Die Bibel ist für den Durchschnittsleser voller Rätsel und sich scheinbar widersprechender Behauptungen, welche auch dem Gemüt des beharrlicheren Schülers verwirrend scheinen. Daraus erfolgt zu oft Entmutigung, und das größte der Bücher der Welt wird auf einen Tisch gelegt, wo man es sehen kann, jedoch selten liest, oder auch auf das oberste Fach des Büchergestelles verbannt, wo es ungestört bleibt, außer wenn man das Register des Familienstammbaumes nachschlagen will. Für den Christian Scientisten, der „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy, als sein Lehrbuch gebraucht, wird die Bibel ein offenes Buch, ein täglicher Begleiter, ein Führer zu Gesundheit und Heil, welche sofort ein Teil seiner Erfahrung werden.
Eine der Bibelstellen welche dem Leser gewöhnlich unklar erscheint, die aber durch die Christian Science erhellt wird, befindet sich im zweiundvierzigsten Kapitel Jesajas. Der Schreiber beschreibt den Kindern Israel den Messias, welcher viele Jahrhunderte später durch Jesus von Nazareth dargestellt wurde, mit den Worten: „Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Er wird das Recht wahrhaftig halten lehren.“ Durch die ganze Bibel und auch in anderen Werken, in denen in der bilderreichen Sprache des Morgenlandes gesprochen wird, findet man das Wort Rohr oft als ein Symbol für Menschen und für Nationen. Pharao, der König Ägyptens, wird zum Beispiel im achtzehnten Kapitel des zweiten Buches der Könige als ein zerstoßener Rohrstab beschrieben, „welcher, so sich jemand darauf lehnt, wird er ihm in die Hand gehen und sie durchbohren,“ damit wurde ein Begriff des falschen Charakters der Ägypter ausgedrückt. Auch Christus Jesus machte im elften Kapitel Matthäus von diesem Sinnbild Gebrauch. Er fragte die Menge, in bezug auf Johannes den Täufer: „Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das vom Winde bewegt wird?“
Durch die falsche Annahme, daß Gewalt Recht gebe, bewogen, erschlug Kain seinen Bruder, und seit jener Zeit bis zu der Zeit da Jesaja schrieb, und bis auf den heutigen Tag, zögerten die Kinder der Menschen nie die Schwachen oder Gebrochenen zu brechen oder zu unterdrücken, wenn sie dadurch ihre selbstsüchtigen Ziele zeitlich zu fördern schienen. Doch tat das Jesus von Nazareth, das Beispiel von Jesajas Ideal, nicht. Er kam, wie der Prophet vorausgesehen und verheißen hatte und wie er selbst erklärte „zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu heilen die zerstoßenen Herzen, zu predigen den Gefangenen, daß sie los sein sollen, und den Blinden das Gesicht und den Zerschlagenen, daß sie frei und ledig sein sollen.“
Das Sinnbild von einem „glimmenden Docht“ wird dem Schüler der Christian Science auch ganz klar, wenn er versteht, daß dieser Ausdruck auch eine Lampe oder eine brennende Kerze darstellt, und das Flachs oder der Faden woraus der Docht gemacht wird, ist ein anderes Symbol das den Menschen darstellt. In dieser Beziehung stellt der „glimmende Docht“ den Zustand der mentalen Dunkelheit dar, die durch die Materialität und die Sünde verursacht wurden; in dieser Dunkelheit kann das menschliche Wahrnehmungsvermögen nicht einmal einen Funken göttlicher Liebe noch einen Strahl geistigen Verständnisses entdecken. Dieser Gedankenzustand, wenn von der Wahrheit berührt, wird so beschrieben: „Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und die da saßen am Ort und Schatten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen.“
Jesus von Nazareth kam zu einer gebrochenen Nation, in der Knechtschaft eines harten Meisters, einem Volke, das in das geistige Dunkel der Materialität gehüllt war. Er kam um zu heilen und zu retten und nicht um das „zerstoßene Rohr“ zu brechen, oder um „den glimmenden Docht“ auszulöschen. Er kam um die allerhabene und heilende Macht, die die göttliche Liebe über die falschen Ansprüche des Bösen hat, zu demonstrieren, indem er die Trauernden tröstete, die Kranken heilte, Sünde zerstörte, Teufel austrieb, die Aussätzigen reinigte, den Blinden das Gesicht gab, die Toten auferweckte, die Elemente bewältigte und viele andere wunderbare Werke vollbrachte. Er demonstrierte den Christus oder Messias, der das Böse als unwirklich austreibt. Wo die sterblichen Augen ein „zerstoßenes Rohr“ sahen, wie in dem Falle des Weibes „das hatte einen Geist der Krankheit achtzehn Jahre; und sie war krumm und konnte nicht wohl aufsehen,“ wies Jesus das Sinnenzeugnis zurück und sah nur Gottes vollkommene Schöpfung, und er sagte zu ihr: „Weib, sei los von deiner Krankheit! ... und alsobald richtete sie sich auf und pries Gott.“ Zu der Frau, in der Simon, der Pharisäer, nur den „glimmenden Docht“ sehen konnte, und in der für den sterblichen Sinn nicht einmal ein Funke des Guten vorhanden war, denn sieben Teufel waren aus ihr ausgetrieben worden, sagte Jesus: „Dir sind deine Sünden vergeben.“
Da er sich nur der Wahrheit des Seins bewußt war, kehrte Jesus das falsche Zeugnis der physischen Sinne um und erkannte, daß gerade da wo Sünde und Dunkelheit, oder der „glimmende Docht“ zu sein schienen, in Wirklichkeit Gottes geistige Idee in ihrer ganzen Herrlichkeit war, und dies konnte durch das falsche Zeugnis der physischen Sinne weder ausgelöscht noch verdunkelt werden. Von diesem großen Lehrer und Arzt schrieb Mrs. Eddy auf Seite 313 von Wissenschaft und Gesundheit: „Jesus von Nazareth war der wissenschaftlichste Mensch, der je auf Erden gewandelt ist. Er tauchte unter die materielle Oberfläche der Dinge und fand die geistige Ursache.“ Und auf Seiten 476 und 477 desselben Buches sagt sie wieder: „Jesus sah in der Wissenschaft den vollkommenen Menschen, der ihm da erschien, wo den Sterblichen der sündige, sterbliche Mensch erscheint. In diesem vollkommenen Menschen sah der Heiland Gottes eigenes Gleichnis, und diese korrekte Anschauung vom Menschen heilte die Kranken.“
Die Wissenschaft des Christentums, welches Jesus lehrte und demonstrierte, wurde im Jahre 1866 von Mary Baker Eddy wieder entdeckt. Sie nannte ihre Entdeckung Christian Science und gab sie der Welt in ihrem Lehrbuch „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift.“ Durch ein Verständnis der in diesem Buche, Wissenschaft und Gesundheit, dargelegten Lehren, wurden schon unzählige Tausende geheilt und werden es noch, und die Menschheit ist verbessert und erlöst worden. Die Christian Science ist „ein brennend und ein scheinend Licht,“ das diesem Zeitalter aufgegangen ist: die Dunkelheit des Materialismus zu verteilen, die Herzen der Zerstoßenen mit Freude zu erfüllen, den „glimmenden Docht“ oder das schlafende Verständnis von neuem anzufachen und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Botschaft des „glimmenden Dochtes“ ist eine wunderbare Ermutigung, ein großer Trost. Wie tief man auch in der Dunkelheit der Materialität, der Krankheit und Sünde begraben sein mag, der Funke ist immer da, und wenn sich ein Mensch durch das Licht des geistigen Verständnisses,— der Berührung der göttlichen Liebe,— zum Lichte wendet, wird das glimmende Feuer zu einer lebendigen Flamme, das die Dunkelheit gänzlich aus dem menschlichen Bewußtsein vertreibt. Auf diese Weise bringt „die Christliche Wissenschaft ... Wahrheit und ihre Allerhabenheit, allumfassende Harmonie, die Ganzheit Gottes, des Guten, und die Nichtigkeit des Bösen ans Licht“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 293).