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Des Menschen Erbteil

Aus der April 1913-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


In der überaus reichen Tagesliteratur und in dem schnell dahineilenden Strom der allgemein herrschenden Denkweise wird die Erblichkeitslehre ausschließlich von einem materialistischen und pessimistischen Gesichtspunkt aus betrachtet. Sie wird weit eher mit finsteren Mächten als mit der Macht des Guten in Beziehung gebracht. Der allgemein verbreitete Unglaube in bezug auf geistige Dinge, sowie die herrschende Unwissenheit hinsichtlich der ewigen Wahrheit ist der Grund, weshalb Erblichkeit in unserm Leben für einen mächtigeren Faktor und (wenn auch unbewußt) für eine stärkere Macht gehalten wird, als die unendliche Liebe.

Durch die unberechtigte und ungesetzliche Tätigkeit des fleischlichen Sinnes, der „eine Feindschaft Wider Gott”, ja das ungelöste und unlösbare „Geheimnis der Bosheit” ist, wurde das Eindringen einer Flut verderblicher Einflüsse möglich, die der Erhabenheit des dem wahren Menschen innewohnenden göttlichen Wesens scheinbar entgegenwirken. Und so ist Erblichkeit für den materiellen Sinn scheinbar zu einer Macht herangewachsen, mit der man in unzähligen Menschenleben rechnen muß. Wenn auch nach den strengen Forderungen des alten ebräischen Gesetzes die Kinder derer, die Gott und Sein Gesetz haßten, wegen der Väter Missetaten heimgesucht werden sollten (wohlgemerkt, als Folge dieser Missetaten, nicht aus eigner Schuld), so sollte doch zugleich Gottes Freundlichkeit und Güte an Tausenden von Geschlechtern offenbar werden, die Ihn lieben und Seine Gebote halten würden. Die physischen und moralischen Folgen des Unrechttuns der Väter sollten im Verlauf der Jahre beseitigt werden, während das gesunde Ergebnis ihrer Tugenden sich ewig fortpflanzen sollte. In einem späteren biblischen Bericht heißt es, Gott habe durch den Mund des Propheten Hesekiel erklärt: „Welche Seele sündigt, die soll sterben. Der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters, und der Vater soll nicht tragen die Missetat des Sohns”. Täglich sehen wir Kinder, die von denselben Eltern geboren und in derselben Umgebung aufgewachsen sind, denen dieselbe sorgfältige Erziehung und Rücksicht, derselbe Rat zuteil wird, die zusammen aus der Jugend in das reife Lebensalter treten, deren Wege und Ziele aber einander so entgegengesetzt sind wie die Pole. Es scheint oft erfolglos, zu dem fleischlichen Sinn zu sagen: „Bis hieher sollst du kommen und nicht weiter”, oder: In dieser oder jener Art soll sich dein Leben gestalten. Oft kommen aus demselben Hause zwei Menschen, die sich schon auf der Schwelle trennen, der eine, um zur Höhe der Sittlichkeit und Rechtschaffenheit emporzusteigen, der andre, um in die Tiefen der Verkommenheit hinabzusinken, bis seinem Bewußtsein schließlich die Forderungen des göttlichen Gesetzes aufgehen.

Wir sind es gewöhnt, viele der sonderbaren Widersprüche des sterblichen Daseins und der sterblichen Sinnesart dadurch zu erklären und einen beträchtlichen Teil des durch den einzelnen zum Ausdruck gebrachten Übels dadurch zu entschuldigen, daß wir diese Abnormitäten einem scheinbar unabänderlichen und unvermeidlichen Erblichkeitsgesetz zuschreiben. Der Scheinwerfer der göttlichen Lauterkeit und Gerechtigkeit strahlt durch all die Menschenalter bis auf unsre Zeit, Entschuldigungen und Ausflüchte aller Art durchdringend und durchleuchtend. Paulus sagte: „Irret euch nicht. Gott läßt sich nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten.” Die Ernte eines Menschen richtet sich aber nicht nach der Saat der Väter, sondern nach der eignen.

Es ist widersinnig, beleidigt das Gerechtigkeitsgefühl und widerspricht der Heiligen Schrift, wenn man annimmt, daß ein moralischer oder physischer Makel von einem Menschengeschlecht auf das andre übertragen werden könne, und daß es keinen Schutz und kein Mittel gegen denselben gebe. Niemand braucht zu klagen oder zu verzweifeln, wenn er der Hindernisse und Schwierigkeiten gewahr wird, die sich bei seinem Eintritt ins sterbliche Dasein etwa vorfanden. Hiob gab seiner anfänglich pessimistischen Anschauung mit den Worten Ausdruck: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit, und ist voll Unruhe”. Später aber, als er sich eines Besseren besonnen hatte, sagte er: „Ich hatte von dir mit den Ohren gehört; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum schuldige ich mich, und tue Buße in Staub und Asche.” Paulus empfand deutlich die Knechtschaft des sterblichen Sinnes, und rief daher aus: „So finde ich mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, daß mir das Böse anhanget.” Als sich ihm aber das Wesen des hohen Geburtsrechtes und des verklärten Seins der Kinder Gottes erschloß, sprach er: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.”

Unser Gott ist ein gerechter Gott, dem Parteilichkeit oder Vorurteil fremd ist. Seine Weisheit ist unendlich; daher wird Sein Wirken weder durch Unwissenheit noch durch unbedachtes Handeln beeinträchtigt. Seine Name ist Liebe, und diese Eigenschaft Seines Wesens ist für uns am ehesten erkennbar. Er versteht die im Bereich der Menschen liegenden Möglichkeiten, denn Er schuf den Menschen zu Seinem Bilde und gab ihm Fähigkeiten und Kräfte, die den Seinen gleichen. Der göttliche Vater erwartet billigerweise große Dinge von denen, die den Schauplatz des Lebens betreten, gerüstet mit dem „Harnisch Gottes”. Denen, die die höheren Lebensfragen anscheinend nicht zu lösen vermocht haben, wird Er von den biblischen Verfassern als ein stets barmherziger, geduldiger, freundlicher und gerechter Gott dargestellt, der diese Eigenschaften in einem unsern Begriff unendlich übersteigendem Maße besitzt.

Der himmlische Vater wirkt im weitgehendsten Sinn, um aus uns rechte Kinder des Reichs, vollerwachsene Menschen in Christo Jesu. Könige und Priester vor Ihm zu machen. Die Wahrheit hilft uns jedoch erst dann, wenn wir auf ihre Forderungen eingehen. Die Schritte, die wir in unsrer Einfältigkeit und Blindheit als schwierig und beschwerlich empfinden, sind vom menschlichen Standpunkt aus oft notwendig zur Entwicklung des Charakters, der geistigen Energie und des geistigen Lebens. Ein jeder muß schaffen, daß er selig werde — nicht etwa, weil dieses Schaffen an sich etwas besonders Verdienstvolles ist, sondern weil diese Seligkeit nicht anders als durch eigne Anstrengung erlangt werden kann. Wir können nicht für unsre Kleinen gehen lernen, wir können nicht den Weg der Erkenntnis für unsre Söhne und Töchter betreten, nicht unsre Erfahrungen auf die Jugend im Kreise unsrer Familie übertragen. Wir können für sie weder auf dem Berge der Versuchung noch auf dem Berge der Verklärung stehen, können nicht ihren Charakter für sie gestalten. Wir ermutigen sie zu weiterem Streben, haben ein mitfühlendes Herz, wenn sie Fehlschläge erlitten haben, helfen ihnen wieder auf, lassen ihnen Liebe und Güte in vollem Maße angedeihen und sind bestrebt, die Allmacht und Allgegenwart Gottes zu demonstrieren. Mehr können wir nicht tun.

Die Unschuld des Kindes ist wunderbar zart und schön; die durch Prüfungen und ernstes Streben erreichte Tugend des gereisten Menschen ist erhaben. Auf der menschlichen Bewußtseinsebene würde Mut eine unentdeckte Eigenschaft bleiben, wenn sie getrennt von Zuständen der Gefahr bestände. Mitgefühl für die Leiden andrer ist oft bei denen, die selbst nie gelitten haben, in nur geringem Maße vorhanden. Der Heldenmut verkümmert, wo es nicht gilt, Schwierigkeiten zu überwinden, das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu bekämpfen, die Höhen einer scheinbaren Unmöglichkeit zu erklimmen. Wahre Freude und dauernde Befriedigung sind nicht das Ergebnis irdischen Besitztums, sondern sie sind die Frucht des Gehorsams gegen die Stimme des Gewissens, ungeachtet des damit verbundenen Kämpfens und Leidens. Wir, die erwachsenen Kinder, werden durch göttliche Verfahrungsarten in der Richtung des geistigen Verständnisses erzogen — durch Verfahrungsarten, die unserm gegenwärtigen Sinn bisweilen unverständlich erscheinen, die aber niemals grausam sind.

Der hohen Forderung gegenüber, daß wir als Kinder vollkommen sein sollen, gleichwie der Vater im Himmel vollkommen ist, haben sich selbst ernste und getreue Christen eines Gefühls der menschlichen Ohnmacht nicht erwehren können. Es schien dieses Gebot der armen, wankelmütigen Menschheit die Aufgabe zu stellen, den sterblichen, sündigen, kranken, leidenden und bekümmerten Menschen mit der unveränderlichen, unwandelbaren und absoluten Vollkommenheit des ewigen Gottes in Einklang zu bringen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine große Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Lehre von der Vollkommenheit der Kinder Gottes, und es mehrten sich die Sekten. Der Bericht steht jedoch auf ewig fest, daß der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen ist und ein mentales und geistiges Erbe hat, das seinem Wesen nach ganz göttlich ist und das wegen der untrennbaren Beziehung vom Prinzip zur Idee, von der Wirklichkeit zur Widerspiegelung niemals gestört noch aufgelöst werden kann.

Da der Mensch von Gott erschaffen ist und in Ihm lebt, webt und sein Dasein hat, so kann er unmöglich einen Hang zum Übel oder eine Neigung zur „Übertretung des Gesetzes” [Zürcher Bibel] ererbt haben. Mrs. Eddy sagt: „Der Mensch ... kann unter der Regierung Gottes in der ewigen Wissenschaft unmöglich von seiner hohen Würde herabsinken”, und an andrer Stelle: „Wenn der Mensch dem göttlichen Geist untertan ist, kann er nicht von Sünde oder Tod beherrscht werden”; und abermals: „Der wirkliche Mensch kann von der Heiligkeit nicht abweichen” (Wissenschaft und Gesundheit, SS. 258, 125, 475).

In Wirklichkeit ist das Gesetz der Erblichkeit nicht der Art, daß es unsre Verhaftung und unsre Verurteilung zu vorübergehender oder dauernder Einkerkerung hinter dunkeln Gefängnismauern verlangt; vielmehr ist es die königliche Urkunde der Kinder Gottes, die uns bis zu den höchsten Höhen reiner Freude emporhebt, in die Gemeinschaft der Weisen, Guten und Starken aller Zeiten; die uns in die ewige Gegenwart des Lebens, der Wahrheit und Liebe versetzt, wo volle Freude auf ewig herrscht. Der Gedanke, daß der Mensch als Gottes vollkommenes Kind ein unveräußerliches Geburtsrecht hat, bildet einen wohltätigen und gesunden Antrieb, der das Wesen des Menschen als eine harmonische und vollkommene Widerspiegelung des Wesens des Schöpfers dauernd zur Entfaltung bringt. Es entspricht jedenfalls dem göttlichen Plan, daß alle Gaben und Vorzüge des Verstandes und Willens, daß Reinheit, Stärke, Freude und Heiligkeit durch die unübersehbare Folgenreihe der Kinder Gottes hindurch bis zur Vollkommenheit aller Dinge übertragen werde.

In der erhabenen Erklärung, die in jedem christlich-wissenschaftlichen Gottesdienst in allen Teilen der Welt gelesen wird, sagt der geliebte Jünger: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen! ... Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder, und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.” Weiter heißt es von dem, der „nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott” geboren ist, er werde die Welt überwinden —„des Fleisches Lust und der Augen Lust und hoffärtiges Leben.” Der Bibel zufolge sind wir „Kinder des Lichtes und Kinder des Tages”, „Hochzeitsleute”, „Kinder des Allerhöchsten”, „Kinder der Auferstehung”. Mit diesen und andern Worten wird die enge Beziehung, das innere Verhältnis zwischen uns und dem Vater gekennzeichnet. Es ist nicht unser Los, in den dunkeln Schatten des Zweifels, der Ungewißheit und Hilflosigkeit zu wandeln, sondern wir sollen uns in dem Licht des Lebens, in dem Licht des vollkommenen Tages freuen. Wir sind nicht zur Einsamkeit und zu einem Zustand des Mitleids mit uns selber verurteilt, sondern werden der frohen Gemeinschaft der Erlösten beigezählt. Sünde, Krankheit, Tod und Grab haben keine Macht über uns, sondern wir sind zur Erbschaft des Friedens, der Reinheit und Macht berufen, indem wir den alten Menschen mit seinen Lüsten abgelegt und den neuen Menschen, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, angezogen haben. Wir befinden uns nicht in der Knechtschaft und sind nicht von Mühsalen, Leiden und Ängsten umgeben, sondern werden hoch emporgehoben und mit der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes” bedacht.

Die Lehre, daß des Menschen Erbteil nicht sterblicher, sondern göttlicher Art ist; daß der Mensch kein Knecht ist, sondern ein Sohn; daß er kein Spielball des Schicksals ist, sondern das Lob dessen verkünden soll, der uns auf ewig zur göttlichen Kindschaft erhoben hat: diese Lehre steht mit an erster Stelle in der Christlichen Wissenschaft. Sie wird in allen Werken Mrs. Eddys erläutert, und zwar so oft und eingehend, daß es nicht nötig ist, auf die hierauf bezüglichen Stellen besonders hinzuweisen. Das einzige der Christlichen Wissenschaft bekannte Erblichkeitsgesetz, durch welches das göttliche Gemüt wirken kann, ist das unwandelbare Gesetz des ewig Guten, das uns in der Stunde der Not die Unbegrenztheit der ewigen Liebe offenbart.

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