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Unduldsamkeit oder Freundlichkeit

Aus der Oktober 1921-Ausgabe des Herolds der Christlichen Wissenschaft


Ein bekannter Schriftsteller erzählt eine Geschichte von zwei ledigen Schwestern in Edinburg, die über einen Punkt einer theologischen Streitfrage nicht einig waren und so bitter gegeneinander wurden, daß sie von dem Tage an kein Wort mehr wechselten miteinander. Das Paar bewohnte ein einziges Zimmer dessen Türe zur Küche führte. Ihr Streit war so bitter, daß sie sogar das Zimmer abteilten, so daß keine der anderen Gebiet betrete. Entweder aus Mangel an Mitteln oder aus Furcht Aufsehen zu erregen blieben sie beieinander. Man kann sich das traurige Los der beiden Schwestern, die sich infolge einer Meinungsverschiedenheit über einen, wahrscheinlich nichtssagenden, dogmatischen Punkt trennten, eine jede wartend bis die andere ihren Irrtum eingestehe, leicht vorstellen, und man fragt sich ob sie je die Bergpredigt oder das dreizehnte Kapitel des ersten Korintherbriefes gelesen haben.

In den ersten Zeiten der Reformation neigten theologische Lehren zur Herbheit; doch wurde dies großenteils durch die Verfolgung, welche die ersten Protestanten erlitten hatten, hervorgerufen. Doch dies zugebend muß man sich trotzdem fragen wie solche Lehren, wie die der Vorherbestimmung und der zukünftigen Strafe, je angenommen werden konnten. Fatalistische Lehren sind so alt wie die Berge. Der Irrtum, den einige eifrige Theologen machten, war, daß sie von einer richtigen Voraussetzung ausgingen und von dieser aus unlogische Schlüsse folgerten. Sie begannen von der Grundlage aus, daß Gott allwissend, unendlich und unveränderlich ist, und verkündeten dann die Lehre, daß Gott dem Menschen ewiges Glück oder Unglück bestimme. Gemäß dieser Lehre war es schon vor seiner Geburt bestimmt ob ein Kind in den Himmel komme, oder ewig in den Feuern der Hölle gemartert werde. Ganz ungeachtet was dieses unschuldige Kind auch tun mochte, noch was für Bemühungen gemacht oder was für Opfer gebracht werden mochten — in Seiner unerforschlichen Weisheit hatte Gott den Entschluß schon gefaßt und er konnte darum nicht geändert werden. Kein Wunder, daß sogar Johannes Calvin das als „die schreckliche Verfügung“ beschrieben hat. Doch zeigte es sich im praktischen Leben, daß jedermann gewöhnlich ganz überzeugt war in seinem eigenen Gemüt, daß er zur Erlösung bestimmt sei. Aber gleichzeitig war er fast immer ebenso sicher, daß er in der kommenden Welt nicht an demselben Ort sein werde wie seine Freunde und besonders seine Verwandten. Die Lehre der universalen Erlösung wurde damals nicht angenommen. Heute hat die Vorherbestimmung ihren Platz und ihre Macht verloren in den Lehren der orthodoxen Kirche. Aber denken die Leute auch je daran, daß vielleicht nur der Titel geändert wurde, und daß heute nicht nur von der Kanzel aus Theorien gepredigt werden, die ebenso unduldsam sind, sondern auch durch die Presse und in den Schulen? Gibt es nicht eine große Verwandtschaft und Ähnlichkeit zwischen diesen, jetzt verworfenen Ideen und den heutigen Theorien von Vererbung und von falschen Gesetzen über den Einfluß vor der Geburt? Die Unduldsamkeit dieser alten religiösen Lehren ist hauptsächlich schuld daran, daß sie nicht fortlebten oder heute mit Mißtrauen betrachtet werden. Diese Leute empörten sich über die Idee, daß es für solche, die sie liebten, keine Hoffnung gebe, nachdem sie einmal, durch keinen Fehler ihrerseits, zu einem bestimmten Schicksal verurteilt worden waren. Doch bevor man diese ersten Reformatoren für ihre Ansichten richtet, sollte man ganz sicher sein, daß man selbst zum Richten berechtigt ist. Sind die Leute heute weniger unduldsam als in und vor dem sechzehnten Jahrhundert? Solche, die heute andere religiöse Ansichten hegen als ihre Religionsgenossen, haben sich im allgemeinen nicht vor physischer Gefahr zu fürchten, nun, da das Ketzergericht und religiöse Gerichtshöfe entweder abgeschafft oder in ihrer Macht beschränkt worden sind. Aber der Ruf der Ketzerei kann noch ebenso grausam sein wie vor alters, und soziale Verbannung ist unglücklicherweise eine Waffe die man nie in der Scheide rostig werden ließ. Wie oft hört man von lebenslangen Freundschaften und liebevollen Familienkreisen, die durch irgendeine doktrinäre Streitfrage getrennt wurden. In vielen Ländern ist es noch immer keine geringe Sache die Kirche der Väter zu verlassen. Das alte Argument: „Die alte Kirche war gut genug für meine Vorväter und ist darum gut genug für mich,“ wird noch immer als Grund gegen Weitherzigkeit vorgebracht. Gibt es aber einen so großen Unterschied zwischen Leuten die „nicht miteinander sprechen,“ weil sie zufällig in irgendeinem theologischen Standpunkt nicht übereinstimmen, und den zwei schottischen Schwestern die, durch einen Kreidestrich getrennt, schweigend nebeneinander saßen?

Was ist die Ursache dieser Unduldsamkeit in christlichen Religionen? Die ganze Frage dreht sich um ein richtiges Verständnis von Gott. Wie Mrs. Eddy sagt: „Die verkehrte Regierung der östlichen Reiche und Völker rührt von den dort vorherrschenden, falschen Auffassungen von der Gottheit her. Tyrannei, Unduldsamkeit und Blutvergießen, wo sie sich auch finden, erwachsen aus der Annahme, daß der Unendliche nach dem Muster sterblicher Persönlichkeit, Leidenschaft und sterblichen Impulses gebildet ist“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 94). Man fragt vielleicht woher diese wichtige Mitteilung komme, doch macht Mrs. Eddy das in den Glaubenssätzen Der Mutter-Kirche ganz klar. Der erste derselben lautet: „Als Anhänger der Wahrheit haben wir das inspirierte Wort der Bibel zu unserm geeigneten Führer zum ewigen Leben erwählt“ (Wissenschaft und Gesundheit, S. 497). Bedeutet das nicht, daß, wenn man Gott zu kennen und verstehen wünscht, man die Heilige Schrift immer und immer wieder studieren muß? Doch ist Studium allein ungenügend. Die Lehren von Christus Jesus müssen täglich betätigt werden; denn nur wenn die Probe tatsächlicher Betätigung angewandt wird, kann man sehen, wie viel man wirklich weiß. Denn nicht das, was man sagt oder predigt ist von Wert, sondern das, was man tut. Die großen Hauptzüge der Lehren von Christus Jesus werden von Professor H. Drummond, dem berühmten schottischen Geistlichen, zusammengefaßt, wenn er sagt: „Hast du schon beobachtet wie viel von Christi Leben nur darin bestand gute Werke zu tun — n u r gute Werke zu tun?“ Ein kleines Studium des Wirkens von Christus Jesus, von der Zeit an, als er den Gastgeber am Hochzeitsfest zu Kana in Galiläa, durch die Vergrößerung des Weinvorrates vor öffentlicher Demütigung behütete, bis zu der wunderbaren Äußerung am Kreuze: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ zeigt wie wahr das ist.

Es ist sehr beachtenswert beim Studium der metaphorischen Beschreibung des letzten Gerichtes, die im fünfundzwanzigsten Kapitel des Matthäus gegeben wird, zu sehen welche Handlungen auf der einen Seite gerühmt wurden und welche andererseits verurteilt wurden. Die Leute sind zu oft erzogen worden sich einzubilden, daß nur die Sünden des Fleisches, wie sie Paulus in seinem Brief an die Galater beschreibt, bestraft werden. Doch was findet man in diesem Gleichnis? Werden da die Schafe nicht eben dafür gelobt, daß sie die guten Werke taten, und die Böcke verurteilt weil sie es unterließen diese Dinge zu tun? Und die Worte der Anerkennung dieser kleinen, freundlichen Handlungen erhellen noch mehr: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Die Geschichte der christlichen Religion, seit der Zeit da das Heilen aufhörte einer der wesentlichen Grundzüge ihrer Lehren zu sein, ist zum Teil traurig. Die Anhänger des Christentums vergaßen ganz, daß Jesus gesagt hat, es „wird eine Herde und ein Hirte werden,“ und trennten sich mehr und mehr in ungezählte Sekten. Die Geschichte des Christentums erzählt nicht nur von beständigen Streitigkeiten, sondern wurde auch besonders durch die Bitterkeit der Unduldsamkeit und Verfolgungen gekennzeichnet. Welche Entschuldigung kann in den Lehren Jesu gefunden werden für ein solches Betragen? Bei einer Gelegenheit erzählten die Jünger Jesu von einem Manne den sie gefunden, der im Namen Christi Teufel austrieb, und daß sie ihn davon abgehalten hätten weil er nicht zu ihnen gehörte. Hat Jesus ihre Handlung gut geheißen? Seine Antwort: „Wehret ihm nicht; denn wer nicht wider uns ist der ist für uns,“ gibt eine Verhaltungsmaßregel die mit Nutzen mehr angewandt werden kann als es allgemein geschieht. Jesu Verhalten gegen solche die gegen ihn waren zeigte sich deutlich im Garten von Gethsemane, in der Heilung des Ohres von dem Diener des Hohenpriesters, das der ungestüme Petrus abgeschnitten hatte als die bewaffneten Männer kamen um Jesus gefangen zu nehmen. Ein anderer treffender Fall ist der: als die Jünger kamen und Jesus sagten, daß die Pharisäer sich über seine Lehren ärgerten antwortete er: „Lasset sie fahren! Sie sind blinde Blindenleiter. Wenn aber ein Blinder den andern leitet, so fallen sie beide in die Grube.“

Vielleicht keine Frage hat, unter den anerkannten Kirchen von heute, so viel Bedenken verursacht, wie die Abnahme an Kirchenbesuchern und Mitgliedern. Es wird oft gefragt warum die Lehren der sogenannten orthodoxen Kirchen die Männer und Frauen von heute nicht mehr befriedige, hauptsächlich die jüngere Generation. Die Frage ist noch eindringlicher geworden seit dem Weltkrieg. Die Vernunft sagt einem, daß, wenn ein Mann zur Zeit der Gefahr seine Religion von geringer Hilfe fand, man nicht von ihm erwarten kann sich darüber zu begeistern wenn er wieder in Sicherheit ist. Die Frage hat aber noch eine andere Seite und diese ist: Warum hat der gewöhnliche, ehrliche Materialist eine solche Verachtung gegen den frömmelnden Typus der Kirchenbesucher? Was läßt zu wünschen übrig in einem solchen Charaktertypus? Ist es nicht der Fall, daß ein solcher oft mehr Unduldsamkeit als Freundlichkeit verkörpert? Wenn man die vier Evangelien prüft, findet man sie voller Gleichnisse die gerade diesen Punkt illustrieren. Nehme man zwei Beispiele. In der Lehre von dem Mann der unter die Räuber fiel wird der Unterschied zwischen dem Priester und dem Leviten auf der einen Seite, und dem Samariter auf der anderen gezeigt. Und im Gleichnis vom verlorenen Sohn und seinem Bruder, der pflichtgetreu zu Hause blieb, wird eine ähnliche Moral angedeutet. Selbstgerechtigkeit und Unduldsamkeit haben viel gemein. Wendet man sich dann an das was Jesus tatsächlich getan hat, und studiert man das Vorbild, das er der Menschheit gegeben hat, so findet man das Liebevolle seiner Handlungen besonders hervorragend. Wie viele hätten wohl gehandelt wie er es tat, als ihm die Frau, die im Ehebruch ergriffen worden war, gegenüberstand? Er sagte zu ihr: „So verdamme ich dich auch nicht.“

Was ist die Lösung des Ganzen und wie kann sich die Welt von Unduldsamkeit befreien? Die Antwort findet man in dem Kirchenlied: „Dich anzubeten heißt einander lieben“ (Christian Science Hymnal, Nr. 172). Richtig anbeten ist die Lösung der ganzen Frage. Das kann natürlich nur getan werden wenn man einen richtigen Begriff von Gott und Mensch gewinnt. Das wird sofort zugegeben, aber wo findet man diese Auskunft die von Millionen gesucht und nicht gefunden worden ist? Die Beziehung von Gott und Mensch ist von Mrs. Eddy sehr deutlich und einfach dargelegt worden auf Seite 344 von Miscellany, durch die folgende Illustration: „Wenn wir sagen die Sonne stehe für Gott, dann stehen alle ihre gesammelten Strahlen für Christus und ein jeder einzelne Strahl für Männer und Frauen.“ So sieht man, daß der Mensch von Gott ausgeht, und daß er nur die Eigenschaften ausdrücken kann welche Gott ausdrückt.

Sofort kommt die Frage: Wie kann das wahr sein und lehrt die Christian Science, daß Gott nichts weiß von den Prüfungen und Sorgen dieser, vom Krieg zerstörten Welt, und daß Er nicht einmal die Kreuzigung von Jesu von Nazareth wahrnahm? „Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken,“ war die Herausforderung des Apostels Jakobus, und das ist der Prüfstein der Christian Science. Entweder ist diese Auslegung von Gott und Mensch richtig und in diesem Fall demonstrierbar, oder die Theorie der Vorherbestimmung ist das Wahre und dann gibt es keine Ursache für Hoffnung.

In jeder Kirche Christi, der Scientisten, auf dem ganzen Erdkreis, sprechen die Leute jeden Mittwoch Abend ihre Dankbarkeit aus, für die von ihnen erfahrenen Beweise der Unwirklichkeit des Bösen in all seinen unzähligen Formen, und nicht nur das, jede Woche und jeden Monat enthalten der Christian Science Sentinel und der Christian Science Journal die Ergebnisse solcher Demonstrationen. Personen können nur das, was sie wissen, beweisen; doch sollen Wahrheitssucher durch die Größe dieser Aufgabe nicht entmutigt werden. Theorien sind von wenig Nutzen bis sie betätigt werden und Ergebnisse hervorbringen. Wie dunkel jemandes Umgebung auch sein mag, wie schwer die Last die auf einem liegt auch erscheint, oder was auch geschah in der Vergangenheit, man braucht nie zu zögern diese wunderbare Wahrheit, welche der Welt in der Bibel und in „Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“ von Mary Baker Eddy, gegeben wurde, zu prüfen. Welche Hoffnungsbotschaften in den Blättern dieser Bücher enthalten sind! Die endgültige Stunde der Harmonie kann nicht abgewandt werden, denn, wie Mrs. Eddy sagt in „No and Yes“ (S. 37): „Was Gott weiß sieht Er im voraus; und es muß in Erfüllung gehen.“ „Liebet ihr mich, so haltet meine Gebote!“ sagte Jesus; und was waren seine Gebote? „Ein neu Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebet.“ Welches nun von beiden ist das Verhalten, das man gegenüber denen, mit denen man im täglichen Leben zusammenkommt, annehmen soll, Unduldsamkeit oder Freundlichkeit? Offensichtlich ist es Freundlichkeit.


Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefällt. Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. — Römer 8:27, 28.

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