ein und vertreibt die falschen Begriffe, auf die sie stößt, und nachdem sie die spezielle Annahme, durch die das Leiden verursacht wurde, beseitigt hat, ist der Leidende frei von seiner Krankheit. In derselben Weise kommt der Fremde mit irgendeiner mentalen oder physischen Disharmonie behaftet zu den Gottesdiensten und hört da in der Lektion die Wahrheit über Gott und über die Beziehung des Menschen zu Gott. Ist nun der Gedanke des Zuhörers für die Darlegung der Wahrheit offen, so dringt diese in sein Bewußtsein ein und vernichtet das Übel. Wenn daher die ganze Gemeinde sich mit den durch die Lektion überlieferten Gedanken der Wahrheit beschäftigt, so dringt diese Wahrheit in das Bewußtsein der Anwesenden ein und vernichtet in demselben Krankheit und Sünde. Auf diese Art verrichtet die Lektion eine wundervolle Arbeit für die Erneuerung und Genesung der Menschheit.

In Anbetracht der großen Chancen, die sich unsrer Sache jetzt bieten, besonders hinsichtlich der Gelegenheit, durch die Gottesdienste das menschliche Bewußtsein zu vergeistigen, ruht auf jedem Schüler der Christian Science eine Verantwortung, die einzig in ihrer Art ist und die darin besteht, daß man die Gelegenheiten bis zum äußersten verwertet; d.h. jeder Einzelne muß sich in Demut sorgfältig prüfen, wie er sich zu dem Gottesdienst stellt und wie weit er mitwirkt bei einem Gottesdienst, der zu keinem andern Zweck eingerichtet ist, als dem, der Menschheit Zutritt zu dem „lebendigen Wasser” zu ermöglichen, das heute wie immer die Menschheit heilt und segnet.

Wenn Sie mehr Inhalte wie diese erforschen möchten, können Sie sich für wöchentliche Herold-Nachrichten anmelden. Sie erhalten Artikel, Audioaufnahmen und Ankündigungen direkt per WhatsApp oder E-Mail. 

Anmelden

Mehr aus dieser Ausgabe / Juli 1912

  

Die Mission des Herolds

„... die allumfassende Wirksamkeit und Verfügbarkeit der Wahrheit zu verkünden ...“

                                                                                                                            Mary Baker Eddy

Nähere Informationen über den Herold und seine Mission.