Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet”, sagte Christus Jesus. Dies Gebot, das der geliebte Jünger so oft wiederholte, kann man am besten verstehen, wenn man es neben die Erklärung des Meisters stellt, daß die Wahrheit frei macht; denn dadurch tritt die Wesenseinheit von Wahrheit und Liebe und ihre Übereinstimmung mit dem tätigen Prinzip des Weltalls klarer zutage. „Liebe ist der Befreier”, sagt Mrs. Eddy (Wissenschaft und Gesundheit, S. 225). Die befreiende Macht der Wahrheit und Liebe ist es, die im Evangelium besonders zutage tritt, im Gegensatz zum Gesetz, von dem man im allgemeinen glaubt, es sei starr und unnachgiebig und biete dem Übertreter keine Hoffnung und Ermutigung. Liebe spricht einen jeden an. Man erkennt sofort, daß sie nachsichtig ist. Umstände in Betracht zieht, selbst einer Magdalena erlaubt, ihre Sache darzulegen, jeden Milderungsgrund berücksichtigt und mit Milde urteilt.
Wenn man der „guten Botschaft”, daß Liebe die Triebfeder jeder göttlichen Tätigkeit ist, die weitere Tatsache hinzufügt, daß sich Liebe in Liebe wiederspiegelt (siehe Wissenschaft und Gesundheit, S. 17), daß sie uns in den Blüten und Früchten reiner menschlicher Zuneigung nahegebracht werden soll, dann gewinnt selbst der in den bescheidensten Verhältnissen lebende Mensch einen ermutigenden Ausblick auf die sich ihm bietenden Möglichkeiten. Wir haben alle mehr oder weniger bestimmt geglaubt, daß Gott der Menschheit in höherem Maße geoffenbart werden wird und daß die Erlösung damit in Verbindung steht. In Augenblicken klarer geistiger Anschauung, oder zur Zeit eines besonderen Ereignisses haben wir vielleicht schon mit Jakob ausgerufen: „Gewißlich ist der Herr an diesem Ort”. Wie schwach war jedoch unsre Erkenntnis der Tatsache, daß Gott gerade zu solchen Zeiten sich uns offenbaren will. Wenn wir in der Christlichen Wissenschaft die Wahrheit des Seins und somit unser besseres Selbst erkannt haben, wird uns die Widerspiegelung des Wirkens der Liebe offenbar, und indem dann unsre Sanftmut und unser Wohlwollen an Christusähnlichkeit und Beständigkeit zunimmt, beginnen unsre unausgesprochenen Worte die Wirkung zu haben, die, der Bibel zufolge, dem Schatten des Petrus eigen war. Wir bringen dann unserm Mitbruder die Kraft und das Sonnenlicht der Wahrheit, und zwar oft ganz unbewußt.
Dies gibt unserm Leben erst den wahren Wert. Wir bekommen einen Schimmer von der Herrschaft der Christus-Idee und lernen unsern Nächsten lieben wie uns selbst. Wir fangen an, jene Liebe gegen Gott und den Menschen auszudrücken, von der Jesus sagte, sie umfasse „das Gesetz und die Propheten.” Diese Liebe ist in nicht geringem Maße das Resultat verständnisvoller Teilnahme. Niemand wird irgendwelchen Wesen, die er sich als Freunde denkt, Schaden zufügen, seien es auch nur die harmlosen Tiere des Feldes und Waldes. Er wird sie nicht aus purer Liebe zum Sport töten oder ihnen unnötig Pein bereiten. Er lernt sie verstehen und gewinnt immer mehr Interesse für sie. Er bringt in gewissem Maße das Mitleid und Erbarmen der unendlichen Liebe zum Ausdruck. Die wahrhaft hilfreiche Zuneigung ist stets verständnisvoll. Sie sieht die Dinge im besten Lichte, ist aber weise in ihrer Fürsorge für andre.
Mögen wir es auch nur schwach verstehen, so ist es doch Tatsache, daß wir in dem Maße, wie wir ein echtes Leben der Liebe führen, Mitarbeiter Gottes werden. Dies ist ebenso einfach wie die Erklärung, daß die Kraft und die Eigenschaften des Lichtes selbst in den wenigst reflektierten Strahlen zum Ausdruck kommen, denn Liebe verleiht „der geringsten geistigen Idee Macht, Unsterblichkeit und Güte” (Wissenschaft und Gesundheit, S. 518). Deshalb sagt Johannes: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott.” Diese Einheit des Prinzips und Seiner Ideen ist eine der wichtigsten Lehren der Christlichen Wissenschaft, eine Lehre, die erhebend auf die Menschen wirkt und die ganze Menschheit segnet. Diejenigen, die ihren Mitmenschen stets Wohlwollen entgegenbringen und die durch die Lehren der Christlichen Wissenschaft die heilende und erneuernde Kraft der göttlichen Liebe an sich erfahren haben, sind im Besitz des Friedens, „welcher höher ist denn alle Vernunft” und welchen die Welt nicht nehmen kann.
